Spitzt sich die Griechenlandkrise wieder zu?
Erneut geht der Streit um Finanzhilfen für Griechenland in eine heiße Phase. Am 20. Februar soll die Eurogruppe die Auszahlung der nächsten Kredittranche billigen. Doch die Gläubiger sind sich weiter uneins über einen Schuldenschnitt und härtere Sparmaßnahmen, die insbesondere Bundesfinanzminister Schäuble fordert. Einige Kommentatoren gehen streng mit ihm ins Gericht, während andere kritisieren, dass sich die EU im Wahljahr 2017 weiter durchmogeln wird.
Gläubiger verweigern sich der Realität
Im Streit um weitere Griechenlandhilfen werden sich die europäischen Gläubiger im Wahljahr 2017 um das eigentliche Problem herummogeln, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„Hält man sich an die Fakten, gibt es nur zwei Optionen: Entweder befreit sich Griechenland aus dem Korsett des Euro, oder die Gläubiger gewähren einen substanziellen Schuldenschnitt. Von beidem wollen die Europäer aber nichts wissen. Der Terminkalender spricht für Athen. So stehen in den kommenden Monaten wichtige Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland an. In keinem dieser Länder hat die Regierung ein Interesse an einer Eskalation der Krise, da dies den rechtsnationalen Kräften in die Hände spielen würde. Also wird man an überaus optimistischen Szenarien festhalten, Bereitschaft für kosmetische Schuldenerleichterungen zeigen und Athen noch vor dem Sommer, wenn milliardenschwere Schuldenrückzahlungen anstehen, eine nächste Kredittranche überweisen. Man kann dies Realpolitik nennen - oder Realitätsverweigerung.“
Deutsche Kompromisslosigkeit verschärft Streit
An der Zuspitzung der Lage hat diesmal nicht Griechenland Schuld, argumentiert der Wirtschaftsprofessor Ricardo Cabral in Público:
„Griechenlands staatliche Verschuldung steht erneut im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, aber diesmal - man stelle sich das einmal vor - nicht wegen Griechenland, sondern wegen eines alten 'Konflikts', der seit 2015 zwischen dem IWF und der Eurogruppe besteht. Der deutsche Finanzminister vertritt eine kompromisslose Position und wird durch die Kommission und den Europäischen Stabilitätsmechanismus [ESM] unterstützt. ... Der IWF plädiert für eine Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden. ... Ansonsten sei der IWF nicht bereit, sich an einem neuen Rettungspaket für Griechenland zu beteiligen. Doch Berlin sperrt sich gegen einen Schuldenschnitt und beharrt darauf, dass die IWF-Beteiligung an einem wahrscheinlichen vierten Rettungspaket eine conditio sine qua non sei.“
Oberlehrer Schäuble zerstört Solidarität
Die Pläne von Bundesfinanzminister Schäuble könnten die Hoffnung auf eine solidarischere Eurozone beerdigen, fürchtet La Tribune:
„Wolfgang Schäuble schreitet voran mit der Bildung einer europäischen Organisation nach den Vorstellungen seines Projekts von 1994: dem eines 'harten Kerns' der Eurozone. … Und dieser Option nähern wir uns: Es handelt sich um eine Korrektur der aktuellen Eurozone. Entweder durch den Ausschluss der 'schlechten Schüler' oder durch eine noch strengere Korrektur mit mehr Reformen und höheren Anforderungen in Sachen Primärüberschüsse ab 2018. Zudem geht es darum, den anderen Ländern der Eurozone neue ungeschriebene Regeln für die Zukunft vorzulegen: einseitige Anpassung oder Austritt. … Im Fall Griechenland steht also nicht nur das Schicksal des Landes selbst auf dem Spiel, sondern die Zukunft der Eurozone: Wenn die Pläne von Wolfgang Schäuble Realität werden, ist es mit den Träumen von einer ausgeglicheneren und solidarischeren Eurozone vorbei.“
Nur vereint könnte Athen Berlin trotzen
Die Politiker in Griechenland sind zu zerstritten, als dass sie der deutschen Dominanz etwas entgegen zu setzen hätten, klagt die regierungsnahe Tageszeitung Avgi:
„Die deutsche politische Führung scheint ihre Taktik bezüglich der griechischen Frage nicht zu ändern und hat das neue EU-Modell der zwei Geschwindigkeiten ausgearbeitet. ... Griechenland könnte in diesem ungleichen Kampf aufrecht stehen, wenn es geeint wäre. Wenn alle politischen Kräfte verstanden hätten, wie wichtig das für die Zukunft des Landes ist. Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem alle griechischen Politiker Nein zu Schäubles Vorschlägen sagen. Man male sich aus, was passieren würde, wenn das Land die Erpressungen abwehren könnte. Aber das ist unvorstellbar, da der Oppositionsführer und Vorsitzende der konservativen Partei Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, Premier werden will und die Vorsitzende der Sozialisten von Pasok, Fofi Gennimata, ebenfalls ihren Anteil an der Macht in der deutschen Kolonie haben will.“
Die ewig eiternde Wunde
Zu einem äußerst ungünstigen Moment flammt die Griechenland-Krise erneut auf, stellt De Tijd besorgt fest:
„Sieben Jahre nach Beginn der griechischen Krise stellen wir fest, dass das Problem in keinster Weise gelöst ist. ... Erstens: Die Gläubiger haben Griechenland keinen Schuldenerlass erlaubt. ... Zweitens: Das Land trödelt mit den notwendigen Strukturreformen. Für ihr Verhalten haben beide Seiten gute Gründe. Aber die Folge ist, dass die griechische Wunde weiter eitert. ... Solange Europa, der IWF und die griechische Regierung auf ihren Standpunkten beharren und keine großen Zugeständnisse machen wollen, ist ein Durchbruch unwahrscheinlich. Muss erst der Euro in Gefahr kommen? Es ist noch nicht mal sicher, ob es dann eine Antwort gibt, wenn man bedenkt, dass Europa in den letzten Monaten total verwirrt ist und jeglicher Führung entbehrt.“
Schäubles Poker kann gefährlich werden
Dass Berlin am Ende einer Schuldenerleichterung in irgendeiner Form zustimmen muss, ist wahrscheinlich, analysiert die Welt:
„Was Schäuble interessiert, ist die Höhe und Zeitpunkt des Verzichts. Deshalb pokert er auch schon seit Monaten mit dem IWF. … Ganz risikolos ist Schäubles Poker allerdings nicht. Denn wenn Tsipras, anders als es jetzt aussieht, nicht nachgibt, schaukelt sich die Krise wie schon vor zwei Jahren im Sommer hoch. Anders aber als 2015 steht Deutschland dann kurz vor der Bundestagswahl. Und wenn die Griechen bis dahin nicht nachgeben und weitere Reformen umsetzen, könnte Schäuble gezwungen sein, sein Blatt auch zu zeigen. Ohne irgendeinen Deal mit den Griechen wäre der IWF raus aus dem laufenden Programm. Und dann muss sich Schäuble entscheiden, ob er dem Bundestag so kurz vor der Wahl ein neues Hilfspaket empfiehlt - ohne den IWF als Hüter der Sparversprechen. Oder ob er einen zweiten Grexit-Anlauf wagt, trotz einer unsicheren politischen Weltlage mit Brexit und Donald Trump als Bürde.“
Berlin setzt über den IWF seine Interessen durch
Die regierungsnahe Tageszeitung Avgi wirft die Frage auf, warum sich der IWF überhaupt am Rettungsprogramm für Griechenland beteiligt:
„Wir fürchten, dass es politische Gründe sind, weshalb der IWF im Jahr 2010 eingestiegen ist. Die meisten Akteure, wenn nicht sogar alle, haben gelegentlich zugegeben, dass Deutschland diese Idee unterstützt hat und den IWF nutzte, um seine Zwangspolitiken in unserem Land durchzusetzen - und möglicherweise seine versteckte Strategie für ganz Europa. … Es ist schwierig, die ständige Konsistenz zwischen Schäuble und [IWF-Troika-Mitglied Poul] Thomsen anders zu interpretieren. Und was für ein Zufall: Schäuble, der im Jahr 2015 den Grexit als Plan B darstellte, droht jetzt erneut damit, auch wenn Griechenland seine Verpflichtungen umgesetzt hat und das Programm reibungslos läuft. Die Schlussfolgerung ist folgende: Griechenland und Europa brauchen weder den IWF noch Schäubles Politik. Sie sind durch beide gleichermaßen bedroht.“