Ist ein Kopftuchverbot im Job diskriminierend?
Arbeitgeber dürfen ihren Mitarbeiterinnen das Tragen eines Kopftuchs untersagen, wenn es in der Firma ein generelles Verbot für sichtbare religiöse oder weltanschauliche Zeichen gibt. Damit folgt der EuGH dem Vorschlag seiner Generalanwältin aus dem Mai 2016. Einige Kommentatoren loben diese Entscheidung als Verteidigung europäischer Werte. Für andere ist sie schlicht frauen- und islamfeindlich.
Europa zeigt endlich, wofür es steht
Für die Welt geht die Entscheidung des EuGH über ein bloßes Gebot zur Religionsneutralität hinaus:
„Es wäre … verlogen, das Urteil aus der Zeit zu heben und zu behaupten, es hätte nichts mit dem Kulturkampf zu tun, der in der westlichen Welt, besonders aber in Europa, wütet – auch wenn die meisten ihn so nicht nennen wollen. In Anbetracht der Wanderungsbewegung vor allem aus den islamisch geprägten Teilen der Erde, angesichts der Tatsache, dass die Integration selbst der Alteingesessenen nicht zur vollsten Zufriedenheit der jeweiligen Gesellschaften gelungen ist, um es gelinde auszudrücken, schließlich im Hinblick auf die wenig überzeugenden Versuche, einen Euro-Islam als Antwort auf die verschiedenen Strömungen im Nahen und Mittleren Osten zu entwickeln, ist es nur zu begrüßen, wenn die Europäer klarmachen, wofür sie stehen und was sie von ihren Bürgern erwarten – egal, woher sie kommen und welchem Glauben sie anhängen.“
Religionsfreiheit bleibt unangetastet
Jutarnji list findet nicht, dass das Urteil diskriminierend ist:
„Das Verbot bezieht sich nur auf den Arbeitsplatz und nur auf private Unternehmen. Was aber noch viel wichtiger ist: Es ist nur als Verbot aller Weltanschauungssymbole gültig. Als allgemeine Norm darf es nicht angewandt werden, wenn es objektiv beispielsweise nur Musliminnen wegen ihres Hidschabs betrifft. Es darf angewandt werden, wenn es gleichzeitig auch zum Beispiel Nonnen wegen ihres Schleiers betrifft. Dieses Urteil widerspricht deshalb auch nicht einem früheren Urteil, nachdem das Aufhängen des Kreuzes in italienischen Schulen und Gerichten erlaubt ist, denn dort handelt es sich nicht um Privatunternehmen. Auch das französische Verbot religiöser Symbole im öffentlichen Raum bleibt davon unberührt.“
Skrupellose Diskriminierung
Für frauen- und islamfeindlich hält hingegen The Independent das Kopftuchverbot:
„Verfechter solcher Maßnahmen erklären der Öffentlichkeit in irreführender Weise, dass diese Entscheidungen Frauen von den angeblichen Fesseln des Islam befreien werden. Und doch stellen diese Gesetze eine diskriminierende Form der sozialen Manipulation dar. Sie versuchen, muslimische Frauen dazu zu zwingen, eine säkulare Identität anzunehmen. Derartige benachteiligende und offen fremdenfeindliche Maßnahmen stehen im Widerspruch zu dem in Europa tief verwurzelten Glauben, eine Bastion der Freiheit in einer sonst barbarischen und intoleranten Welt zu sein. Die Heuchelei ist zumindest ärgerlich. Genau jene europäischen politischen Führer, die sich gegen angeblich frauenfeindliche und rückschrittliche Gesellschaften in der muslimischen Welt stellen, haben keinerlei Skrupel vor einer diskriminierenden und geschlechtsspezifischen Islamfeindlichkeit in ihren eigenen Ländern.“
EuGH öffnet Büchse der Pandora
Die Entscheidung des EuGH könnte den Weg ebnen für eine komplette Benachteiligung von Muslimen in Europa, fürchtet Público:
„Künftig wird es deutlich problematischer werden, Kleidungsvorschriften mit der Religionsfreiheit in Einklang zu bringen. Das Gericht hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem es sich zu Fragen geäußert hat, die bisher eine Sache der Entscheidungsfreiheit und des gesunden Menschenverstands waren. ... Was kommt als Nächstes? Die Schließung von Moscheen, ein Verbot des Islams, die Vertreibung von Muslimen? Nun, das ist alles nichts, woran Europas extreme Rechte nicht bereits gedacht hätte. Die Ideen sind alt: Einwanderer haben unsere Regeln zu akzeptieren, das Tragen des Vollschleiers ist eine Frage der inneren Sicherheit, und Frauen, die Kopfbedeckungen oder andere religiöse Symbole tragen, werden unterdrückt. ... Reden wir hier über Menschenrechte oder Islamophobie?“