Wie hart werden die Brexit-Verhandlungen?
Großbritannien will die EU am 29. März offiziell über seinen Austrittswunsch aus der Union unterrichten und damit den Startschuss für die Brexit-Verhandlungen geben. Britische Kommentatoren hoffen auf eine Wiederbelebung der nationalen Identität Großbritanniens. Andere warnen die EU davor, sich in den Verhandlungen von Emotionen leiten zu lassen.
Brüssel will Großbritannien bestrafen
Brüssel ist offensichtlich versucht, London für den Brexit zahlen zu lassen, beobachtet România Liberă:
„Immer wieder tauchen Informationen auf, dass London zwischen 40 und 50 Milliarden Euro zahlen soll, um das Defizit zu deckeln, das mit dem Brexit im EU-Haushalt entsteht. … Andererseits will Brüssel die Unterzeichnung des Brexit-Abkommens mit Großbritannien möglichst lange hinauszögern, um zu zeigen, dass der Austritt aus der EU keine bloße Formalie ist. ... Es könnte aber auch so kommen, dass die Brexit-Verhandlungen nur zu Beginn hart sind, mit der Zeit die Positionen aber weicher werden, damit schlussendlich ein vernünftiger Kompromiss erzielt wird. ... Es kann aber auch genauso gut passieren, dass Brüssel den Brexit nutzt, um widerspenstige EU-Mitgliedstaaten zu disziplinieren, die sich wehren, die Last der massiven Einwanderungswelle mit zu tragen.“
Bitte keinen Rosenkrieg!
Die EU darf sich nicht von der Enttäuschung über den Austrittswunsch der Briten leiten lassen, mahnt De Telegraaf:
„In Brüssel ist die Frustration über den britischen Austritt groß. Es wäre sehr unklug, wenn diese Enttäuschung die Verhandlungen bestimmen würde. Die Briten haben sich nun einmal entschieden. Außerdem ist es zu einfach, diese Entscheidung als den x-ten Tick der exzentrischen Inselbewohner abzutun. Die schnelle Erweiterung der EU sorgte für eine starke Arbeitsmigration Richtung Großbritannien, die weite Teile des Arbeitsmarkts zum Entgleisen brachte. ... Jetzt müssen alle Beteiligten eine harte Trennung verhindern. Die wirtschaftlichen Bande zwischen dem europäischen Festland und den Briten sind stark. Wer diese zu rigoros durchschneidet, schneidet sich ins eigene Fleisch.“
EU darf sich nicht auseinander dividieren lassen
Das oberste Gebot für die EU muss nun der Zusammenhalt sein, mahnt der ehemalige Diplomat Antonio Armellini in Corriere della Sera:
„London wird seinem Verhandlungsstil treu bleiben und für sich das Recht auf den Zugang zum Binnenmarkt und den Schutz seines Finanzwesens beanspruchen, ohne im Gegenzug Personenfreizügigkeit zuzulassen und die EU-Regeln zu respektieren. ... Die Strategie, die Gemeinschaft zu spalten, indem man auf Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern setzt (ein britischer Klassiker) könnte noch für Überraschungen sorgen. ... Die Gefahr, dass der Brexit einen Prozess des Zerfalls der gesamten EU auslöst, würde somit offenkundiger werden, je weiter die Verhandlungen voranschreiten. Doch anstatt sich zu trennen, könnten die 27 gerade deshalb Gründe für einen wenn auch nur taktischen Zusammenhalt finden.“
Britische Identität stärken
Der EU-Austritt bietet der britischen Politik die Möglichkeit, das Konzept des demokratisch legitimierten Nationalstaats neu zu beleben, glaubt The Daily Telegraph:
„Aus historisch oft nachvollziehbaren Gründen hat Europa beinahe vergessen, was Nationalstolz bedeuten kann und wie demokratisch legitimierte Regierungen, die mit ihren Völkern verbunden sind, der Welt nützlich sein können. Paradoxerweise ging die Vorstellung des sich selbst regierenden Staats, der seiner eigenen Bevölkerung direkt verantwortlich ist, in der schrecklichen Schande der nationalistischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts verloren. Und doch sieht sich nun gerade die EU mit der Wiederkehr jener Form des populistischen Nativismus konfrontiert, den sie eigentlichen verhindern sollte. Wird diese Generation britischer Politiker genug Vision und Charakterstärke besitzen, die nationale Identität neu zu erfinden?“