Sind die Rechtspopulisten in Europa abgewählt?
Le Pen weniger erfolgreich als gedacht, Macron in den Augen vieler Kommentatoren schon der neue Präsident: Europas Presse atmet nach dem ersten Wahlgang in Frankreich auf. Viele sehen die Rechtspopulisten nach den Niederlagen von Hofer in Österreich und Wilders in den Niederlanden erneut in die Schranken verwiesen. Doch sind populistische Bewegungen in Europa wirklich auf dem absteigenden Ast?
Die Antikörper der Demokratie wehren sich
Die Demokratie hat mehr Widerstandskraft, als wir glauben, freut sich nach der ersten Wahlrunde in Frankreich der Diplomat Sergio Romano in Corriere della Sera:
„Nach dem Sieg von Trump bei der US-Wahl und der größeren Sichtbarkeit der anti-systemischen Parteien in den größten westlichen Demokratien haben wir uns dazu verleiten lassen, diese Phänomene als Symptome eines allgemeinen Niedergangs der westlichen Demokratien zu deuten und haben andere, durchaus beruhigende Signale übersehen. ... In Spanien siegte der Konservative Mariano Rajoy über Podemos, die Österreicher haben den Präsidentschaftskandidaten der Grünen dem der nationalistischen Partei vorgezogen. In den Niederlanden gewann Mark Rutte gegen den Populisten Geert Wilders und in Deutschland radikalisiert sich die AfD zwar, doch ohne ihre Führungskraft Frauke Petry, die einen versöhnlicheren Kurs einschlägt. … Die populistische Welle ist noch nicht gestoppt, doch die Wahl in Frankreich und die jüngsten Wahlen in anderen europäischen Ländern könnten zeigen, dass im Körper der Demokratie noch viele robuste Antikörper stecken.“
Weitere Schlappe für die Nationalisten
Auch The Irish Times stellt zufrieden fest, dass rechte Populisten nicht nur in Frankreich zuletzt hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind:
„Le Pens starkes Abschneiden muss uns eine Warnung sein. Doch sollte das Wahlergebnis vom Sonntag auch dazu beitragen, den Fatalismus abzubauen, der die progressive Mitte Europas erfasst hat. Der englische Nationalismus ist im Kommen, in Polen und Ungarn sind rechtsnationale Populisten an der Macht. Doch Umfragen legen nahe, dass Angela Merkel weiter auf gutem Wege ist, im September wiedergewählt zu werden. Gleichzeitig haben zuletzt Wahlen in Österreich und in den Niederlanden den Aufstieg der nationalistischen Rechten in beiden Ländern gestoppt. Irland und der Rest Europas müssen darauf hoffen, dass ein überzeugender Sieg Macrons das Gleiche in Frankreich erreicht.“
EU braucht Politik für mehr Miteinander
Um das Fortbestehen der EU zu sichern, bedarf es mehr als eines Votums gegen die FN-Kandidatin, mahnt La Croix und beginnt ihre Überlegungen mit dem Szenario eines Wahlsiegs von Le Pen:
„Wir würden miterleben, wie die Logik des Friedens zunichte gemacht wird, die jahrzehntelang vorherrschte und die im Wesentlichen durch die europäische Einigung garantiert wird. Doch um dies zu verhindern, wird es nicht genügen, gegen Marine Le Pen zu stimmen. All jenen, die sich nun für die EU einsetzen, kommt die dringende Aufgabe zu, die menschliche Dimension der Europäischen Union zu preisen. Die EU darf nicht länger allein auf einem großen Binnenmarkt und irgendwelchen Wirtschaftsnormen beruhen. Alles, was das Zusammenleben der europäischen Bürger ermöglicht - und für das Erasmus-Aufenthalte als Beispiel noch längst nicht ausreichen -, muss mehr Gewicht erhalten. Wir brauchen eine europäische Politik zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Andernfalls wird Europa ein instabiles Kartenhaus bleiben.“
Dem 21. Jahrhundert fehlen die Ideen
Eine ökonomisch-politische Zeitenwende erkennt Die Presse und führt den aktuellen Erfolg der Populisten darauf zurück, dass althergebrachte Konzepte für Wirtschaft und Gesellschaft ausgedient haben:
„Marx (spätes 19. Jahrhundert), Hayek (frühes 20. Jahrhundert) und Keynes (Mitte 20. Jahrhundert) mögen viele wirtschaftlichen Naturgesetze (Monopolisierung im ungezügelten Kapitalismus, Marktkräfte, Konjunkturzyklen) richtig beschrieben haben. Aber mit ihnen allein lässt sich eine internetverknüpfte Welt, in der Maschinen gerade dabei sind, die traditionelle Arbeit zu übernehmen, nicht mehr erklären. Und schon gar nicht managen. Die Menschen spüren das und wenden sich von den Proponenten der untergehenden Ideologien des 20. Jahrhunderts zunehmend ab. Dass die Populisten, die davon profitieren, auch nur konventionelle - und damit wenig brauchbare - Lösungsansätze im Gepäck haben, geht in dieser aktuellen 'Alles ist besser als der Istzustand'-Stimmung leider unter. Was uns ganz offensichtlich fehlt, ist eine brauchbare politische Ökonomie des 21. Jahrhunderts.“