Ohrfeige für Europas Rechtspopulisten?
Dass der vernehmbare Seufzer der Erleichterung nach der Wahl in den Niederlanden angebracht ist, bezweifeln viele Journalisten und warnen die liberale Gesellschaft davor, sich zu sehr in Sicherheit zu wiegen, auch wenn Geert Wilders' fremdenfeindliche Partei schlechter abschnitt als erwartet. Einige erkennen wiederum im Verhalten der Rechtspopulisten einige Widersprüche.
EU-Feinde in Widersprüche verstrickt
Mit ihrer Feindschaft gegen Europa erreichen die Rechtspopulisten genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich wollen, erkennt El País in Bezug auf den Streit um den Brexit:
„Die Feindschaft gegen Europa ist nur relevant, weil sie sich gegen Europa richtet, gegen Europa ordnet. Sie braucht somit das Europäische. In der Negation bestätigt sie, was sie zu negieren sucht. ... Und durch Großbritannien entdecken wir noch mehr. Wir erkennen, wie die Feindschaft gegen Europa das zerstört, was sie bewahren will, die nationale Identität. Wenn sich Schottland, Nordirland und sogar Gibraltar als Europäer gegen Theresa May auflehnen, zeigen sie, dass die menschliche Identität nicht die eines Steins ist, sondern sich verändert und wandelt. Dass 40 Jahre europäischer Co-Souveränität den geistigen Horizont erweitern und das Strickmuster der Gemeinschaft verändern. Und dass auf diese Weise, sobald die Form Europa zerbricht auch die Unterform Nationalstaat einen Sprung bekommt.“
Populisten noch nicht besiegt
Auch wenn Geert Wilders bei der diesjährigen Wahl in den Niederlanden nicht gewonnen hat, heißt das noch lange nicht, dass Populisten in der nahen Zukunft nicht doch bald gewinnen können, glaubt Matjaž Trošt von RTV Slovenija:
„Hätte Geert Wilders die Wahl in den Niederlanden gewonnen, würden wahrscheinlich so manche bereits die ersten Buchstaben des Wortes Union entfernen. Das bringt uns zu einem Paradox. Die Tatsache, dass Geert Wilders bei der Wahl in den Niederlanden keine Überraschung wie Donald Trump gelungen ist, heißt nicht, dass die EU nun weniger gefährdet und ihre Zukunft klarer ist. Es bedeutet auch nicht, dass Marine Le Pen es nicht schaffen wird, oder irgendeine dritte Person. Vielleicht nicht dieses Jahr, vielleicht erst nächstes Jahr, oder erst in ein paar Jahren. Diejenigen, die den Sieg gegen den Populismus zu laut feiern, vergessen: eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“
Trügerischer Frieden
Keinen Grund zur Euphorie angesichts des Wahlergebnisses sieht auch Dienas bizness:
„Nicht alle Anhänger der extrem rechten politischen Kräfte sind radikale Faschisten. Unter ihnen sind viele von den heutigen Herausforderungen verunsicherte Menschen. ... Europas Politiker sollten sich die EU als handlungsfähiges und lebensfähiges Projekt vorstellen. Leider haben die Europäer bis jetzt nur lethargischen Frieden und unversiegbare Selbstzufriedenheit demonstriert, was sie ignorant gegenüber den Problemen gemacht hat. Kindisch die Hände vor die Augen zu halten, macht uns noch nicht unsichtbar. Wenn wir die Probleme nicht sehen, bedeutet das noch nicht, dass es sie nicht gibt. Im Schatten dieser Probleme quellen leider radikale Revolutionen mit schmerzhaften Folgen.“
Applaus zeigt die Naivität
Wilders' Wähler vor lauter Erleichterung nun zu vergessen, wäre ein schwerwiegender Fehler, warnt Kolumnistin Nausicaa Marbe in De Telegraaf:
„Der europäische Applaus für die Niederlande kann auch ein Beweis von Naivität sein. Denn der Populismus ist in Europa noch lange nicht besiegt. Und unser gemäßigtes Wahlergebnis darf für Brüssel kein Mandat sein, sich nicht mehr um das anti-europäische Gefühl zu kümmern. Die PVV hat schließlich Mandate gewonnen. Das Forum für Demokratie, das den Nexit will, kommt mit zwei Abgeordneten ins Parlament. Viele Wähler fühlen sich in der EU nicht zu Hause und auch nicht in den multikulturellen Niederlanden. Ihre Sorgen sind genauso wichtig wie die der Wähler, die nun die internationale Bewunderung ernten.“
Unsicherheitsgefühlen entgegenwirken
Soll die Gefahr einer Regierungsübernahme durch Rechtsextremisten gebannt werden, müssen die Sorgen der Wähler von Wilders und seinesgleichen ernst genommen werden, rät La Croix:
„Geert Wilders liegt nicht falsch, wenn er sagt: 'Egal wie diese Wahl heute ausgeht, der Geist wird nicht wieder zurück in die Flasche gehen.' Seine Vorstellungen verbleiben in der öffentlichen Debatte und nehmen darin einen wichtigen Platz ein. Es wäre daher nun unangemessen, einen Erleichterungsseufzer auszustoßen und in aller Ruhe zum Alltagsgeschäft zurückzukehren. Die von den Wählern Geert Wilders' ebenso wie denen des Front National in Frankreich geäußerten Sorgen müssen berücksichtigt werden. Das Gefühl von Unsicherheit - egal ob in wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Hinsicht -, das viele Bürger plagt, verlangt ernsthafte Reaktionen, wenn man vermeiden will, dass beim nächsten Mal in den Niederlanden oder anderswo die Extremisten siegen.“
Populisten stoppen noch keine Strategie
Nur die Populisten aufzuhalten, ist zu wenig, findet Gość Niedzielny und fordert von der EU, endlich ihre Probleme anzupacken:
„Die höchste Wahlbeteiligung seit 30 Jahren könnte zwar darauf hinweisen, dass sich die Niederländer massiv gegen Wilders mobilisiert haben. Doch ist eine solche Strategie, die lediglich darauf abzielt, Geert Wilders oder Marine Le Pen auf ihrem Weg zur Macht aufzuhalten, nur sehr schwach. Und zwar ganz besonders dann, wenn man, wie in diesem Fall, nur extrem dümmliche Wahlslogans verwendet. Man hat die Niederlage der Populisten auf die diplomatische Krise mit der Türkei zurückgeführt. Doch es ist immer leicht, die Einreise von türkischen Politikern zu verhindern oder von einem Europa mehrerer Geschwindigkeiten ohne Mitteleuropa zu reden. Schwieriger ist es vielmehr, die Eurozone zu reformieren oder die Migranten zu integrieren.“
Nicht zu früh freuen
Die enorme Euphorie nach der niederländischen Parlamentswahl überrascht auch Helsingin Sanomat:
„Der Brexit, Donald Trumps Wahlsieg und das Erstarken eines fremdenfeindlichen Nationalismus in verschiedenen Ländern haben den Anhängern der liberalen europäischen Demokratie im Vorfeld unnötig viel Sorge in Bezug auf die Auswirkungen der niederländischen Wahl bereitet. Und sofort danach, als die Gefahr abgewendet war, hat das Wahlergebnis zu übertriebener Erleichterung geführt. Es mag sein, dass sich die Wahl in Holland noch als Wendepunkt für den von Wilders vertretenen unnachgiebigen nationalistischen Populismus in Europa herausstellt, aber abschließend wird man das erst später beurteilen können. Nach den Niederlanden richtet sich der Blick jetzt erst einmal auf Frankreich und das Abschneiden der nationalistischen Populistin Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl.“
Danke für diese großartige Lektion
Man kann den niederländischen Wählern dankbar sein für das, was sie Europa gezeigt haben, jubelt La Libre Belgique:
„Paradoxerweise sind dem holländischen Premier vielleicht die Attacken des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu Gute gekommen. … Erdoğan hat einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie eine vereinfachende, arrogante und abgeschottete populistische Regierung aussehen kann. Unsere Nachbarn haben Nein gesagt zu solchen Exzessen, Nein zum Hass, Nein zu einfachen Antworten und zu einer Zukunft ohne Perspektiven. ... Solch eine Demokratielektion erwärmt einem das Herz. Dank dieses 'Oranje'-Schwungs hat sich Europa, ohne zu zittern, für das Halbfinale qualifiziert. Das nächste Spiel findet in Frankreich statt. Der jüngste Sieg garantiert zwar noch keinen Erfolg im April, er tut jedoch einfach gut. Liebe Nachbarn, vielen Dank für diese vorfrühlingshafte Lehre. Der heutige Donnerstag wird ein wunderbarer Tag.“
Niederländer wollen kein Geschrei
Die Niederlande haben Wilders eine Absage erteilt, freut sich Kolumnist Tom-Jan Meeus in NRC Handelsblad:
„Mark Rutte hat eine sehr gute Leistung erbracht hat. Man sollte nicht vergessen, dass Wilders, sein eigentlicher Kontrahent, noch vor zwei Monaten in den Umfragen mit fünf Prozent Vorsprung führte. ... Es wurde deutlich, dass Wilders keinen Ausweg aus der Sackgasse findet. Er machte merkwürdige taktische Fehler und ließ den größten Teil des Wahlkampfes aus. Die Medien ließen jeden Typus eines PVV-Wählers zu Wort kommen, obwohl klar war, dass kein patriotischer, sondern ein alt-holländischer Frühling im Anflug war: Gut 80 Prozent der Bevölkerung wollen gar keinen Lärm, kein Geschrei um nichts oder um allein der Wut willen.“
Erdoğan, Brexit und Trump verschreckten Wähler
Die Niederländer haben dem Populismus standgehalten, atmet Sme auf und sieht folgende Gründe für den Wahlausgang:
„Zuerst ist da der Streit mit der Türkei: Premier Rutte verhinderte, dass zwei türkische Minister vor dem Referendum für die Stärkung der Position Erdoğans agitieren. Viele meinten, das werde Wilders nutzen. Der tatsächliche Sieger des Konflikts aber war Rutte. Für 34 Prozent der Wähler war seine Reaktion entscheidend bei der Stimmabgabe. Zweitens rächte es sich für Wilders, dass er wiederholt öffentlich US-Präsident Trump unterstützte. Dessen bisherige schwache Vorstellung hatte einen negativen Effekt für die Chancen von Wilders. Schließlich der Brexit: Als die Briten für den Austritt aus der EU stimmten, galten die Niederlande als nächster Kandidat. Wilders war einer der lautesten Befürworter eines Abschieds von der Union. Doch das Chaos nach dem Brexit-Referendum und die unsichere Zukunft Großbritanniens haben die Popularität der EU in den Niederlanden erhöht.“
Wilders wird sich dennoch behaupten können
Die Gefahr des Rechtspopulismus ist in den Niederlanden noch längst nicht gebannt, glaubt hingegen Corriere del Ticino:
„Die 'Wilderisierung' der niederländischen Politik ist alles andere als zu unterschätzen. Die rechtsradikale Partei von Wilders könnte fortfahren, Wähler eines neuen Landes in ihren Bann zu ziehen, das nicht mehr das Land der Toleranz ist, das wir kannten. Die Niederlande sind zu einem Land geworden, das die Antworten der traditionellen Parteien auf Themen wie die Flüchtlingskrise und die EU-Integration als unzureichend erachtet. Vor allem aber darf man nicht unterschätzen, dass Wilders, unabhängig von der Fähigkeit und realen Möglichkeit zu regieren, weiterhin den Prototyp der post-politischen Partei - ohne Basis, ohne Mitglieder, ohne Programm und ohne Struktur - verkörpern wird. Eine Partei, die sich dank des informellen Bündnisses mit anderen ultranationalen Führungskräften in Europa als Gruppierung behauptet.“
Gegen Rechtspopulismus hilft nur soziales Europa
Die europäische Politik muss entschieden umsteuern, schreiben Catelene Passchier, Vizevorsitzende des niederländischen Gewerkschaftsbundes (FNV), und Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel:
„Was wir jetzt brauchen, sind deutliche soziale Fortschritte, eine Säule sozialer Rechte, die verbindlich ist und wirklich trägt. Darüber hinaus braucht Europa ein starkes Investitionsprogramm in Bildung, in Infrastruktur, in den Industriestandort und eine europäische Energiewende. Dazu gehört eine Politik, mit der dem Steuerdumping ein Ende gesetzt wird. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um Europa zu retten. Den europäischen Mitgliedsländern droht ein Rückfall in nationale Kleinstaaterei und Protektionismus, wenn die rechten Populisten und Feinde der europäischen Integration nicht gestoppt werden. … Im April wählen die Franzosen. Im Herbst wählt Deutschland. Das ist ein Auftrag an alle demokratischen Parteien in Europa, zu handeln. Jetzt.“