Machen Junckers Pläne die EU sozialer?
Die EU-Kommission will europaweit Mindeststandards für Arbeitnehmer einführen. Damit soll die Staatengemeinschaft sozialer werden und so Populismus bekämpft werden. Kommissionspräsident Juncker stellte am Mittwoch in Brüssel Pläne dazu vor. Einige Journalisten glauben, dass der Zeitpunkt dafür nicht besser gewählt sein könnte. Andere finden, dass die EU ihre Kompetenzen damit maßlos überschreitet.
Der Zeitpunkt ist günstig gewählt
Der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens birgt auch die Chance, versäumte Sozialreformen nachzuholen, erkennt El País, was gleichzeitig Macron bei der Stichwahl helfen könnte:
„Die politischen Vorteile des Pakets liegen - trotz der langsamen Umsetzung - auf der Hand. Die Planungen begannen bereits im März des vergangenen Jahres und sollten in diesem Frühling konkretisiert werden. Der Zufall und vor allem der große Druck der Ereignisse führten nun dazu, dass die Ankündigung mit der bevorstehenden Stichwahl zum französischen Präsidenten zusammenfällt, was die Kandidatur des europafreundlichen Mitte-Kandidaten Emmanuel Macron stärkt. Und sie fällt auch zusammen mit dem Beginn der Brexit-Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien. Dabei werden zwar beide Seiten Federn lassen und Nachteile haben, aber gleichzeitig hat die EU nun auch die Chance, Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen. Etwa die Sozialreformen, gegen die sich London seit dem britischen Beitritt 1973 stets sperrte.“
Vaterschaftsurlaub geht die EU nichts an
Der einzige konkrete Gesetzesvorschlag in Junckers Paket sieht unter anderem vor, dass Väter rund um die Geburt ihres Kindes bezahlten Sonderurlaub erhalten. Gute Sache, doch warum muss die EU das regeln, fragt De Volkskrant:
„Für die Ausweitung des Vaterschaftsurlaubs spricht viel. Es kann ein wichtiger Schritt sein zur Aufhebung der ungleichen Behandlung auf dem Arbeitsmarkt in diesem Land, wo Teilzeitarbeit vor allem Frauensache ist. ... Das hängt sehr eng damit zusammen, dass zu Hause die Aufgaben noch immer nicht gerecht verteilt sind. ... Aber die EU-Kommission hätte lieber zweimal nachdenken sollen, bevor sie dazu einen europäischen Plan vorlegt. Die Basis für die EU steht in vielen Mitgliedstaaten nicht unter Druck, weil es zu wenig europäische Politik gibt, sondern weil es zu viel gibt. ... Was gut von den Mitgliedstaaten selbst geregelt werden kann, muss die EU nicht angehen. Und sei es aus dem Grund, dass dafür die demokratische Legitimation fehlt.“
Vorschläge sind nur Feigenblatt
Juncker betreibt eine bloße Symbolpolitik, mit der er auf die Wahlen in Frankreich und Deutschland zielt, kritisiert die taz:
„Das reicht aber nicht, um die bedrohliche soziale und politische Krise zu überwinden, in der Europa steckt. Sie ist eine Folge der neoliberalen Politik, die während der Eurokrise zu massivem Sozialabbau genutzt wurde. Diese Politik müsste die EU ändern, zum Beispiel durch einen europaweiten Mindestlohn. Doch dafür reicht der politische Wille nicht. In Sonntagsreden wird zwar weiter das 'soziale Europa' beschworen - zuletzt auf dem EU-Jubiläumsgipfel in Rom Ende März. Doch nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland dürfte es damit schnell wieder vorbei sein. Denn in die Zukunft weisen die Vorschläge aus Brüssel nicht. Im Gegenteil: Sie enthalten sogar eine Option zum Sozialabbau. Ob diese Option gezogen wird, sollen die Staats- und Regierungschefs erst nach den Wahlen diskutieren, vermutlich beim EU-Gipfel im Dezember. Dann dürfte die EU wieder ihr wahres, neoliberales Gesicht zeigen.“