Macron wählen, um Le Pen zu verhindern?
Nach dem ersten Wahlgang in Frankreich ist eine Debatte über das Dilemma der Bürger entbrannt, die Le Pen verhindern, aber auch nicht Macron unterstützen wollen. Während der Drittplatzierte Fillon dazu aufrief, Macron zu wählen, sträubt sich der Viertplatzierte Mélenchon, eine solche Wahlempfehlung zu geben. Kommentatoren sind sich uneins, was vor der Stichwahl am Sonntag die richtige Haltung ist.
Mélenchon-Wähler nicht für dumm verkaufen
Público gehört zu den Medien, die derlei Beeinflussungsversuche scharf kritisieren:
„Fast ausnahmslos wird im Moment versucht, die Stimmen derer, die den ausgeschiedenen Linksaußen-Kandidaten Jean-Luc Mélenchon gewählt hatten, neu zu verteilen. ... Aber jede dieser Stimmen gehört jemandem, der für Mélenchon gestimmt hat. Punkt. Es ist beleidigend und unvernünftig, diese Wähler wie eine Herde behandeln zu wollen. Denn sie haben bereits gegen Emmanuel Macron und Le Pen gestimmt. ... Außerdem sind die Stimmen der Mélenchon-Wähler - wie der bekannte Ökonom Thomas Piketty vor Kurzem mathematisch gezeigt hat - nicht nötig, um Le Pen zu besiegen. Es reicht aus, wenn sie einfach nicht Le Pen wählen. Und sie werden dies bestimmt nicht tun! Einige Mélenchon-Wähler werden natürlich Macron wählen - weil sie es so wollen. Hierin besteht der feine Unterschied.“
Warum Varoufakis Macron unterstützt
Indes hat sich die Liste derer, die zur Wahl Emmanuel Macrons aufrufen, um den früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis verlängert. In einem Gastbeitrag für Le Monde begründet der Linkspolitiker seine Entscheidung:
„Indem die Troika den griechischen Frühling unterdrückte, hat sie nicht nur Griechenland einen Schlag versetzt, sondern auch der Integrität und dem Geist Europas. Innerhalb des Systems war Emmanuel Macron der Einzige, der versucht hat, sich dem entgegenzusetzen. Ich denke, dass es meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die fortschrittsorientierten Franzosen, die bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl abstimmen wollen (oder nicht), sich dessen bewusst sind. Mein persönliches Versprechen an Emmanuel lautet folgendermaßen: Ich werde alles daransetzen, um Ihnen dabei zu helfen, Le Pen zu schlagen. Mit genauso viel Kraft werde ich mich den nächsten Protestbewegungen von Nuit debout anschließen, um mich Ihrer Regierung entgegenzusetzen, sollten Sie als Präsident versuchen, Ihren bereits gescheiterten Neoliberalismus weiter umzusetzen.“
Enthaltung ist brandgefährlich
Jean-Luc Mélenchon ist einer der Hauptverantwortlichen für die gefährlich gewachsene Popularität Le Pens in den jüngsten Umfragen, ärgert sich El País:
„Besonders unverzeihlich ist die Hilfestellung durch die radikale Linke unter Jean-Luc Mélenchon, der mit globalisierungskritischen, europafeindlichen und chavistischen Reden die Forderungen von Le Pen unterstützt. Sein ärgerliches Zögern nach dem ersten Wahlgang, ein Votum gegen Le Pen zu fordern, war für die Rechtsradikalen eine bedauernswerte große Unterstützung. Da bringt es auch nichts mehr, wenn er im letzten Moment vor der großen Gefahr warnt, die vom Front National ausgeht. Er hat den Samen der Enthaltung gesät, derselben Art von Enthaltung, die auch dem Brexit zum Sieg verhalf. Auch einige Konservative fordern offen das Recht auf Enthaltung und verschweigen dabei, dass dies nur Le Pen hilft.“
Bürger nicht bevormunden
Anders sieht das Le Quotidien und erklärt, dass wer Macron seine Stimme gibt, nicht nur eine rechtsextreme Präsidentin verhindert, sondern auch das derzeitige System gutheißt:
„Der frühere Banker ist keineswegs ein Kandidat des Zufalls. Seine Unterstützer, deren Abstammung aus dem linken und rechten Lager klar zu erkennen ist - zumindest bei Angehörigen der Elite - halten Macron für den idealen Kandidaten, um weiterhin ihre Interessen vorantreiben zu können. Sie sehen in ihm einen kontrollierbaren und folgsamen 'Liberalen', der es der französischen Technostruktur [den an Entscheidungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft beteiligten Personenkreisen] erlauben würde, die Grundlagen eines seit mehreren Jahrzehnten fortbestehenden Systems beizubehalten. Für Emmanuel Macron zu stimmen, mag dazu dienen, einen Sieg Marine Le Pens zu verhindern. Es wäre jedoch auch eine Zusage an ein System, das dem Volk diktieren will, was es zu denken und für wen es zu stimmen hat. Lassen wir also denjenigen, die dies wünschen, die Option, sich nicht an der angekündigten Wahl eines vorgefertigten Kandidaten zu beteiligen.“
Macron könnte Le Pen den Weg ebnen
Kolumnist Giannis Kibouropoulos warnt in der Tageszeitung Avgi vor einer politischen Krise nach den Parlamentswahlen im Juni:
„Ein paar Wochen nach dem erwarteten Wahlsieg Macrons könnte es passieren, dass er keine Mehrheit in der französischen Nationalversammlung bekommt. Dies könnte zum einen eine Staatskrise verursachen, zum anderen aber auch eine soziale Krise, wie der Erfolg von Mélenchon und Le Pen bei den Ärmsten und Arbeitslosen zeigt. ... Diese soziale Krise ist der wahre Nährboden für die großen politischen Veränderungen in Frankreich, dieser totalen politischen Wiederaufbereitung. Der neoliberale Politiker Macron könnte sich letztlich - trotz des sicheren Sieges in der zweiten Runde - durch die dritte Runde [Parlamentswahlen] als der große 'Unterstützer' von Le Pen erweisen, mit unvorhersehbaren Folgen für ganz Europa.“
Mélenchons Zurückhaltung ist weise
Eine Wahlempfehlung für Macron muss keine zwangsläufige Reaktion der in der ersten Runde unterlegenen Kandidaten sein, erklärt in Causeur Blogger David Desgouilles am Beispiel des Viertplatzierten Jean-Luc Mélenchon:
„Noch vor einigen Wochen war Marine Le Pen die Kandidatin, die bei jungen Wählern die besten Chancen hatte. Mélenchon hat sie von diesem Platz verdrängt. … Diese Wähler werden nunmehr dem FN ihre Stimme geben. Würde Mélenchon sich klar für Emmanuel Macron aussprechen, würde er sie endgültig verlieren und somit all seine Anstrengungen zunichtemachen. Indem Jean-Luc Mélenchon sich hinsichtlich seiner Wahlentscheidung zurückhält, beweist er, dass er sich mit dem Mehrheitswahlrecht in zwei Gängen auskennt, dessen Logik Demut gegenüber den Wählern verlangt: Manchmal muss man akzeptieren, die zweite Wahl zu sein. Außerdem muss man akzeptieren, dass die eigenen Wähler nach dem ersten Wahlgang eine Entscheidung treffen, die man alles andere als gutheißt.“
Nur Wahl Le Pens wäre echtes Protestvotum
Dass die französischen Wähler wohl nicht konsequent genug sein werden, um Le Pen zu wählen, bedauert die rechtskonservative Wochenzeitung Demokrata:
„Auch Macron ist ein Produkt des Aufbegehrens gegen das bestehende politische System. ... Doch es scheint so, dass die Rebellion in Frankreich nicht so weit führen darf, dass Marine Le Pen zur Präsidentin gewählt wird. Es ist das gewohnte grauenvolle Schmierentheater: In der zweiten Runde schließen sich Linke und Rechte gegen den als extremistisch gebrandmarkten Front National zusammen. ... Gleichwohl ist Marine Le Pen, die im Wahlkampf als Einzige echte Antworten auf echte Fragen gegeben hat, die große Gewinnerin der diesjährigen Präsidentschaftswahl. Von allen Kandidaten trauten die Wähler ihr am meisten zu, gegen Zuwanderung und Terrorismus effektiv vorzugehen.“
Kandidat darf seine Anhänger nicht enttäuschen
Welch hohe Erwartungen Macron nun aufgebürdet werden, analysiert De Standaard:
„Die rasend schnelle Neuaufstellung der französischen Politik um den jugendlichen Sieger der ersten Runde legitimiert das 'Alles-dasselbe'-Argument von Le Pen. Dieses Signal wurde durch die sichtbare Erleichterung der Führer in Europa und im Ausland noch verstärkt. Es gibt nur noch eine Kandidatin außerhalb des politischen Konsenses, und das ist sie. Wenn sie noch einen Trumpf in der Hand hält, dann ist es dieser. ... Es wäre mehr als voreilig, den Schluss zu ziehen, dass die rechtspopulistische Welle in Europa ihren Zenit überschritten hat. Auf Emmanuel Macron ruht also eine große Verantwortung. Eine junge, offene, optimistische Bewegung hat ihn auf den Weg zur Macht gebracht. Vielleicht kann sein erneuertes Frankreich einen europäischen Aufbruch in Gang setzen. Wenn er diese noch frische Bewegung enttäuscht, dann wird ihm das die Geschichte schwer anlasten.“
Sicherheit ist Macrons Achillesferse
Emmanuel Macron tut gut daran, Marine Le Pen nicht zu unterschätzen, mahnt ähnlich Právo und verweist auf die Themen, die den zweiten Wahlgang entscheiden dürften:
„Das Finale Macron gegen Le Pen wird einerseits ein Streit über die Zukunft der EU. Zwischen einem Politiker, der die Integration verteidigt, und seiner Konkurrentin, die aus der Eurozone raus will und ein Referendum über den Verbleib Frankreichs in der EU anstrebt. Das Duell wird zudem ein Streit über Sicherheit und den Kampf gegen den Extremismus. Dieses Thema kann man nach zwei Jahren einer beispiellosen Welle des Terrorismus nicht von der Flüchtlingskrise trennen. Dies ist das As im Ärmel von Le Pen. Macron, der die jetzige Flüchtlingspolitik Brüssels gutheißt, muss - wenn er denn überzeugend gewinnen will - die Franzosen überzeugen, dass er auch Sicherheit garantieren kann. Da hat er eine harte Nuss zu knacken.“
Frankreich klammert sich an seinen Retter
Die Franzosen sehen Macron als den Strohhalm, an den sie sich klammern können, um nicht im Rechtspopulismus zu ertrinken, erklärt Cumhuriyet:
„Weil ein Teil der traditionellen Rechts-Wähler und generell eine große Mehrheit der Links-Wähler - zum Glück - weiterhin den progressiven Neoliberalismus einem reaktionären Populismus vorzieht, wird Macron, fast ohne dass er irgendetwas von Belang gesagt hat und ohne zuvor jemals für ein Amt kandidiert zu haben, unter Berufung auf allgemeine Floskeln zum Präsidenten gewählt. ... Die französische Gesellschaft hat verinnerlicht, dass der Rechtsextremismus fortan ein Grundakteur der politischen Bühne ist und verdrängt das, indem sie sich an einen Retter klammert, der ein nahezu inhaltsloses Programm mit den unablässig wiederholten Worten Erneuerung, Bewegung und Wandel verpackt.“
Die Unzufriedenheit verschwindet nicht
Skeptisch zeigt sich ebenso De Volkskrant und fürchtet, dass Frankreich auch nach einem Sieg Macrons gespalten bleiben wird:
„Ein Land voller Unzufriedenheit, schwer zu leiten und ohne klare Richtung. Le Pen sieht die Schlussrunde als Streit zwischen 'Patrioten' und 'Globalisten' - die noch nie populär in Frankreich waren. ... Immigration und fehlende Grenzkontrollen sind schwierige Themen geworden in dem Land, das Anschläge mitten ins Herz trafen. ... Der Ausnahmezustand bleibt vorläufig in Kraft. Der Blick auf Wahlen anderswo offenbart Parallelen, dieselben Gründe für die Unzufriedenheit. Immigration ist einer, die Wirtschaft ein anderer. ... Während Politiker noch Antworten auf die Megatrends suchen, rechnet der Bürger im Wahllokal bereits ab. Und dabei zweifelt er manchmal am Wert der Demokratie. Macrons Sieg ist erfreulich und hoffnungsvoll. Aber der genaue Blick zeigt: Der Ausnahmezustand gilt eigentlich für den gesamten Westen.“
Botschaft der Hoffnung müssen Taten folgen
Die Zukunft Frankreichs und ganz Europas hängt davon ab, ob Macron nach seiner Wahl echten Wandel bringen kann, meint The New York Times:
„Frankreich steuert vielleicht auf eine neue, zersplitterte politische Ära zu. Doch am Sonntag zeigten die Wähler des Landes, dass sie für Macrons Botschaft der Hoffnung und der damit verbundenen Offenheit für Zuwanderer und Vielfalt empfänglich geblieben sind - und das trotz der jüngsten Terroranschläge und Le Pens dunklen Wahlkampfs. Macron erklärte am Sonntag, dass er 'Präsident von Patrioten' sein wolle, 'um der Bedrohung durch die Nationalisten entgegenzutreten'. Er gibt sich als jener, der nach Jahrzehnten des Scheiterns der Regierenden in Frankreich echten Wandel bringen kann. Das Land steht nun am 7. Mai vor einer schwierigen Entscheidung. Die Zukunft Europas hängt nicht nur davon ab, ob Macron gewinnt, sondern auch davon, ob er danach seine Versprechen einlösen kann.“
Schwächelndem Front National droht Krise
Dass das Wahlergebnis vom Sonntag für den Front National den Beginn einer Zerreißprobe darstellen könnte, glaubt Politikwissenschaftler Florent Gougou in Le Monde:
„Paradoxerweise könnte Marine Le Pens Qualifizierung für die zweite Runde der Präsidentschaftswahl die seit ihrer Übernahme der Parteiführung 2011 in Gang gebrachte Dynamik jäh beenden. Dass sie auf dem zweiten Platz hinter Emmanuel Macron gelandet ist, stellt unbestreitbar ein Scheitern für die Partei dar, die sich rühmte, stärkste politische Kraft des Landes zu sein. Eine deutliche Niederlage im zweiten Wahlgang und die Bestätigung ihres Unvermögens, bei der Parlamentswahl weitere Sitze hinzuzugewinnen, dürfte schwelende Spannungen hinsichtlich der Strategie der Partei aufbrechen lassen. Diese lassen sich grob mit der Konfrontation zwischen der konservativen und auf Identitätsfragen ausgerichteten Linie von [Marine Le Pens Nichte] Marion Maréchal-Le Pen und dem sozial-nationalistischen Kurs [des FN-Vizechefs] Florian Philippot skizzieren.“
Eine großartige Nachricht für die EU
Dank Macron kann die EU gerettet werden, jubelt La Repubblica:
„Für alle diejenigen, die Europa als potentielles Hindernis ihrer eigenen Machtbestrebungen sehen, wäre der Sieg von Marine Le Pen ein Segen, während der Triumph von Emmanuel Macron zweifelsohne ein schreckliches Ärgernis bedeuten würde. Seit dem Tod Mitterrands ist Frankreich von Präsidenten regiert worden, die der Idee der europäischen Integration entweder kühl gegenüber standen, wie Chirac, oder aber zu schwach waren, dieser Integration den entscheidenden Anstoß zu geben, wie Hollande. Ein Sieg von Macron dürfte hingegen eine beachtliche Beschleunigung des Projekts eines Europas der zwei Geschwindigkeiten bedeuten, das Merkel bisher nur skizziert hat. Ein wirtschaftlich, politisch und auch militärisch stärker integriertes, robustes Europa könnte das Mächtegleichgewicht der Welt bedeutsam verändern und zwar zu Ungunsten derjenigen, die von einer schwachen oder nicht existierenden EU träumen.“
Zurück in die Zukunft
Ein Déjà-vu beschreibt Delo nach dem ersten Wahlgang:
„Die Geschichte wiederholt sich nicht zwangsläufig, doch auf eine gewisse Art und Weise stehen die Franzosen nach der gestrigen ersten Runde der Präsidentenwahl wieder im Jahre 2002, als es neben Jacques Chirac auch der Nationalist Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl schaffte, in dieser dann aber auf ganzer Linie verlor. Auch diesmal scheinen die Franzosen auf halbem Wege zur Wahl des neuen Präsidenten 'in die Zukunft zurückgekehrt zu sein' und es bleibt zu hoffen, dass dies am Ende auch so bleibt - dass die Wähler nicht auf Le Pen hereinfallen. Denn entflieht der humanistische europäische Geist aus dem französischen Fläschchen, ist er nirgendwo mehr zu halten. Macron glaubt an ihn, glaubt an das europäische Projekt. Sein möglicher Sieg in der Stichwahl am 7. Mai sollte nicht unser Verderben sein.“
Gefahr noch nicht gebannt
Die Niederlage von Marine Le Pen im zweiten Wahlgang ist nach Ansicht der Neuen Zürcher Zeitung noch nicht ausgemacht:
„Die Ultranationalistin Marine Le Pen steht jetzt auf der Schwelle des Elysées. Sie ist eine Frau des klaren Profils. Auch wenn sie behauptet, sie sei nicht rechts und nicht links, so vertritt sie doch eine rechtsextrem geprägte politische Grundhaltung: Der starke Staat befiehlt, die Bürger haben zu gehorchen. Für Freiheit und Eigenverantwortung ist wenig Raum. ... Für die zweite Runde der Präsidentenwahl am 7. Mai sagen die Meinungsumfragen eine klare Niederlage für Le Pen voraus. Aber auf den 'Front républicain' gegen die extreme Rechte ist kein Verlass mehr, ein Wahlsieg Le Pens liegt im Bereich des Möglichen - falls genügend enttäuschte Bürgerliche zu ihr überlaufen und genügend enttäuschte Linke sich der Stimme enthalten. Um Le Pen überzeugend zu schlagen, wird Macron sein Profil schärfen müssen. Es reicht nicht, nett zu wirken.“
Macrons nächste Schritte ungleich schwerer
Noch längst nicht in trockenen Tüchern ist Emmanuel Macrons Präsidentschaft auch für Lidové noviny :
„Er muss seine Position im zweiten Wahlgang bestätigen, aber auch dann hat er noch nicht gewonnen. Im Sommer nämlich entscheiden die Franzosen über das neue Parlament. Die Erfahrungen zeigen, dass die Wähler dabei nicht automatisch Macron unterstützen müssen. Seine neue Bewegung En Marche! liegt noch in den Windeln. ... Die Franzosen rechnen auch mit der Möglichkeit einer Kohabitation, der Konstellation also mit einem Präsidenten und einem Premier unterschiedlicher politischer Orientierung. Im Extremfall wartet auf Macron die Position eines schwachen Präsidenten, der nur auf die Diplomatie und die Verteidigung wirklichen Einfluss hat. Das wäre für Europa eine schlechte Nachricht. Fast so schlecht wie die, dass Le Pen die Wahl gewonnen habe.“
Frankreichs letzte Chance
Auf die nun sehr wahrscheinliche Präsidentschaft Macrons blickt ebenso Daily Telegraph und sieht diese als letzte Chance, die Extremisten aufzuhalten:
„In Brüssel und Berlin ist die Freude sicher groß, dass vermutlich ein europafreundlicher Kandidat gewählt werden wird. Doch dort ebenso wie im Lager Macrons gibt es keinen Grund zur Euphorie. Frankreich bleibt tief gespalten. Beinahe die Hälfte der Wähler unterstützte Kandidaten, die die EU verabscheuen. Dieses Mal ist es wahrscheinlich, dass den Extremisten der Zugang zur Macht verwehrt bleibt. Doch wenn die Politik in gewohnter Form weitergeht, werden sie bei der nächsten Wahl noch mehr Unterstützung erhalten - vielleicht eine, die zum Sieg reicht. Macron steht daher vor einer gewaltigen Aufgabe: Er hat eine letzte Chance, Frankreich zu reformieren und die totale Ernüchterung rückgängig zu machen, die die Franzosen in Bezug auf ihre politischen Führer empfinden.“
Europa spaltet die Franzosen
Ein zersplittertes Land erkennt nach der ersten Wahlrunde Observador:
„Mit Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon haben sich mehr als 40 Prozent der Franzosen gegen die EU und den Euro ausgesprochen. Also fast so viele, wie mit Emmanuel Macron, François Fillon und Benoît Hamon, für Europa gestimmt haben. Frankreich zeigt sich damit über die europäische Frage genau so zersplittert wie das Vereinigte Königreich im vergangenen Jahr beim Brexit-Referendum. Der große Unterschied ist aber folgender: Während in Großbritannien die traditionellen Parteien das Sagen behalten haben, gelangten in Frankreich erstmals die beiden Parteien, die die Geschichte der Französischen Republik bestimmt haben, nicht in die Stichwahl. … Das Problem ist jedoch nicht nur die Marginalisierung der Gaullisten und der Sozialisten. Das größte Problem ist, dass der proeuropäische Macron und die antieuropäische Le Pen keine echte Alternative darstellen.“