Katerstimmung nach dem Brexit-Dinner
Enthüllungen aus einem vertraulichen Gespräch zwischen der britischen Premierministerin May und EU-Kommissionspräsident Juncker vergangene Woche schlagen immer höhere Wellen. Demnach war bereits vor dem EU-Gipfel bekannt, wie uneins sich beide Seiten hinsichtlich der Brexit-Verhandlungsbedingungen sind. Für Kommentatoren hat die EU bewusst den Streit eskalieren lassen und damit den Brexit-Befürwortern in die Hände gespielt.
EU-Chefs nahmen Eklat in Kauf
Das "Desaster-Dinner" könnte unangenehme Folgen haben, fürchtet die taz, und sieht den Fehler vor allem bei Merkel und den anderen Regierungschefs der EU:
„Sie wussten nämlich ganz genau, dass zwischen ihren Leitlinien und den Plänen Mays noch Welten liegen. Juncker hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel von seinem Treffen informiert und vor dem drohenden Clash gewarnt. Merkel und die anderen Chefs haben jedoch nichts unternommen, um die Lage zu entschärfen. Sie sind nicht auf May zugegangen, sondern haben versucht, sie in die Enge zu treiben. Sie haben keinen Plan B für ein Scheitern der Verhandlungen vorgelegt, sondern geschwiegen. Offenbar war es ihnen wichtiger, Einheit vorzugaukeln. Doch auch die ist eine Illusion. Spätestens wenn es ans Eingemachte geht - ums Geld und um die begehrten EU-Einrichtungen -, droht ein böses Erwachen.“
Eine doppelzüngige EU ohne Manieren
Die EU und ihr Kommissionspräsident Juncker haben sich in den vergangenen Tagen selbst diskreditiert, meint The Times:
„Nach dem Essen in Downing Street vergangene Woche entschied der Brüsseler Hauptakteur aus Luxemburg als aufmerksame Dankesgeste, die deutsche Presse darüber zu informieren, dass May die wahnhafte Bewohnerin einer anderen Galaxie sei. ... Wir sehen auf der einen Seite May, die sich angemessen verhält, ein Abendessen ausrichtet und sich zuvorkommend zeigt, aber gleichzeitig entschlossen ist, sich bei Provokationen nicht herumschubsen zu lassen. Auf der anderen Seite steht die Kommission, die mit Beleidigungen antwortet und 100 Milliarden Euro fordert. ... Diese Doppelzüngigkeit kommt von Leuten, die sich den Euro und die weit geöffneten Schengen-Grenzen ausgedacht haben, die über zehn Millionen Südeuropäer nach dem Euro ins Elend stürzten und halfen, die Bedingungen zu schaffen, angesichts derer 40 Prozent der Franzosen am Wochenende für eine notorische Faschistin stimmen werden. Und sie wagen es, die Briten wahnhaft zu nennen.“
Enthüllungen stärken die Euroskeptiker
Das Brexit-Dinner bedeutet Delo zufolge, dass May in den Verhandlungen noch klarer Kante zeigen wird:
„Die Episode mit Jean-Claude Juncker hat May in den letzten Tagen noch zusätzlich motiviert. Eine Episode, die in Westminster-Kreisen als Fehler der EU bezeichnet wird, den die britischen Wähler nicht so leicht vergessen werden. Sie werden ihn schon deshalb nicht vergessen, weil die Premierministerin und ihr Team die Wähler bei jeder Gelegenheit daran erinnern werden. Der Versuch der EU-Kommission, durch die Veröffentlichung von Details der vertraulichen Gespräche die hohen Erwartungen der Gegenseite zu dämpfen, könnte sich als Geschenk für die britischen Euroskeptiker und all jene erweisen, die glauben, ein Austritt aus der EU ohne Abkommen sei das Beste. Er könnte außerdem die britischen Standpunkte weiter festigen und die Öffentlichkeit in wichtigen, noch offenen Fragen einen. “