Rückschlag für Kataloniens Separatisten
Das spanische Verfassungsgericht hat die Pläne für ein baldiges Unabhängigkeitsreferendum in der autonomen Region Katalonien vorerst gestoppt. Erst einen Tag zuvor hatten die Parlamentarier im katalanischen Regionalparlament ein Gesetz verabschiedet, das den Weg zu einer Volksabstimmung am 1. Oktober frei machen sollte. Ist ihr Ziel richtig und nur ihre Strategie falsch?
Referendum gehört zur Demokratie
Ein Volk abstimmen zu lassen, ist wohl kaum antidemokratisch, kritisiert die separatistische Tageszeitung El Punt Avui:
„Gestern hat der spanische Regierungschef die Gedanken wiederholt, die wir schon in den in Madrid herausgegebenen beziehungsweise aus Madrider Sicht geschriebenen Medien lesen konnten: Es fielen Begriffe wie 'Angriff auf die Demokratie', 'Autoritarismus', 'von Oben auferlegt', 'vor dem Abgrund' oder 'Zerstörung des friedlichen Zusammenlebens'. Alles Allgemeinplätze und Übertreibungen, an die niemand glaubt, der in Katalonien lebt. ... Spanien scheint ein Land zu sein, in dem Parlamentsentscheidungen und Wahlen der Demokratie schaden.“
Katalanen gehen den falschen Weg
Aus Sicht von Helsingin Sanomat ist die Abstimmung im katalanischen Parlament alles andere als vorbildlich abgelaufen:
„Die Art und Weise, wie das Regionalparlament beschlossen hat, das Referendum am 1. Oktober abzuhalten, zeigt den gegenwärtig elenden Zustand der Unabhängigkeitsfront. Es war ein düsteres Omen für Kataloniens mögliche Zukunft als unabhängiger europäischer Staat. … Die Entscheidungen zum Referendum wurden am Mittwochabend ohne die üblichen Anhörungen getroffen. Das Zünglein an der Waage war die kleine linksradikale CUP, weil die für die Unabhängigkeit eintretenden Mitte-Rechts-Parteien bei den Wahlen 2015 nicht die Mehrheit bekamen. Die Katalanen können sich ihre Unabhängigkeit verdienen, aber dies ist dafür ein schlechter Weg.“
Streit reißt Spanien in die Krise
Die Unionisten haben zwar das Gesetz auf ihrer Seite, doch auf Spanien kommen schere Zeiten zu, kommentiert Dagens Nyheter:
„Bereits am Donnerstag wurden die ersten gesetzlichen Schritte gegen die Separatisten ergriffen. ... Diese hoffen auf eine Überreaktion und darauf, dass die Armee bereits auf dem Vormarsch ist. Denn nichts wäre besser, um Sympathien zu sammeln. Mittlerweile verbreiteten sie Mythen über eine Blütezeit nach der Unabhängigkeit und wie die EU nur darauf wartet, sie in die Arme zu schließen. Doch es droht ein brutales Erwachen. Auch wenn derzeit nicht verhandelt wird, ist die Zukunft Kataloniens noch nicht in Stein gemeißelt. ... Katalonien ist tief gespalten, Spanien als Ganzes steckt in der Krise.“
Eingekeilt zwischen den Fronten
Die Mehrheit der Katalanen wünscht sich zwar mehr Unabhängigkeit, lehnt aber einen verfassungswidrigen Bruch mit Spanien ab, ist sich La Vanguardia sicher:
„Ein großer Teil, vermutlich sogar die Mehrheit der katalanischen Gesellschaft, befindet sich zwischen den Extremen. Diese Bürger empfinden sich als Katalanen, aber nicht unbedingt als Separatisten. Sie wünschen sich eine stärkere Position Kataloniens und sie verabscheuen die sture Haltung der Zentralregierung. Dennoch halten sie es für einen schweren Fehler, wenn die separatistische Mehrheit im Regionalparlament das Gesetz brechen will. ... Eingekeilt zwischen den Fronten betrachtet dieser Teil der katalanischen Gesellschaft mit Sorge die Verschlechterung des Zusammenlebens.“
Außerhalb des Gesetzes gibt es keine Demokratie
Auch für den Volkwillen gelten die Gesetze einer Demokratie, erinnert El Periódico de Catalunya an dem Tag, an dem das katalanische Regionalparlament offiziell das Abspaltungsreferendum einberufen will:
„Der in den Schützengräben des Abspaltungsprozesses heraufbeschworene Begriff 'Demokratie' wirkt wie eine stumpfe Waffe. An dem Tag, an dem sich der Frontalzusammenstoß der Institutionen vollziehen wird, lohnt es sich, erneut an Folgendes zu erinnern: Der Akt des Wählens stellt zwar durchaus ein Grundelement der Demokratie dar, doch gleichzeitig gibt es keine Demokratie außerhalb des Gesetzes. Und die Katalonien-Frage muss nicht von den Gerichten, sondern durch politisches Verhandeln gelöst werden. Jahrelange schlechte Politik mündet heute in einen Konflikt der Institutionen.“
Loslösung wird als simpler Schritt verkauft
Die katalanischen Separatisten verleihen dem bevorstehenden Kraftakt einen falschen Anstrich der Natürlichkeit, bemerkt El Periódico de Catalunya:
„Die angestrebte Ernsthaftigkeit des Projekts passt überhaupt nicht zu der großen Eile und Intransparenz, mit der die separatistische Mehrheit des Regionalparlaments das Übergangsgesetz präsentieren und annehmen will. Und die Annullierung durch das spanische Verfassungsgericht wird sie nicht verhindern. 33 Tage vor dem 1. Oktober steuern die katalanischen Separatisten gegen den Wind und gegen die Strömung, um ein Ziel durchzupeitschen, das sie als einfach und schmerzfrei zu erreichen verkaufen, obwohl jeder halbwegs vernünftige Mensch weiß, dass das nicht stimmt.“
Separatisten planen einen Putsch
Was die Katalanen als normales Gesetz verkaufen, ist nichts anderes als ein illegaler Putschversuch, wettert die zentralistische Tageszeitung El Mundo:
„Weil sie wissen, dass die Zentralregierung das geplante Referendum unterbinden wird, haben [die separatistischen Parteien] für dieses weder eine Mindestbeteiligung noch eine Mindestzahl von Stimmen für die Unabhängigkeit festgelegt, damit das geplante Gesetz in Kraft treten kann [im Falle eines 'Ja' für die Unabhängigkeit]. Denn das Gesetz soll unabhängig von dem Referendum ein legales Instrument für einen Staatsstreich bieten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes wird nicht nur die spanische Verfassung ausgehebelt, sondern auch das katalanische Regionalstatut. ... Es handelt sich definitiv um ein Gesetz für einen Putsch, der gegen nationales und internationales Recht verstößt.“
Rajoy muss das Desaster verhindern
Statt wie gelähmt auf den Zusammenstoß zu warten, sollte der spanische Premier Mariano Rajoy verhandeln, fordert La Vanguardia aus der katalanischen Hauptstadt Barcelona:
„Rajoy erklärte einmal, dass es 'manchmal das Wichtigste ist, nichts zu tun'. ... Die Zentralregierung hat entschieden, in den kommenden zwei Monaten nichts zur Verhandlung anzubieten und abzuwarten, zu was die Regionalregierung wirklich fähig ist, der man täglich Aufforderungen schickt, die Vorbereitungen für den Urnengang am 1. Oktober zu stoppen. ... Aber es stimmt nicht, dass man bis zum Tag nach dem Referendum nichts tun kann. Es gibt immer Handlungsspielraum. Und alle Bürger dieses Landes haben ein Recht darauf, sicher zu sein, dass man wenigstens versucht hat, ein Desaster zu verhindern.“
Referendum wird keine Klarheit schaffen
Selbst wenn das Referendum stattfinden sollte, wäre der Wille des Volkes damit nicht geklärt, gibt El Periódico de Catalunya angesichts neuer Meinungsumfragen zu bedenken:
„Einerseits ist die Unterstützung einer Abspaltung rückläufig (41,1 Prozent sind für ein unabhängiges Katalonien, 49,4 Prozent dagegen). Das hat sich in den vergangenen Monaten klar als Trend abgezeichnet. Andererseits gewinnt das Ja klar unter denjenigen, die am Referendum teilnehmen wollen, die immerhin 67,6 Prozent der Befragten ausmachen. ... Aus der Studie geht hervor, dass ein Großteil der Abspaltungsgegner am 1. Oktober nicht wählen will. ... Das lässt erahnen, dass selbst wenn die Abstimmung trotz aller Widrigkeiten am 1. Oktober stattfindet, der Prozess damit nicht abgeschlossen sein wird, sondern in eine neue Phase eintritt.“
Ein Europa der 50 Dänemarks?
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung könnte zum Problem für Europa werden, warnt Le Figaro:
„Zu einem Zeitpunkt großer zivilisatorischer Herausforderungen und der Rückkehr der Großmächte erscheint uns der Zerfall Europas gefährlich. Sicher versteht man den Wunsch der Katalanen, ein 'Dänemark des Südens' sein zu wollen. Aber das Europa der 28 oder 27 hat schon jetzt kein großes Gewicht auf dem internationalen Parkett. Wie wäre es, wenn es nunmehr aus 40 oder 50 Dänemarks bestehen würde, wenn nach den Schotten und den Katalanen die Bewohner Tirols, die Wallonen, die Bayern, die Korsen, die Bretonen und eine Reihe zentraleuropäischer Minoritäten vom emanzipatorischen Fieber angesteckt würden? ... Unsere alten Länder müssen sich neu erfinden, um ihren Völkern wieder zu gefallen.“