Hotspots in Nordafrika? Paris prescht vor
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Donnerstag angekündigt, noch im Sommer sogenannte Hotspots in Libyen einzurichten - um nur wenige Stunden später von diesem Vorstoß abzurücken. Die Sicherheitslage lasse dies im Moment nicht zu, hieß es aus dem Elysée-Palast. Man wolle aber die Machbarkeit im Grenzgebiet von Libyen, Niger und dem Tschad prüfen. Für Europas Kommentatoren ein Anlass, Für und Wider einer solchen Asylpolitik zu diskutieren.
Viel Potenzial, viele Risiken
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann den Vorschlägen Macrons einiges abgewinnen:
„Es ist offenkundig, was für solche Stellen spräche: Schon dort könnten sich Asylbewerber melden; jene Migranten aber, die keinerlei Aussicht auf Bleiberecht in Europa hätten, könnten von der gefährlichen Überfahrt abgehalten werden; Schleusern würde, wenigstens zum Teil, das Geschäftsmodell zerschlagen. Allerdings wäre vieles zu klären: Nach welchen Regeln und unter wessen Aufsicht würden solche Stellen betrieben? Müsste in Libyen, einem zerfallenen Staat, nicht eine militärische Komponente präsent sein? Und würden solche Stellen nicht wie Magnete wirken, die Migranten von wer weiß woher anziehen? Eins ist klar: Wer die Völkerwanderung eindämmen will, muss auch bei den Anreizen ansetzen.“
An die Wurzel des Problems gehen
Auch Le Figaro gefällt die Idee von Hotspots in Libyen:
„Es geht darum, das Problem an der Wurzel zu packen, und zwar auf dem afrikanischen Kontinent, anstatt innerhalb unserer Grenzen, wenn es bereits zu spät ist. … Dies wird selbstverständlich nicht ausreichen, um das komplexe und langwierige Problem zu beseitigen, zumal das Eröffnen von Einrichtungen auf libyschem Gebiet eine heikle Angelegenheit ist - vor allem wenn die Europäer, die in Sachen Flüchtlingspolitik oft bemerkenswert ineffizient sind, nicht mitmachen oder das Ganze schleifen lassen.“
Eine Frage der Moral
Wer den Flüchtlingsstrom durch Hotspots in Nordafrika eindämmen will, muss auch die moralische Verantwortung dafür tragen, mahnt der Kurier:
„Wir werden Hunderttausende in ein Land zurückschicken, in dem sie ... misshandelt, vergewaltigt und ihrer letzten Habe beraubt werden und unter Bedingungen hausen, die jeden, der sie gesehen hat, vor Entsetzen verstummen lassen. Wir machen uns zu Partnern von bewaffneten Milizen, respektive eines Diktators, der Menschenrechte mit Füßen tritt. Wenn die Politik meint, auf diese Weise ihre Bevölkerung vor illegaler Zuwanderung schützen zu müssen, ist das legitim. Sie muss aber auch offen dazu stehen, dass Menschenrechte dabei keine Rolle spielen.“
Macrons riskante Wette
Il Sole 24 Ore glaubt, dass Paris mit Libyen letztlich einen Flüchtlingsdeal aushandeln will - und mahnt zur Vorsicht:
„Frankreich hat enorme Probleme mit seiner Integrationspolitik und versucht sie auf seine Weise zu lösen: Es schließt seine Häfen und sucht verzweifelt jemanden vor Ort, von [Militärführer] Haftar bis zum [Ministerpräsident der Übergangsregierung] al-Sarradsch, der bereit ist, die schmutzige Arbeit zu machen. Denn genau das bedeutet es, Hotspots in Libyen einzurichten. ... Nach Deutschland, das die Balkanroute dank des Deals mit Erdoğan geschlossen hat, versucht Paris den gleichen Weg in Nordafrika und der Sahelzone zu gehen. Damit geht es eine riskante Wette ein: Die Libyer könnten sich weitaus tückischere Erpressungen ausdenken als Erdoğan.“