Flucht nach Italien: Bleibt die EU tatenlos?
Die Balkanroute ist abgeriegelt, doch das Problem in keiner Weise gelöst: In Italien sind bereits über 90.000 Migranten angekommen, mehr als 2.000 sind im Mittelmeer ertrunken. Die Flüchtlingsretter auf hoher See sieht Rom zunehmend kritisch, Innenministerium und NGOs streiten derzeit über einen Verhaltenskodex für ihren Einsatz. Kommentatoren sehen sowohl bei NGOs als auch der EU Handlungsbedarf.
NGOs handeln unverantwortlich
La Stampa ist empört über die ablehnende Haltung der meisten Hilfsorganisationen zum Verhaltenskodex:
„Mit ihrer politischen Kurzsichtigkeit haben Italiens Freunde und Partner das Land im Stich gelassen. Zu den Freunden zählte die italienische Regierung die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) - und tut es weiterhin. ... Doch gestern haben die NGOs die Grenze des Annehmbaren überschritten. Das Innenministerium hatte unmissverständlich klar gemacht: Italien beabsichtigt nicht, die Rettungsaktionen im Meer zu verbieten. Der Verhaltenskodex soll kein Hindernis sein, sondern ihre Aktivitäten vernünftig regeln. Eine der angesehensten und seriösesten Organisationen, Save the Children, hat den Kodex mit lobenswertem Verantwortungsgefühl unterzeichnet. Die Verweigerung der anderen ist entsprechend nicht zu rechtfertigen und grenzt - unter dem Aspekt der Sicherheit - an Verantwortungslosigkeit.“
Anti-Flüchtlingspolitik der EU nährt Neonazismus
Seit Kurzem sind auf dem Mittelmeer nicht nur Boote von NGOs unterwegs, die Flüchtlinge in Seenot retten wollen, sondern auch das von der rechtsextremen Identitären Bewegung gecharterte Schiff C-Star. Es will unter dem Motto "Defend Europe" Flüchtlinge abfangen und zurück nach Afrika bringen. Das Webportal Imerodromos zieht mit Blick auf diese Aktion einen Vergleich:
„Die Aktion der Identitären Bewegung unterscheidet sich nicht wesentlich vom Umgang der offiziellen staatlichen und der EU-Behörden mit Flüchtlingen und Migranten. Die offizielle Politik der 'Rückführungen' ist nichts anderes, als das, was die Faschisten der C-Star tun. Diese Gleichsetzung ist interessant, weil es einerseits den reaktionären Charakter der Europäischen Union zeigt und anderseits beweist, dass die Anti-Flüchtlings- und Anti-Migranten-Politik der EU den Neonazismus und Faschismus füttert.“
Hier werden die Falschen verdächtigt
El País nimmt die in der Diskussion immer wieder kritisierten NGOs in Schutz:
„Dass die italienischen Behörden den im Mittelmeer rettenden NGOs einen Verhaltenskatalog vorschreiben und ihnen bei Verstößen mit einem Einlaufverbot für italienische Häfen drohen, ist ein schwerer Fehler. Man stellt die NGOs damit unter Generalverdacht, mit den Schleppern zu kooperieren. Dabei erfüllen sie nur die Aufgaben der Rettung, die die EU-Behörden vernachlässigen. Tausende durch diese Organisationen gerettete Flüchtlinge und Migranten beweisen die Notwendigkeit ihres Handelns. Während die Ertrunkenen und Verschwundenen beweisen, dass ihre Hilfe nicht ausreicht, um das Unglück zu verhindern. Dass die Schleppermafia die Präsenz von Rettungskräften ausnutzt, ist traurig, aber unter keinen Umständen Schuld der NGOs.“
Europa braucht ein Einwanderungssystem
Europa wird sich dauerhaft auf eine wachsende Zahl von Einwanderern einstellen müssen, prophezeit Helsingin Sanomat:
„Das Bevölkerungswachstum und der Klimawandel erhöhen den Auswanderungsdruck in Afrika und in den Konfliktgebieten im Nahen Osten. … Ein großer Teil derjenigen, die in diesem Jahr Italien erreicht haben, kommt aus Ländern Afrikas und erhält in der Regel kein Asyl. Viele suchen in Europa Arbeit und beantragen Asyl, wenn sie von den Behörden aufgegriffen werden. Das Asylsystem wird missbraucht, weil es keine legalen Wege nach Europa gibt. Statt über Feineinstellungen zu debattieren, sollte sich auch Finnland mehr damit auseinandersetzen, wie das System an sich aussehen sollte. Ansonsten werden Finnland und Europa auf die Zukunft schlecht vorbereitet sein.“
Das Grauen wird zur Gewohnheit
Protagon wundert sich, wie gleichgültig Medien und Öffentlichkeit auf das Sterben der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer reagieren:
„Die Tragödien in der Ägäis hören nicht auf. Die Lage in den Flüchtlingshaftlagern wurde nicht besser. ... Aber warum haben wir uns an das Grauen gewöhnt? Man würde meinen, dass die Menschen müde geworden sind, Nachrichten über Flüchtlinge zu hören. Andere werden die Verantwortung auf die Medien schieben, die nicht wie früher diese Nachrichten auswerten. … Tatsache ist, dass nur wenige Menschen ein Interesse an dem haben, was in den Flüchtlingslagern geschieht. Nur wenige wären von einer neuen großen Tragödie in der Ägäis schockiert. Gegen das Schaudern, das sich immer wiederholt, stumpft man ab.“