Will London jetzt den weichen Brexit?
Großbritannien hat der EU eine temporäre Zollunion für die Zeit nach dem Brexit vorgeschlagen. In einer bis zu dreijährigen Übergangsphase soll der Handel mit den europäischen Nachbarn unverändert bleiben. Offenbar setzt sich die Vernunft in London durch, freuen sich einige Kommentatoren. Andere warnen davor, den Briten zu sehr entgegen zu kommen.
Politischer Sieg für Hammond
Eine zeitlich begrenzte Übergangsphase wird die schlimmen wirtschaftliche Folgen des Brexit zumindest abmildern, lobt The Guardian:
„Was der britische Vorschlag in der Praxis bedeuten soll, bleibt unklar. Doch er ist ein politischer Sieg des Schatzkanzlers Philip Hammond. Dieser bemüht sich sehr, die Regierung vor der verrückten Bereitschaft der Premierministerin zu retten, Großbritannien eher im März 2019 mit dem EU-Austritt vom Klippenrand zu stürzen als sich mit der [EU-kritischen Boulevardzeitung] The Daily Mail anzulegen. Sein Vorschlag bedeutet auch, dass Mays Mantra, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal, nun im Mülleimer der Geschichte gelandet ist.“
Langsam setzt sich die Vernunft durch
Der Vorschlag einer zeitlich begrenzten Zollunion ist ein Schritt in die richtige Richtung, freut sich Helsingin Sanomat:
„Endlich gibt es ein Ziel, über das verhandelt werden kann. Großbritannien will mit der EU nach dem Austritt für mindestens drei Jahre auf Basis von Zollabkommen Handel treiben, damit die gegenwärtige Situation möglichst lange bestehen bleibt. Das kann dahingehend gedeutet werden, dass sich der weiche Brexit und die Vernunft langsam in der britischen Regierung durchsetzen. ... Großbritannien scheint nicht mehr auf der Bewahrung seiner bisherigen Vorteile zu bestehen: Denn Zollabkommen sind für den Handel keine so gute Lösung wie der freie Zugang zum Binnenmarkt für EU-Mitglieder. Großbritannien will aber die Zollunion auf bilateralen Handelsverträgen fußen lassen. Das wird kaum gehen.“
Der harte Brexit ist tot
Auch El País freut sich über den jüngsten Vorstoß:
„Es ist der offizielle Totenschein für den harten Brexit. Der Beweis dafür, dass die Grundrichtung in London nicht mehr von der geschwächten May, sondern vom stärker werdenden [Schatzkanzler] Hammond bestimmt wird. Und vor allem das klare Eingeständnis, dass ein drastischer Bruch mit Europa wahrscheinlich eine große Krise auslösen würde. ... Die ersten Reaktionen der EU sind korrekt: ausgestreckte Hand gegenüber Londons Rückkehr zum Realismus; Beharren darauf, dass der endgültige Status erst diskutiert wird wenn Schlüsselfragen wie Einwanderung und Kosten für die Trennung geklärt sind. ... Ohne zu vergessen, dass es unmöglich ist, zugleich innerhalb und außerhalb der Union zu sein.“
Den Briten nicht zu sehr entgegenkommen
Bei allem Verständnis für die Briten sollte die EU in erster Linie an sich selbst denken, mahnt Hospodářské noviny:
„Es ist keine große Überraschung, dass die britischen Geschäftsleute mit ihren Vorstellungen Druck auf die Regierung ausüben. Sie wollen schlicht den Beginn der Zeit der Unsicherheit hinauszögern. Doch was gut für die Briten ist, muss noch lange nicht gut für die EU sein. Deren Priorität muss eine andere sein. Beispielsweise sollte erst ausverhandelt werden, wie die Grenze zwischen Nordirland und Irland funktionieren soll. ... Es gibt auch keine Fortschritte in der Frage der früheren finanziellen Verpflichtungen der Briten gegenüber der Union. ... Für den Zusammenhalt der Europäischen Union wäre es sehr schlecht, den Briten zu sehr entgegenzukommen. Da sie sich die Suppe selbst eingebrockt haben, sollen sie sie auch auslöffeln.“