Wollen die Deutschen keinen Wechsel?
Umfragen und Medienberichte sprechen eine klare Sprache: Ihnen zufolge ist Angela Merkel und den Unionsparteien der klare Sieg bei der Bundestagswahl am Sonntag nicht mehr zu nehmen. Dass sich in Deutschland nach zwölf Jahren Merkel noch immer kein Wechsel abzeichnet, erstaunt einige Journalisten, die der Kanzlerin schwerwiegende Fehler vorhalten. Andere glauben, dass eine weitere Amtszeit Merkels der gesamten EU Stabilität schenken kann.
Es fehlt der Wahlkampf für Europa
Kritik daran, dass Merkel nicht stärker für Europa wirbt, kommt von der Frankfurter Rundschau:
„Sie hat wie kein Kanzler vor ihr von den Vorzügen der EU profitiert, die der deutschen Exportwirtschaft so glänzende Absatzbedingungen bietet. Ihre Partei hat die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank kritisiert wie keine andere, während ihre Regierung davon profitierte wie keine andere. Hat die Kanzlerin das ihren Bürgern je erklärt? Ist sie der Legende entgegengetreten, Deutschland sei der größte Lastenesel der EU, während seine Bürger doch die größten Nutznießer sind? Sicher, es gibt keine europafeindlichen Äußerungen von ihr. Und Begeisterung zu zeigen, ist nicht ihre Sache. Aber sie gestaltet die europäische Erzählung auch nicht verständlicher oder interessanter.“
Kanzlerin der Lobbyisten
Der Umgang der Kanzlerin mit dem Dieselskandal empört den Kolumnisten George Monbiot in The Guardian:
„Merkel hat eine fatale Schwäche: Sie lässt sich vom machtvollen Lobbying der deutschen Industrie in die Knie zwingen. Wann auch immer es ein wichtiges Problem zu lösen gibt, wägt sie zwischen ihren moralischen Vorstellungen und einem möglichen politischen Vorteil ab. Und stets entscheidet sie sich für den politischen Vorteil. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass Europa nun in Dieselabgasen erstickt. ... Der 'Fehler' der Hersteller von Dieselautos, wie Merkel es nennt, 'gibt uns nicht das Recht, die gesamte Branche ihrer Zukunft zu berauben'. Stattdessen beraubt sie mit ihrer Politik tausende Menschen ihres Lebens.“
In Deutschland und der EU läuft es gut
Für Jutarnji list wäre ein Sieg Merkels eine gute Nachricht:
„Es ist fast sicher, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die der angesehene Timothy Garton Ash nach Trumps' Sieg in den USA als 'Leaderin der freien Welt' bezeichnete, auch nach der Wahl an der Macht bleibt. Sie bietet für Deutschland und die EU Sicherheit und Stabilität. Für Deutschland und die EU laufen die Dinge so gut wie schon lange nicht mehr. Deutschland hat in seiner Leistungsbilanz einen Überschuss von 300 Milliarden [Dollar] und eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit; in der EU ist kein Mitglied mehr in der Rezession, es werden neue Arbeitsplätze geschaffen und das Vertrauen in die Union wächst.“
Im Mainstream leidet die Demokratie
Wer Merkel loswerden will, muss die radikalen Kräfte wählen, erklärt Publizist Zoltán Szalai auf dem Meinungsportal Mandiner:
„Merkel machte jüngst deutlich, dass sie nach der Wahl nur mit SPD, FDP und den Grünen zu kooperieren bereit sei. Wer also Merkel abwählen will, muss entweder für die postkommunistische und offen marxistische Linkspartei oder die teils rechtsradikale AfD stimmen. ... Die Mainstream-Parteien sind sich zum Verwechseln ähnlich, was beim TV-Duell zwischen Merkel und Schulz besonders augenfällig war. Hinzu kommt die eklatante Selbstzensur der maßgeblichen Medien. Und es gibt noch weitere Symptome für die Krise der deutschen Demokratie: die Umstände beim Vertuschen der Gewalt in Köln, die Tabus bei den politischen Talkshows, die den öffentlichen Diskurs beherrschen, die völlige Vermischung der Wählerschaften von CDU und SPD und so weiter und so fort.“
Eigentlich wollen die Wähler neue Gesichter
Die deutsche Politik braucht neue Gesichter, analysiert T24:
„Während die Welt eine digitale Revolution erlebt, wird die Bevölkerung Deutschlands immer älter. Anderswo treten Politiker mit innovativen Ideen auf die Bühne, wie Justin Trudeau in Kanada, Emmanuel Macron in Frankreich und sogar Sebastian Kurz in Österreich, doch Deutschland kann keine Alternative für Merkel finden. Es herrschte Hochstimmung in der politischen Arena, als die SPD im Januar bekanntgab, dass Martin Schulz ihr Kanzlerkandidat ist. Aber leider hielt diese Stimmung nicht lange an. Denn die Sozialdemokraten haben eine innovative Politik angekündigt, diese aber nicht mit Inhalten füllen können. Die ersten Reaktionen auf Schulz zeigten lediglich, wie sehr es den deutschen Wähler nach etwas Neuem dürstet.“
In Italien wäre Merkel chancenlos
In Italien würde es Angela Merkel gewiss nicht zur Regierungschefin bringen, bemerkt Corriere della Sera:
„All das, was sie in Deutschland strahlen lässt, so dass sie am Ende ohne Gegner dasteht, würde sie hier zum Untergang verurteilen. Ihre Rhetorik zum Beispiel. Platt und langweilig wie sie ist, würde sie dem Vergleich mit dem aggressiven männlichen Ton unserer Schreihälse nicht standhalten. Ihre Tendenz zum Kompromiss würde als mangelnde Entscheidungsfreudigkeit aufgefasst. Und dann führt die Frau auch noch seit zwölf Jahren Koalitionsregierungen - etwas, das bei uns verachtet wird, weil Koalitionen hier zu politischer Instabilität führen. Eine Qualität hat Angela jedoch mit italienischen Politikern gemein: Sie weiß ihren Gegnern die Themen zu rauben. Nach Fukushima hat sie die Atomkraftwerke geschlossen und die Grünen auf dem Trockenen gelassen. Und sie hat für die Einführung der Homo-Ehe gesorgt, während sie selbst dagegen stimmte.“