Hat die EU auf Mafia-Insel Malta weggeschaut?
Nach dem Mord an der populären maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia haben mehrere Europaabgeordnete die EU-Kommission in die Pflicht genommen. Sie warfen Brüssel vor, nichts gegen Korruption und Kriminalität auf Malta unternommen zu haben. Auch europäische Zeitungen drängen darauf, dass aus dem Mord Konsequenzen gezogen werden.
Wo Regeln nichts gelten, nistet sich Mafia ein
Interessant ist zu beobachten, wie Brüssel auf den Mord reagiert, findet Protagon:
„In ihren Analysen hat Galizia beschrieben, wie der kleine Inselstaat - der vor ein paar Monaten die EU-Präsidentschaft innehatte - an kriminelle Organisationen übergeben wurde und zum Rückzugsort der internationalen Mafia wurde. … Aber dieser kleine Staat, in dem Journalisten ermordet werden, ist auf jeden Fall Europa. Und hier könnte es sein, dass Galizias Mörder einen Fehler gemacht haben. Ihr Tod hat - zusätzlich zu einer internationalen Welle der Wut - eine Reaktion der EU ausgelöst. Vielleicht entscheidet sich Brüssel nun dafür, etwas gegen Phänomene wie in Malta zu tun, wo die Gleichgültigkeit gegenüber den 'Regeln', die die nördlichen EU-Partner immer wieder erwähnen, dazu geführt hat, dass das organisierte Verbrechen ein ganzes Land zu seiner Basis macht.“
Antikorruptionskampf ist nur eine Floskel
Dass der Mord an der Investigativjournalistin Fragen für die gesamte EU aufwirft, glaubt Daily Sabah:
„Der Kampf gegen die Korruption ist einer der wichtigsten Werte der EU. Nachdem die von Galizia untersuchte Geschichte zu ihrem Tod führte, ist man neugierig, was für Schritte die EU in Bezug auf dieses Problem in Malta unternehmen wird. Ist Malta die einzige Ausnahme in der EU, die stets vorgibt, der Welt ein Beispiel zu sein? Das sind die Dinge, die wir alle nun wissen wollen. ... Vor der Pressefreiheit muss die EU nun zuallererst das Leben von Journalisten schützen. In der EU darf das Berichten über Korruption nicht zu einem derart tragischen Ende führen.“
Maltas Journalisten systematisch eingeschüchtert
Die Einschüchterung von Medienvertretern hat in Malta Tradition, klagt Kolumnist Andrew Azzopardi in The Malta Independent:
„Was Montagnachmittag passierte, war nicht nur ein Akt der Aggression, sondern ein Angriff auf uns alle, die wir versuchen, Ideen zu artikulieren, Missstände aufzudecken, Fragen zu stellen und soziale Zusammenhänge zu verstehen. Hier geht es nicht nur um die Ermordung von Daphne Caruana Galizia, sondern um einen Staat, der nicht imstande war, uns zu schützen. Es geht um jene Institutionen, die durch systematische verbale Anfeindungen geschwächt worden sind. ... Die Einschüchterung, das Mobbing, das Unter-Druck-Setzen und die Nötigung, der Journalisten und andere Medienleute ausgesetzt waren und immer noch sind, sind keine neue Situation.“
Pressefreiheit unter Beschuss
Kristeligt Dagblad lässt der Mord darüber nachdenken, ob die Pressefreiheit derzeit zu vielen Gefahren ausgesetzt ist:
„Es sah aus, als ob das westliche Freiheitsverständnis mit dem Recht der Medien, frei kritisieren zu können, sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus habe ausbreiten können. Aber jetzt hat eine zunehmend autoritäre und nur auf die eigenen Vorteile bedachte Politik Wind in den Segeln. Hinzu kommt die digitale Entwicklung. Giganten wie Google und Facebook tragen nicht viel zu einer kritischen Presse bei, aber die Gewinne für die Anzeigen gehen nicht mehr an den Journalismus, sondern an die Aktionäre. … Pressefreiheit ist nicht nur ein juristischer Rahmen. Sie ist nicht nur durch Gesetzgebung aufrechtzuerhalten, sondern erfordert eine Zivilgesellschaft. ... Wir müssen versuchen, die Kultur der Pressefreiheit zu bewahren.“
Ernstes Imageproblem
Malta ist ein Rückzugsort für das organisierte Verbrechen, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Das politische System auf der Mittelmeerinsel ist durch und durch korrupt. ... Malta war in den letzten Jahren nicht nur eine populäre Destination für Steuerhinterzieher und Geldwäscher, sondern auch eine Drehscheibe für den internationalen Drogenhandel und den Schmuggel von Waffen und Prostituierten. Zudem ist die Insel ein beliebter Rückzugsort für gesuchte italienische Mafiosi und geflüchtete Repräsentanten des Gaddafi-Regimes in Libyen. Kurz, auf der Insel ist sehr viel Geld im Umlauf, mit dem nicht nur Beamte und Politiker bestochen, sondern auch Auftragskiller angeheuert werden. Wenn man in ausländischen Medien auch selten davon liest und hört, sind Autobomben und Mordkommandos auf Malta eine bewährte Methode, um wirtschaftliche Konkurrenten oder andere missliebige Personen loszuwerden.“
Harte Prüfung für Maltas Demokratie
Es liegt nun an jedem einzelnen Bürger des Landes, den Kampf gegen Korruption und Intransparenz in Malta fortzuführen, mahnt The Malta Independent:
„Daphne Caruana Galizia muss jemanden mit sehr viel Macht und Einfluss mächtig genervt haben. Und diese Person wollte das gerächt wissen. ... In allen sozialen Medien haben Menschen [nach dem Mord] darüber geklagt, dass es sich um einen schwarzen Tag für Malta gehandelt habe und dass die Demokratie in Gefahr sei. Es war tatsächlich ein schwarzer Tag. Doch ob die Demokratie weiterbestehen kann oder nicht, hängt von jedem einzelnen Malteser ab. Nach dem Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Frankreich haben wir 'Je suis Charlie' bekundet. Heute rufen wir 'I am Daphne'. Ihr Mut und ihre Tatkraft sollten uns alle inspirieren.“
Lästige Enthüllerin zum Schweigen gebracht
Die Ermordung der Journalistin ist ein schwerer Schlag für die Demokratie in Malta, klagt Times of Malta:
„Die Verbrecher befinden sich auf dem aufsteigenden Ast, die Feinde der Demokratie jubeln. Wir müssen nun nicht nur herausfinden, wer Daphne Caruana Galizia getötet hat, sondern auch, was zu diesem barbarischen Akt geführt hat. Alle, die nun lauthals darüber klagen, dass der Meinungsfreiheit ein schwerer Schlag zugefügt wurde, sollten sich nüchtern vor Augen führen, mit was Caruana Galizia schon vor ihrer Ermordung ständig zu kämpfen hatte. Immer wieder neu wurde sie angehalten, endlich den Mund zu halten. Alle möglichen Dinge wurden ihr angedroht. Nun wurde sie zum Schweigen gebracht. Und damit die Suche nach der Wahrheit gestoppt.“
Leider keine Fiktion
Der Tod von Daphne Caruana Galizia und seine Hintergründe bieten Stoff für einen Thriller, findet La Stampa:
„Schmiergelder aus Aserbaidschan für die Gattin des Premiers, um die Unterzeichnung millionenschwerer Energieabkommen zu ölen. Der Präsident einer Bank, der mit Koffern voller Papiere durch den Hintereingang flieht. ... Steuerbegünstigung ausländischer Unternehmen. Internationaler Drogenhandel. Ein Auto, das in die Luft geht und in dem eine Frau getötet wird, nämlich genau die Journalistin, die mit ihren Nachforschungen die dunkelsten Machenschaften in Malta aufgedeckt hatte. Was wie ein Thriller klingt, ist Realität.“