Kritik an Standortentscheidung für EU-Behörden
Nach dem Brexit müssen zwei EU-Behörden ihren Standort wechseln. Wie am Montag entschieden wurde, zieht die EU-Bankenaufsicht (EBA) von London nach Paris um, die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) nach Amsterdam. Was einige Kommentatoren freut, ist für andere eine herbe Enttäuschung und Symbol einer tiefen Spaltung der EU.
Osteuropa, das ungeliebte Stiefkind der EU
Mit der Standortentscheidung zugunsten von Paris und Amsterdam hat sich die EU davor gerettet, dass Mitarbeiter der betroffenen EU-Agenturen massenhaft gekündigt hätten, weil ihr Arbeitsplatz in ein osteuropäisches Land verlegt worden wäre, mutmaßt Club Z und findet das bezeichnend:
„Das sagt doch alles über die Diskrepanz zwischen den Worten der politischen Führung in der EU-Kommission und den Taten ihrer hoch bezahlten Beamten. Der Brexit hat die 27 einander vielleicht nähergebracht, aber er hat auch das Potenzial, sie zu spalten. Der Poker um EMA und die Bankenaufsicht ist nur der Anfang. Als nächstes kommt das Geschacher um die Nachfolge der Londoner City und wer wieviel aus dem EU-Haushalt ausgeben darf. Es zeichnet sich ein erbarmungsloser Kampf ab.“
Noch immer keine Gleichberechtigung
Ein tiefer Graben trennt die „neuen“ und die „alten“ EU-Mitgliedsstaaten, bemerkt auch Jutarnji list:
„Was diese Abstimmung kennzeichnet, ist nicht das dramatische Finale, sondern eine unangenehme Wahrheit: die tiefe Spaltung der EU in Ost und West. Nicht nur, dass kein Kandidat aus dem Osten der EU gewonnen hat. Es ist noch nicht mal ein osteuropäischer Kandidat in die zweite Runde gekommen, also unter die besten drei Bewerber für eine der zwei Agenturen. ... Die neuen Mitglieder verstehen das als Beweis dafür, dass sie nicht gleichberechtigt sind und dass weiterhin die alten, reicheren Mitgliedsstaaten bevorzugt werden.“
Amsterdam gewinnt und verliert
De Telegraaf frohlockt über den Umzug der Europäischen Arzneimittelbehörde nach Amsterdam, warnt aber auch vor blinder Vorfreude:
„EMA wird tausende Arbeitsplätze schaffen, sowohl in der Zentrale selbst als auch in ihrem Umfeld. Jede Menge hochqualifizierte Arbeit, aber auch etwa 1.500 Stellen im Gaststättengewerbe, im Bereich Sicherheit und in der Kinderbetreuung. Der Erfolg, die EMA nach Amsterdam geholt zu haben, darf aber nicht die gleichzeitigen Gefahren des Brexit überschatten. Derselbe Brexit, der die EMA aus London geholt hat, kann unserer Wirtschaft auch großen Schaden zufügen. Denn zwischen den Niederlanden und Großbritannien gibt es sehr starke Handelsbeziehungen.“
Schlecht für Europas Glaubwürdigkeit
Mit dem Losverfahren tut sich die EU keinen Gefallen, wettert Corriere della Sera:
„Die Methode ist, gelinde gesagt, schwachsinnig und über die Maßen heuchlerisch. Da verlangt man von den Bewerberländern umfangreiche und technisch ausgefeilte Dossiers, nur um diese dann in einer Pattsituation völlig zu ignorieren und das Los entscheiden zu lassen. … Welchen Nutzen ein derart absonderliches Prozedere für die Glaubwürdigkeit Europas und die EU-Empathie der Bürger haben soll, bleibt ein Mysterium.“
Eine lächerliche Wahl
Mailand wäre der naheliegende Standort für die Europäische Arzneimittelagentur gewesen, schimpft Il Sole 24 Ore. Mit der Wahl per Los habe sich die EU international lächerlich gemacht:
„Mailand ist die Schnittstelle zwischen Industrie und technologischer Avantgarde, und das hätte die EU honorieren müssen. Dass Mailand nicht gewählt wurde, zeigt, wie hier erst die wirtschaftliche Spezialisierung der Kandidaten zur Ware auf dem Markt der EU-Mitgliedsstaaten gemacht wird, nur um sie dann in einer vollkommen unverständlichen Prozedur dem Hohn preiszugeben. Man kann sich leicht das spöttische Lächeln von Washington, Moskau und Peking ausmalen. ... In einer Welt der Post-Globalisierung ist die EU ein politischer und institutioneller Zwerg, der auf den Schultern anderer Zwerge sitzt, nämlich der Länder, die diese Gemeinschaft bilden.“