Wie kann Europa seine Afrikapolitik neu denken?
In Abidjan, größte Stadt der Elfenbeinküste, kommen bis zum heutigen Donnerstag die Staats- und Regierungschefs von Afrikanischer Union und Europäischer Union zusammen. Dort beraten sie über die Zukunft der EU-Afrika-Beziehungen und Investitionen für die Jugend. Einige Beobachter bewerten den Gipfel und auch Macrons Afrika-Reise vor dem Treffen vorsichtig optimistisch.
Die große Chance
Andrea Riccardi, Historiker und Gründer der katholischen Menschenrechtsorganisation Sant'Egidio, hofft in Corriere della Sera auf eine Wende:
„Europa sitzt in Afrika auf der Anklagebank. … Die Wurzeln des Phänomens, nicht die Folgen müssen bekämpft werden, auch wenn das ein langwieriger Prozess ist. Der Gipfel in Abidjan kann die Wende bedeuten. … Denn die afrikanische Migrationswelle hat viele europäische Regierungen einsehen lassen, dass man in Afrika handeln und mit dem Kontinent zusammenarbeiten muss. Die Grenzen zu überwachen oder zu schließen, reicht nicht aus. Diese Einsicht und die Kooperation mit afrikanischen Staaten können jungen Afrikanern die Chance auf eine Zukunft auf ihrem Kontinent geben.“
Wo sind Investoren, die sich nach Afrika wagen?
Welcher Nachholbedarf beim Thema Investitionen in Afrika besteht , verdeutlicht Finanz und Wirtschaft:
„Das zentrale Thema des EU-Afrika-Gipfels sind bessere Perspektiven für die jungen Afrikaner. Gefragt sind besonders private Investoren aus dem Westen. Doch gerade die blicken angesichts verbreiteter politischer Willkür und wirtschaftlicher Stagnation seit langem mit grosser Skepsis auf den Kontinent. So ist etwa der Bestand deutscher Direktinvestitionen dort zwischen 2012 und 2015 sogar leicht rückläufig. Selbst in kleinen EU-Ländern wie Ungarn investieren deutsche Unternehmen deutlich mehr als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, wenn der Sonderfall Südafrika als sein einziges Industrieland einmal ausgeklammert bleibt.“
Macrons neue Außenpolitik der Nähe
Die offizielle Afrikareise des französischen Präsidenten, die dieser vor dem Gipfel absolvierte, bewertet Politologe Jean-Christophe Gallien in La Tribune:
„Emmanuel Macron betreibt eine Außenpolitik der Nähe, durch die er mit den Menschen in den besuchten Ländern in direkten Dialog treten will, und darüber hinaus mit deren Familien, Freunden und Gemeinschaften auf dem Kontinent sowie der weltweiten Diaspora. Das frühere System zerstört er dabei nicht, aber er erneuert und vervollständigt es. … Agil und realistisch, und von einer nicht enden wollenden Glücksträhne gesegnet, hat Emmanuel Macron den Wettkampf [um die Außenpolitik der neuen Führungsgeneration in Europa] aufgenommen. Dazu krempelt er die Diplomatie unseres Landes um und nutzt geschickt die europäische Dimension. Mit einer neuen Außenpolitik reagiert er auf die Herausforderungen der Smart Power in einer multipolaren, globalisierten und digitalisierten Welt.“
Die Jugend ist der Schlüssel
Zumindest wurde mit dem Fokus auf die Jugend das zentrale Gipfelthema richtig gewählt, findet Wirtschaftswissenschaftler Andrea Goldstein in Il Sole 24 Ore:
„In Abidjan wird man wiederholt erklären, dass Gelder für Erziehung und Bildung eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung der Reformen spielen, die das Wachstum in Afrika ankurbeln sollen. Das gilt aber auch für Europa und insbesondere Italien. Das Land könnte das Problem seiner demographischen Schwäche mildern, indem es sich für legale Einwanderung stark macht und mehr in die Ausbildung von Jugendliche in den Entwicklungsländern investiert, die bei uns Arbeit finden könnten. Das wäre eine kohärente Entwicklungspolitik ohne ausländerfeindliche Hysterie - aber auch ohne die engelhafte Heuchelei der Uneigennützigkeit.“
Eigennutz vor humanitären Werten
Die Feststellung, dass es den Europäern in Afrika letztlich nur darum geht, die Migration über das Mittelmeer zu verhindern, macht die Frankfurter Rundschau:
„Eine zentrale Rolle wird erneut Libyen spielen, das wichtigste Transitland für Flüchtlinge. Gerade das Beispiel Libyen zeigt aber, wie weit Europa zu gehen bereit ist und wie wenig es sich seinen humanitären Werten verpflichtet fühlt. Hunderttausende Menschen sitzen dort fest, sie werden misshandelt, missbraucht und gefoltert. Europa schaut dabei nicht nur zu, sondern will die Zusammenarbeit mit dem de facto zerfallenden Staat noch ausbauen, um Migranten aufzuhalten. Entscheidend ist am Ende nur, dass weniger Menschen es schaffen, nach Europa zu kommen.“
Schuldgefühle machen noch keinen Businessplan
Entwicklungsexperte Gunther Neumann kritisiert im Standard, dass zwar ständig von einer Bekämpfung der Fluchtursachen die Rede ist - die richtige Strategie dazu aber noch immer fehlt:
„Mit der brutalen Kolonialgeschichte und dem eklatanten Wohlstandsgefälle war Entwicklungszusammenarbeit für Europa ein moralischer Imperativ. Doch Schuldgefühle allein ergeben keinen guten Businessplan. ... Für Konfliktverhütung, Flüchtlinge aus Südsudan in Uganda, aus Somalia in Kenia ist internationale Unterstützung unabdingbar. EU-Geldzahlungen an dubiose Partner, um uns Afrikaner vom Leib zu halten, sind kaum nachhaltig. Nicht nur globale Warenströme, auch universelle Werte müssen die Modernisierung prägen. Europas Konsumenten und die Zivilgesellschaft sind ebenso gefordert. Ethik und entsprechende Politik haben nicht ausgedient.“
Jetzt die nächsten Schritte gehen
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Amtskollege von der Afrikanischen Union, Moussa Faki Mahamat, rufen in einem gemeinsamen Kommentar in Le Monde dazu auf, die Kooperation zwischen Afrika und Europa voranzutreiben:
„Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um die tiefliegenden Ursachen der illegalen Migration zu bekämpfen, welche noch immer zu viele Opfer fordert und zu viele Schlepper reich macht. Gleichzeitig müssen wir mehr tun, um das Geschäftsklima zu verbessern und eine Plattform aufzubauen, die afrikanischen Innovatoren gute Entwicklungschancen eröffnet. ... Ein Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in Afrika stammt aus der EU. Diese Unterstützung schafft Jobs und kurbelt die Wirtschaft in unseren beiden Staatengemeinschaften an. Dank der neuen EU-Investitionsoffensive für Drittländer können wir zur nächsten Phase übergehen.“