Trumps Jerusalem-Entscheidung und die Folgen
Die Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, schlägt weltweit hohe Wellen. In vielen muslimisch geprägten, aber auch in europäischen Ländern gab es Proteste. Die Arabische Liga verurteilte die Entscheidung scharf und forderte einen Staat Palästina mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Auch in Europas Presse wird der Schritt weiterhin intensiv diskutiert.
Israel wird leiden
Die Folgen von Trumps Jerusalem-Entscheidung werden vor allem in Israel zu spüren sein, prophezeit der Politikberater Iulian Chifu in Adevărul:
„[Die Einwohner Israels] wird jede Vergeltungsmaßnahme des gesamten arabischen und muslimischen Raumes direkt treffen. Schwer zu sagen, ob die Entscheidung Donald Trumps der 'Bruch mit der geheuchelten politischen Korrektheit' ist, oder ob damit der Nahe Osten hochgehen wird. ... Und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die USA und Israel in der Region - aber auch weltweit - isoliert werden und dass andere Akteure in der Region die Vormachtstellung einnehmen.“
Populismus wird für Trump noch zum Bumerang
Mit seinen Entscheidungen schadet sich Trump langfristig selbst, sagt Público voraus:
„Es stellt sich die Frage, ob die US-Regierung überhaupt eine kohärente Friedensstrategie für den Nahen Osten hat - oder ob Trumps Jerusalem-Entscheidung lediglich die Erfüllung einer seiner kurzsichtigen Wahlversprechen darstellt. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Gesamtstrategie existiert, und auch Trumps Schwiegersohn und Nahost-Berater Jared Kushner hat sich zu diesem Thema nicht geäußert. ... Donald Trump ist weiterhin bestrebt, für seine extremistischen Wähler zu regieren. ... Doch im Laufe der Zeit wird dieser populistische Drang des US-Präsidenten zunehmend für Unruhe und Ärger innerhalb der Republikanischen Partei und der eigenen Regierung sorgen.“
Konflikt aus neuer Perspektive betrachten
In der nicht-muslimischen und nicht-arabischen Welt wird der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern viel zu häufig auf einen ethnischen oder religiösen Konflikt reduziert, bedauert Karar:
„Doch vom Standpunkt moderner universaler Werte aus ist dies ein Welt- und Menschlichkeitsproblem. Werte wie Freiheit, Unabhängigkeit, Sicherheit, Respekt für religiöse Heiligkeit und das menschliche Leben werden brutal verletzt. ... Wenn man das Thema so behandeln würde, könnte man viele Intellektuelle, Denker, Politiker und Religionsführer aus der nicht-muslimischen Welt, die menschliche Werte respektieren und die gleiche Sprache sprechen, zusammenbringen und auf die eigene Seite ziehen. So könnte man gegen den Trump-Wahn weltweit viel stärker und effektiver die Stimme erheben und wie eine Lawine einen ständig wachsenden Druck erzeugen.“
Ein historisches Experiment
Orientalist Alexander Schumilin zeigt in der oppositionellen Tageszeitung Nowaja Gazeta Verständnis für Trumps Schritt - auch wenn er gewagt sei:
„Die Verlegung der Hauptstadt Israels nach Jerusalem ist ein wichtiger historischer Moment - und irgendwann musste er kommen. ... Da das Verlegungsproblem schon 22 Jahre lang aufgeschoben worden war und keine realen Schritte zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts unternommen wurden, wagte Trumps Mannschaft eine Art Experiment. Wenn die Jerusalem-Frage den Friedensprozess nicht behindert (und faktisch ist dieser statisch), dann hilft vielleicht eine Veränderung des Status von Jerusalem? Jetzt wird es interessant, ob die neuen Bedingungen, wie die Trump-Administration es erwartet, die Palästinenser zur Suche nach Schritten zur Lösung bewegen.“
Jerusalem ist de facto die Hauptstadt
Trump erkennt lediglich die Realität an, erklärt der Politikberater Petrisor Peiu auf dem Nachrichtenportal Ziare:
„Jerusalem ist de facto seit 50 Jahren die Hauptstadt von Israel! Die Israelis zeigen keinerlei Bestrebungen, sich aus Ost-Jerusalem zurückzuziehen. Sie sind die überragende Militärmacht in der Region und niemand wird sie zwingen können, Teile einer Stadt aufzugeben, die seit über 3.000 Jahren ein Symbol für sie ist. Andererseits ist der palästinensische Staat eine Fiktion, er existiert praktisch nicht, er hat kein einheitliches Territorium, keine Regierung und kein Parlament. … Was wollen dann Erdoğan und die [EU-Außenbeauftragte] Mogherini? Haben sie sich überraschend daran erinnert, dass sie einen getrennten und internationalisierten Status für Jerusalem anstreben oder möchten sie dort die Hauptstadt eines nicht existierenden Staats?“
Die unteilbare Stadt als Zukunftsmodell
Die Einmaligkeit von Jerusalem könnte, wenn man sie begreifen würde, zukunftsweisend sein, mahnt Philosophin Donatella Di Cesare in Corriere della Sera:
„Einzigartig, unteilbar, nicht aneigenbar entzieht sich Jerusalem dem Prinzip des Nationalstaats. Die Stadt kann nicht Opfer von Aufteilungen sein, sie transzendiert und verbietet sie. Alle Versuche, Jerusalem in einer staatszentrischen und nationalen Optik zu zergliedern, sind kläglich gescheitert. Niederlage der Diplomatie und noch mehr Scheitern einer Politik, die mit Metermaß und kalter Berechnung operiert. Jerusalem trennt nicht, sondern vereint. … Doch gerade weil Jerusalem ein theologischer Felsen ist, an dem die Politik zerschellt ist, kann die Stadt zu einem außerstaatlichen Modell, einem Prüfstein für die künftigen Beziehungen der Völker untereinander werden - wenn man nur weitsichtig denken würde.“
Gebete allein werden Palästina nicht befreien
Wütende Reaktionen von Muslimen helfen den Palästinensern nicht weiter, meint das Onlineportal Diken:
„Jedes Jahr weitet Israel seine Besatzung von Palästina durch neue Siedlungen aus. Die palästinensische Landkarte ist auf einen Punkt geschrumpft, Palästina wurde in ein Freiluftgefängnis verwandelt und Jerusalem ist in vollem Besitz von Israel. ... Und was machen die Muslime, die Palästina und Jerusalem für so wichtig erachten? Sie schreien, wüten, drohen. ... Es gibt Millionen von Muslimen, die glauben, sie könnten etwas erreichen, in dem sie Israel verfluchen. Sie hinterfragen ihre Reaktion nicht und sie kümmern sich auch nicht darum, warum ihre Gebete seit Jahrzehnten nichts bringen. ... Da sie gegen diejenigen, die Unrecht tun, keine Macht besitzen und nicht den Verstand und die Energie aufbringen können, um selbst Macht zu erlangen, ziehen sie sich so aus der Affäre.“
Arabische Welt nutzt ihre Schlagkraft nicht aus
Die palästinensische Tageszeitung Al-Quds hält die Reaktionen der arabischen Staatsoberhäupter auf Trumps Entscheidung für nutzlos und fordert effizientere Schritte:
„Der amerikanische Präsident hat doch vor nicht allzu langer Zeit unsere Region besucht. Anschließend ging er mit 500 Milliarden Dollar und unzähligen Aufträgen für die Wirtschaft seines Landes nach Hause. Wenn die Proteste der arabischen und islamischen Staaten wirklich ernst gemeint sind, dann sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA gestoppt oder eingeschränkt werden. Warum schickt man die US-Botschafter nicht nach Hause und trägt ihnen auf, sich mit ihrem Präsidenten zu beraten, der gegen uns arbeitet? ... Trumps Entscheidung ist dem großen Einfluss der jüdischen Lobby in den USA zuzuschreiben. Warum benutzen nicht auch wir solche Kräfte, um unsere Rechte zu verteidigen?“
Jerusalem braucht zwei US-Botschaften
Nur logisch und fair wäre es, wenn die USA nun zwei Botschaften in Jerusalem ansiedelten, meint The Economist:
„Donald Trump hätte das Thema Jerusalem gar nicht erst anfassen sollen. Es hätte als Krönung einer Friedenslösung zwischen Israelis und Palästinensern zurückgehalten werden sollen. Aber wenn Trump nun schon alles auf den Kopf stellen will, dann sollte er noch viel radikaler vorgehen. Er sollte nicht nur eine, sondern zwei Botschaften in Jerusalem eröffnen. Eine würde die Beziehungen mit Israel regeln, die andere in Ost-Jerusalem jene mit dem palästinensischen Staat, den er ebenfalls anerkennen sollte. Zwei Botschaften für zwei Staaten und zwei Völker: Das wäre ein wirklich neuer Ansatz.“
Wird Russland nun der neue Vermittler?
Welcher Akteur nun den USA als Vermittler im Nahen Osten nachfolgen könnte, überlegt Adevârul:
„Aus palästinensischer Sicht sind die Vereinigten Staaten nun also kein Vermittler mehr. Aber wer soll dann in diese Rolle schlüpfen? Wen werden die Palästinenser anerkennen, welches Land und welche Persönlichkeit 'mit neutralem Status'? Anhaltspunkte gibt es bereits. Für viele arabische Länder, die das Verhalten der Türken zur Zeit des Osmanischen Reiches nicht vergessen haben, kommt die Türkei dafür nicht in Frage. Viele dieser Länder schauen deshalb auf Russland, den früheren treuen Freund, der über die Dauer des Kalten Krieges hinweg ein Garant der Stabilität war.“
Scheuklappen auf beiden Seiten
Israelis und Palästinenser haben in Trumps Rede nur das gehört, was sie hören wollen, beklagen die Salzburger Nachrichten:
„Mit der Festlegung, dass Israels Grenzen innerhalb der Stadt verlaufen würden, sprach Trump eigentlich von einer Teilung Jerusalems. Wem das nicht klar war, für den wiederholte der US-Präsident, dass er nur eine Lösung unterstütze, der 'beide Seiten zustimmen'. So gab er den Palästinensern ein Vetorecht über die Zukunft Ostjerusalems. Doch in Israel und Palästina zog man es Mittwoch vor, diese Feinheiten auszublenden und sich stattdessen der eigenen Narrative hinzugeben. Der angekündigte Nahostbesuch von Trumps Vize Mike Pence, der Sondierungsgespräche führen wird, dürfte nun dazu dienen, ihnen den eigentlichen Inhalt der Präsidentenrede genau zu erläutern.“
Vom Mediator zum Brandstifter
Als unverantwortlich und unklug kritisiert El Mundo Trumps Vorpreschen:
„In einem Jahr an der Spitze der größten Weltmacht hat er noch immer nicht verstanden, dass seine wichtigste Verantwortung darin besteht, Konflikte zu lösen und möglichst keine zu schaffen. Seine Entscheidung, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, ist einer seiner bislang schlimmsten Fehltritte und könnte die instabile Lage in Nahost stark verschlechtern sowie die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zwischen Israel und den Palästinensern in weite Ferne rücken. Als internationale Schutzmacht haben die USA immer die Rolle eines Schiedsrichters und Mediators im niemals endenden Dialog zwischen den beiden Parteien ausgeübt. Sobald sie sich nun auf die Seite von Tel Aviv schlagen, verlieren sie ihren Einfluss und verschlimmern die Lage.“
Islamistische Terrorbrut profitiert
Die Entscheidung Trumps spielt islamistischen Terroristen in die Hände, fürchtet der Tages-Anzeiger:
„Nun droht eine Eskalation, als gäbe es nicht schon genug Leid in der Krisenregion. Die Palästinenser haben 'drei Tage des Zorns' angekündigt, die Hamas droht mit Attentaten. ... Kommt es wieder zu einem Palästinenseraufstand, ist der Friedensprozess nicht mehr blockiert, sondern tot. Die Profiteure sind der IS, al-Qaida und die gesamte islamistische Terrorbrut. Jerusalem, al-Quds bei den Arabern, ist vor allem für die Sunniten die dritte Heilige Stadt hinter Mekka und Medina. Wie schon Trumps Einreisebann gegen Muslime lässt sich die Verlegung der US-Botschaft propagandistisch bestens ausnutzen. Mit Folgen auch für Europa. Einmal mehr hat Donald Trump die Welt unsicherer gemacht.“
Trump bestärkt Israels Siedlungspolitik
Die Entscheidung für Jerusalem zementiert aus Sicht von Aftonbladet die Siedlungspolitik Israels:
„[Diese] Siedlungspolitik reduziert Quadratmeter für Quadratmeter den Verhandlungsspielraum. Das gilt nicht zuletzt für Jerusalem, dessen palästinensische Teile von israelischen Siedlungen erstickt werden. ... Trumps Entscheidung, die US-Botschaft zu verlegen und die israelischen Ansprüche anzuerkennen, ist vor allem eine Anerkennung der israelischen Siedlungspolitik. Das bedeutet, dass die USA Verstöße gegen internationales Recht akzeptieren und sanktionieren. Im schlimmsten Fall kann die Entscheidung zu mehr Gewalt führen. Auf jeden Fall bedeutet sie, dass ein schwacher Hoffnungsschimmer noch schwächer wird und die USA in der Region an Einfluss verlieren.“
Das Risiko wird überschätzt
Dass Trump mit der Anerkennung Jerusalems den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern neu befeuert, hält The Daily Telegraph längst nicht für ausgemacht:
„Der US-Präsident wies darauf hin, dass seine Vorgänger es nicht geschafft haben, den Konflikt zu lösen. Es war also den Versuch wert, etwas Neues zu probieren. ... Die arabischen Staaten sind ohnehin längst nicht mehr auf die palästinensische Sache fixiert. Sie sehen eine Einigung mit Israel nicht als Allheilmittel für die Missstände im Nahen Osten. Für Länder wie Saudi-Arabien ist der Erzfeind nicht mehr Israel, sondern der Iran. Die Reaktion der politischen Führer in der arabischen Welt war entsprechend verhalten.“
Ein richtiger Schritt
Die Tageszeitung Die Welt befürwortet, dass die USA die israelischen Ansprüche auf Jerusalem stärken:
„[D]ie Israelis hatten ihre Regierungsgebäude schon in Jerusalem gebaut, als die Stadt noch geteilt war und sie nur über den Westteil verfügten, während der Ostteil noch von Jordanien beherrscht wurde. Der Status Jerusalems als israelische Hauptstadt ist also älter als der Sechstagekrieg von 1967, in dessen Verlauf Israel auch den Ostteil der Stadt eroberte. Ein solcher Akt der Anerkennung nimmt auch keineswegs das Ergebnis von Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern vorweg. Es gibt jedenfalls keinen Grund, warum die Palästinenser den Ostteil von Jerusalem nicht ebenfalls zu ihrer Hauptstadt machen könnten, wenn beide Seiten sich auf eine entsprechende Lösung einigen.“
Der Thron der USA wird brennen
Yeni Şafak fürchtet, dass die Entscheidung weitere Konflikte entzündet:
„Die muslimische Welt hegt eine große Wut gegen die US-Regierung. ... Die Idee, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, ist dabei weder eine neue Entwicklung noch wird es die letzte sein in der Palästina-Politik der Trump-Regierung. Es ist auch nicht abwegig, dass wir vielleicht als nächstes über eine Einstaatenlösung diskutieren. In der Region setzt sich die Krise fort, sie institutionalisiert sich. Man wird wohl beginnen, in der Region die Strategie des 'kreativen Chaos' umzusetzen, wie Condoleezza Rice, Außenministerin unter Bush, und ihr nahestehende Sozialwissenschaftler es nennen. Doch dieses kreative Chaos entwickelt sich langsam zu einem Feuer, das die USA umzingelt und ihren weltpolitischen Thron in Flammen aufgehen lässt.“
Neue Achse gegen den Iran
Sollte die arabische Welt, und allen voran Saudi-Arabien, eine entsprechende Entscheidung Trumps dulden, so stünde einer Allianz gegen Teheran nichts mehr im Wege, analysiert Lucia Annunziata, Chefredakteurin von Huffington Post Italia:
„Die israelische Regierung glaubt, ein großer Teil der öffentlichen Meinung in der Arabischen Welt sei in den von Machtkämpfen gezeichneten letzten Jahren zu der Überzeugung gelangt, dass Israel doch eigentlich ein guter Verbündeter gegen den Terrorismus und den Iran ist, wenn auch nur ein funktionaler. Und dass folglich auch eine Neuaufteilung inklusive Jerusalems möglich ist, beziehungsweise eine Neuordnung der Region, wobei Israel eine aktive Rolle übernimmt. Vielleicht mithilfe des reformfreudigen Kronprinzen von Saudi-Arabien Mohammed bin Salman, der schließlich genau wie Israel beabsichtigt, den Iran auszubremsen - koste es, was es wolle.“