Hat Ungarns Opposition eine Chance?
Der Countdown zur Wahl in Ungarn läuft und vor dem Urnengang am Sonntag sucht die Opposition nach Wegen, die Regierungspartei Fidesz abzulösen. Zwei linke Parteien treten gemeinsam an. Die Philosophin Ágnes Heller regte gar ein Wahlbündnis aller anderen Parteien gegen den Fidesz an. Gemeinsame Wahlstrategien von Linken und Rechten bewerten die Kommentatoren allerdings kritisch.
Wähler sind keine Roboter
Der Plan oppositioneller Wahlkampfstrategen, dass Fidesz-Gegner den jeweils aussichtsreichsten linken oder rechten Oppositionskandidaten wählen sollen, ist für Magyar Nemzet vollkommen illusorisch:
„Die Sache ist völlig unmöglich. Niemand kann ernsthaft glauben, dass beispielsweise im 12. Bezirk von Budapest linksorientierte Wähler in langen Schlangen zu den Urnen pilgern, um den Jobbik-Politiker Márton Gyöngyösi zu wählen. Ebenso unvorstellbar ist es, dass massenweise rechte Jobbik-Anhänger im Nachbarbezirk Újbuda für den Sozialisten-Chef Gyula Molnár stimmen. Solche an Schreibtischen ausgeheckten Ideen wurden bereits allzu oft von der schnöden Realität des Alltags durchkreuzt. Wähler sind keine Roboter. Die Stimmabgabe ist heute noch immer eine Frage des Gewissens und des Affekts.“
Liberale dürfen niemals Jobbik wählen
Selbst wenn Jobbik-Kandidaten in einzelnen Wahlkreisen die besten Aussichten auf Seiten der Opposition haben, wäre es für liberal und demokratisch gesinnte Wähler ein Verrat ihrer Werte, die Vertreter einer ehemals rechtsradikalen Partei zu wählen, warnt der Schriftsteller Péter Nádas in Magyar Narancs:
„Es gibt eine Grenze, die kein Liberaler, der etwas auf sich hält, überschreiten darf. Die rote Linie ist dort, wo sie der Humanismus und die Aufklärung auf dem Fundament der griechisch-lateinisch-jüdisch-christlichen Tradition gezogen haben. ... Man sollte nicht nur einen Schritt vorausdenken, sondern mindestens drei. Eine Wahlallianz kann nur dann erfolgreich sein, wenn eine regierungsfähige Koalition daraus entsteht. In meinen Augen sind die Oppositionskräfte außerstande, gemeinsam zu regieren. Dazu fehlt ihnen jegliche Kohäsion.“
Die unzufriedene Mehrheit verstummt
Orbáns politische Gegner werden bei den Wahlen eine Niederlage erleiden, ist sich Publizist Árpád Tóta W. sicher. In der Wochenzeitung hvg schreibt er:
„Noch schimmert das politisch vielfältige Ungarn hier und dort durch. Noch melden sich vereinzelt Ex-Minister zu Wort, die Wege hin zu einer Veränderung skizzieren, doch sie werden durchweg verlacht. Noch hört man einen letzten verzweifelten Aufschrei des einen oder anderen Oppositionspolitikers oder Bürgers, ehe er resigniert und erschöpft zusammenbricht. Noch gibt es objektive Nachrichten, zumindest im Internet. Doch bald wird es auch diese nicht mehr geben. … Orbáns Lager ist in der Minderheit. Aber es ist gut organisiert, diszipliniert und auf Gedeih und Verderb loyal. Würden die vier Millionen Unzufriedenen und Entbehrenden im Land endlich aufstehen, hätte es niemals eine Chance.“
In blinder Orbán-Phobie gefangen
Dass die Opposition endlich aufhören muss, ihre Augen vor der Realität zu verschließen, findet Publizist Kristóf Trombitás auf dem Meinungsportal Mandiner:
„In ihrer blinden Orbán-Phobie verlieren die Oppositionsparteien völlig aus den Augen, dass viele Magyaren deshalb für die Regierungspartei Fidesz stimmen, weil es ihnen heute besser geht als früher. … Die Opposition befindet sich anscheinend in einer künstlichen Echo-Kammer, die jedwede rationale Reflexion verhindert. … Noch dazu brandmarkt sie die rund zwei Millionen Orbán-Wähler unentwegt als verblendete Idioten und Kollaborateure eines autoritären Systems. Sie sollte endlich einsehen, dass die Regierung Orbán vor allem wirtschaftlich auch viel Positives bewirkt hat. Will sie Wahlen gewinnen, führt an diesem Zugeständnis kein Weg vorbei.“
Nur ein Häufchen Elend
Weder Karácsony als Kandidat ist überzeugend, noch die Opposition insgesamt, bemängelt die regierungskritische Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Man sieht einen Hoffnungsträger ausgerechnet in jenem Karácsony, der noch vor einigen Jahren angeblich hinter vorgehaltener Hand davon gesprochen hat, dass er die Sozialisten mehr hasse als den Fidesz und dem es sauer aufstoße, wenn er mit Ferenc Gyurcsány kooperieren müsse. ... Die Linken sollten endlich zu der Einsicht gelangen, dass die große Masse der Wähler nicht für sie stimmen wird. Vergeblich versuchen sie seit Monaten zu suggerieren, dass der Fidesz besiegt werden kann, doch die Wähler nehmen ihnen das nicht ab. Denn einerseits verhandeln sie über Allianzen, andererseits beharken sie sich immerzu. Obendrein wüssten sie in ihrer Kopflosigkeit nicht einmal, was sie mit dem Land anfangen sollten, kämen sie tatsächlich ans Ruder.“
Opposition würde Flüchtlinge ins Land lassen
Sollte die Opposition ans Ruder kommen, droht eine Flüchtlingskrise, warnt die regierungstreue Tageszeitung Magyar Hírlap:
„Die größte Gefahr für das Regierungslager besteht heute darin, dass es sich zu sehr in Sicherheit wähnt und deshalb träge geworden ist. Jetzt allerdings ist Wachsamkeit gefordert. Bei der anstehenden Wahl steht viel auf dem Spiel. Es wird sich entscheiden, ob Ungarn zum Sammelplatz illegaler Flüchtlinge wird oder nicht. Machen wir uns nichts vor: Die Opposition würde nicht nur die Flüchtlingsquote akzeptieren, sondern auch die Grenzzäune demontieren und damit jenes Flüchtlingschaos verursachen, das in Westeuropa herrscht.“
Paktieren mit Jobbik prinzipiell falsch
Auch wenn sich Jobbik gewandelt haben sollte, ist eine Kooperation mit ihr für die Parteien der Mitte keine Option, meint der Philosoph Gáspár Miklós Tamás in hvg:
„Aus meiner Sicht wäre es abwegig, wenn die Kräfte der linken und rechten Mitte, insbesondere aber die Linke, eine Allianz mit Jobbik eingingen. ... Dies würde schlechthin bedeuten, dass sie ihre Grundsätze aufgeben, noch dazu in einem inakzeptablen Ausmaß. Ob die Wandlung der einst rechtsradikalen und paramilitärischen Jobbik zu einer (rechten und mehr oder minder der Verfassung verpflichteten) Volkspartei tatsächlich ehrlich und authentisch ist, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall ist Jobbik in ihrer heutigen Form weniger radikal als das regierende Orbán-Regime. Gleichwohl ist es für mich schwer vorstellbar, dass eine von Jobbik angeführte Regierung besser wäre als das System Orbán.“
Anti-Orbán-Allianz des Hasses
Was die Opposition eint, ist lediglich der hemmungslose Hass auf die Regierungspartei Fidesz und ihre Wähler, schimpft die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Hírlap:
„Von dieser Opposition, die weder Grundsätze noch konstruktive Vorstellungen von der Zukunft unseres Vaterlandes hat, kann Ungarn herzlich wenig erwarten. Um an die Geldtöpfe und an die Macht zu gelangen, ist sie zu allem bereit. Mit anderen Worten: Ihr ist kein Mittel zu billig. ... Ganz zu schweigen von ihrer unendlichen Orbán-Phobie. Alle ihre politischen Handlungen werden von einem ungehemmten Hass gegen das Regierungslager mitsamt seiner treuen Wählerschaft genährt. Vor diesem Hintergrund ist es auch völlig egal, ob die linksliberale Opposition, ergänzt um die Partei Jobbik, eine parteiübergreifende Allianz bildet. Eine von Hass getriebene Politik hat noch nie zu etwas Gutem geführt.“