Start für Österreichs neue Regierung
Nach zwei Monaten Verhandlungen steht in Österreich die neue Regierung aus konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ. Ihre Ziele: eine verschärfte Gangart beim Thema Migration, steuerliche Entlastungen und ein Ausbau der direkten Demokratie. Als im Jahr 2000 erstmals eine ÖVP-FPÖ-Koalition die Arbeit aufnahm, gab es im Rest der EU Versuche, diese zu isolieren. Wie sollte Europa diesmal reagieren?
Ablehnen und ächten
Die österreichische Rechtskoalition muss geächtet werden, fordert Benjamin Abtan, Präsident der antirassistischen Bewegung EGAM, in Libération:
„Mobilisierungen [in Österreich] müssen von unterstützenden Maßnahmen der Zivilgesellschaft in anderen EU-Ländern begleitet werden. Dazu zählt, dass die Minister der extremen Rechten von keinem ihrer europäischen Amtskollegen empfangen werden dürfen. ... Die Zivilgesellschaft muss bei Auslandsreisen von Bundeskanzler Kurz oder Ministern seiner Partei zum Ausdruck bringen, dass sie das Bündnis mit der FPÖ ablehnt. Eine weitere notwendige Maßnahme ist der Boykott der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft vom 1. Juli bis 31. Dezember 2018 durch die EU-Staats- und Regierungschefs, um deutlich zu machen, wie hoch der Stellenwert der humanistischen Werte Europas ist.“
Sanktionen wären Heuchelei
Für die Einschränkung diplomatischer Kontakte wie im Jahr 2000 gibt es keinen Anlass, findet Delo:
„Es wäre heuchlerisch, erneut Sanktionen gegen das Land einzuführen wegen der FPÖ, die wieder an der Regierung ist, ihr öffentliches Image aber geglättet hat. Es wäre auch schwer, Beweise dafür zu finden, dass Österreich noch weiter rechts steht als die Mehrheit der östlichen Nachbarländer, die seit 2004 zu EU-Mitgliedern wurden. Im Vergleich zu denen, die in unserem mächtigen transatlantischen Partnerland regieren, ist die neue österreichische Regierung so oder so fast schon linksextrem. Das gilt sowohl für ihre angekündigte Außenpolitik als auch besonders mit Blick auf ihre innenpolitischen Vorhaben.“
Dem Bündnis eine Chance geben
Die Tageszeitung Die Welt empfiehlt, gelassen auf die neue Regierung in Wien zu reagieren:
„Es bringt nichts, die neue Regierung Österreichs an den Schandpfahl zu stellen. Sie soll ihre Chance bekommen. Und sie muss an zweierlei gemessen werden. Daran, ob es ihr gelingt, der in Österreichs Städten und Tälern so verbreiteten Xenophobie den Boden zu entziehen. Und daran, ob sie - anders als Viktor Orbán - in der EU nicht den Provokateur gibt, sondern als Partner mitspielt. … Gut, dass ein Land und ein Politiker die Chance bekommen, eine restriktive Einwanderungspolitik nicht nur zu fordern, sondern zu verwirklichen, und zwar im Einklang mit der heimischen Verfassung und dem europäischen Regelwerk. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie weit Österreichs Regierung damit kommt. Und ob sie wirklich zur Lösung des Flüchtlingsproblems beiträgt.“
Grünes Licht dank Van der Bellen
Österreichs grünem Präsidenten ist es zu verdanken, dass ein europäischer Aufschrei über die neue Rechtsregierung in Wien ausbleibt, lobt Die Presse:
„Genau dies hat Van der Bellen getan: mit [Kanzler] Sebastian Kurz und [FPÖ-Chef] Heinz-Christian Strache ein tragfähiges Gesprächsklima aufbauen und Risiken für den funktionierenden Rechtsstaat ausschalten. Er schloss manche FPÖ-Rabauken von Anfang an plakativ aus. Er setzte sich für eine juristisch gebildete Staatssekretärin im Innenressort ein und verlangsamte den Umbau der repräsentativen Demokratie in eine Schweiz mit Krone und FPÖ-TV. Applaus bekommt Van der Bellen dafür keinen. Politiker und Journalisten links der Mitte meinen: Er hätte die FPÖ, Minister und Ressortverteilung verhindern - und ... säuerlich auf Konfrontation gehen müssen.“
Vom Abdriften Europas will niemand sprechen
Dass man auf europäischer Ebene die neuen Machtverhältnisse in Österreich beschönigen wird, glaubt Jutarnji list:
„Da Kurz' Partei ÖVP Mitglied der Europäischen Volkspartei [EVP] ist und die Leader der drei wichtigsten EU-Institutionen aus deren Reihen kommen, werden sie die Tatsache relativieren, dass ein EVP-Mitglied eine rechtsextreme Partei an die Macht gebracht hat, die bis gestern gegen die EU gekämpft hat, xenophob und prorussisch ist. Man wird die Entwicklung als Europäisierung der extremen Rechten verkaufen, nicht als ein Abdriften Österreichs und der EU nach ganz rechts.“
Verstärkung für die Visegrád-Gruppe
Europa driftet nun noch weiter auseinander, befürchtet Il Sole 24 Ore:
„Die neue türkis-blaue österreichische Regierung wird sehr europakritisch sein und sich immer mehr dem Osten, den Ländern der Visegrád-Gruppe nähern, mit denen es auf dem letzten Brüsseler Gipfel wegen der Flüchtlingspolitik von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zum Eklat kam. … Wien droht somit zum Hindernis auf dem Weg zur Wiederbelebung der europäischen Integration zu werden, wie ihn der französische Präsident Emmanuel Macron vorgezeichnet hat. Derweil ja gerade die Angst vor der Flüchtlingskrise und die Quotenumverteilung zur populistischen Wende in Wien geführt haben.“
Zuwanderung endlich sachlich diskutieren
Österreichs Rechtsextreme haben ihren Wahlerfolg insbesondere der Angst vor Überfremdung zu verdanken, konstatiert La Croix und fordert vor diesem Hintergrund eine europaweite Debatte:
„Die 'Angstmaschine' läuft auf Hochtouren. Stoppen können sie weder technokratische Reden über Migrationsströme noch sicherheitspolitische Prahlerei. Was in Österreich geschieht, wirft erneut die Frage auf, wann auf europäischer Ebene endlich über Zuwanderung gesprochen wird, klar dargelegt wird, was sie bringt und was sie kostet. Angesichts des verbreiteten Gefühls 'kultureller Bedrohung' darf dieser Debatte nicht ausgewichen werden.“
Koalitionspartner ziehen an einem Strang
Eine Stärke der künftigen Regierung kann die Neue Zürcher Zeitung erkennen:
„Tatsächlich eine vielversprechende Neuerung ist die Harmonie, die offenbar zwischen den Koalitionsparteien herrscht. Anders als in der grossen Koalition mit der SPÖ, in der die Verhinderung von Anliegen des Regierungspartners oft als grösste Errungenschaft galt, entsteht erstmals seit langem der Eindruck, als ziehe die Regierung gemeinsam an einem Strick. Das ist im des politischen Hickhacks müden Österreich von Bedeutung. Dass Kurz die FPÖ dabei zu einem Bekenntnis zur EU verpflichtet hat, war ein in dieser Klarheit gebotener Schritt.“