Aus Frankreich kommt Kritik an MeToo-Kampagne
Ungeschicktes Flirten ist kein Delikt: Das finden rund 100 bekannte Französinnen, darunter Schauspielerin Catherine Deneuve. In einem Gastbeitrag in Le Monde äußern sie sich kritisch über die MeToo-Kampagne. Diese habe ein Klima der Denunziation geschaffen, schüre Hass gegen Männer und arbeite gegen die sexuelle Freiheit. Die hitzige Debatte um MeToo hält damit weiter an.
Achtundsechziger verteidigen ihre Privilegien
Die Frauen um Catherine Deneuve haben von der sexuellen Revolution profitiert, von deren Schattenseiten blieben sie aber dank ihrer Privilegien verschont, erinnert Libération:
„All die Frauen, die unterschrieben, sind dank der gelobten Jahren um den Mai 1968 zu Ruhm und Geld gekommen. Sie machten große Filme mit großen Regisseuren, schrieben Bestseller über Swingerkultur oder bastelten an einer Karriere als Sexologin, die sich auf eine ausgedehnte Porno-Filmographie stützt. Sie gehörten zu denjenigen, die von dieser Revolution maßgeblich profitierten, die ansonsten weder die gläserne Decke zerstört noch Einkommensgleichheit zwischen Frauen und Männern hergestellt hat. Dieser Text war kein Manifest. Sondern ein Plädoyer aus dem letzten Jahrhundert für seine goldenen Jahre.“
Lynchjustiz per Tweet-Tirade
Die MeToo-Kampagne hat die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt, klagt die Regisseurin Katrin Laur in Eesti Päevaleht:
„Harvey Weinstein ist vernichtet. Kevin Spacey ebenfalls. Vor allem wurde aber die Unschuldsvermutung vernichtet. Es gibt kein Gerichtsverfahren, keine Anklage, keine Chance, sich gegen die Kläger zu verteidigen. Hunderttausende Tweets reichen und das Urteil wird sofort gefällt. Falls Weinstein oder Spacey dagegen klagen würden - selbst wenn sie am Ende beweisen könnten, dass die Anschuldigungen falsch waren - was brächte dieser Sieg? ... Das erinnert an die Revolutionen, in denen die Gegner der 'richtigen' Sache im Schnellverfahren hingerichtet wurden.“
Schwarz-Weiß-Denken bringt uns nicht weiter
Die MeToo-Debatte läuft Gefahr, einseitig zu werden, findet Expressen. Männer als grundsätzlich triebgesteuert und schlecht darzustellen und Frauen als an Sexualität nicht interessierte, gutherzige Opfer - das schade dem Anliegen der Kampagne:
„Auch die weibliche Lust sollte Raum in der Debatte erhalten, damit die Diskussion an Breite, Tiefe und Perspektive gewinnt. ... Die MeToo-Bewegung darf nicht zu einer Sekte werden, in der jeder, der auch nur die geringste Kritik vorbringt, als abtrünnig angesehen wird. Kaum etwas ist gegenüber Frauen so diskriminierend wie die Forderung, alle sollten die gleichen, ausschließlich auf der Geschlechtszugehörigkeit fußenden Ansichten haben. Eine Debatte, in der die Rollen von Gut und Böse klar verteilt sind, ist zwar leicht zu führen, letztlich aber selbstzerstörerisch. Wirkliche Veränderung können wir nur gemeinsam erreichen.“
Feminismus ist das Gegenteil von Puritanismus
Die Professorin für Rechtstheorie Irena Rosenthal weist in De Volkskrant die Vorhaltungen der französischen Frauen zurück:
„Es ist ein Missverständnis, dass MeToo auf eine puritanische Gesellschaft zusteuert. Die Kampagne fordert für Frauen gerade das sorglose Vergnügen ein, das ihnen zu lange vorenthalten wurde. Dass Feministinnen humorlose Sauertöpfe sind, die anderen das Vergnügen missgönnen, ist ein klassisches Vorurteil, das immer wieder auftaucht, wenn Frauen Sexismus an den Pranger stellen. ... MeToo ist ein Freiheitskampf, der die Vorzüge sorglosen Genießens und die Nachteile der Selbstzweifel neu verteilen will. Das macht vielleicht nicht immer Spaß, ist aber dringend notwendig.“
Bitte fasst euch an die eigene Nase!
Dass die MeToo-Kampagne viele gängige Vorstellungen ins Wanken bringt, glaubt Philosoph Slavoj Žižek und schreibt in El Mundo:
„Die über Jahrtausende geltende Geschlechterbeziehung wird hinterfragt und wackelt. Und die Protestierenden sind keine LGBT-Minderheit mehr, sondern die Mehrheit, die Frauen. Dabei wird nichts Neues aufgedeckt, sondern etwas, das wir (zumindest vage) wussten, aber nicht offen anprangern konnten (oder wollten): Hunderte Formen der sexuellen Ausbeutung der Frau. Nun bringen die Frauen diese dunkle Seite unserer vermeintlichen Gleichberechtigung und des vermeintlich respektvollen Umgangs ans Licht. Und dabei entdecken wir unter anderem die Scheinheiligkeit und Voreingenommenheit unserer Kritik an der Unterdrückung der Musliminnen. Wir müssen uns unserer eigenen Art der Unterdrückung und Ausbeutung stellen.“
Danke, Catherine!
Endlich, jubelt die Welt:
„Der Brief lässt jeden erleichtert aufatmen, der in den vergangenen drei Monaten dachte, verrückt werden zu müssen. Seit im Herbst Metoo losging, konnte man den Eindruck haben, die Welt sei von sexueller Verwahrlosung, Ausbeutung von Frauen, Geschlechtergewalt und Geschlechterhass geprägt. ... Wer differenzieren wollte, brach die als 'Frauensolidarität' getarnte Meinungsdiktatur. 50 Jahre sexuelle Befreiung und Emanzipation und die noch viel ältere Fähigkeit, sich gegenseitig zu respektieren oder in die Grenzen zu weisen – das alles schien pulverisiert und weggeblasen. Nun endlich ... sagt die große Catherine Deneuve: Stopp mit dem Unsinn! Wie gut das tut.“
Diese Kritik nützt nur den Tätern
Mit ihrem Brief unterstützen die Frauen genau die Falschen, schimpft hingegen The Guardian:
„Deneuve und ihre Freundinnen schließen sich mit ihrem Brief mit Woody Allen, Harvey Weinstein und all den anderen Männern zusammen, denen wiederholt Übergriffe vorgeworfen wurden. Mit ihrem Vorgehen verteidigen sie in keinster Weise die Freiheit, geschweige denn die selbstbestimmte Sexualität oder den Ausdruck weiblicher Identität. Sie stellen sich auf die Seite jener, die Ausreden suchen, um machtlose Frauen fertigzumachen, und nicht auf die Seite jener, die deren Unabhängigkeit verteidigen.“
Pauschalvorwürfe führen nicht weiter
Dass im Streit um die MeToo-Debatte beide Seiten einen Punkt haben, betont der Tages-Anzeiger:
„Geht der Streit in die nächste, eskalierende Runde mit wechselnden Beschimpfungen und offenem Ausgang? Oder ist nicht die Erkenntnis interessanter, wonach beide Seiten recht haben? Der Hang der MeToo-Adeptinnen zu Pauschalvorwürfen und Vorverurteilungen ist indiskutabel, da muss man den Französinnen zustimmen. Dass Männer deswegen ein Recht haben sollen, Frauen zu belästigen, ist ebenso unhaltbar. Wenn eine Frau Grenzen setzt, hat der Mann sie zu akzeptieren. Und sich zu entschuldigen, wenn er sie missachtet hat. Denn sexuelle Freiheit ist das Gegenteil von Zwang. ... [Doch] Sex ohne Unterleib: Das kann es ja auch nicht sein.“