Raketen gegen das Assad-Regime: Und jetzt?
Die USA haben ihre mit Frankreich und Großbritannien durchgeführten Luftschläge in Syrien als Erfolg bezeichnet. Die Bombardements hätten die Möglichkeiten des Assad-Regimes zur Herstellung von Chemiewaffen stark eingeschränkt. Journalisten fragen sich allerdings, was nun kommt - und blicken dabei insbesondere auf den Iran.
Der Iran ist das nächste Ziel
Der US-Angriff in Syrien war nicht gegen Russland, sondern hauptsächlich gegen den Iran gerichtet, meint Novi list:
„Die US-Raketen waren nicht nur eine Warnung an Putin, sondern auch an den Iran, dessen schiitische Milizen Syrien mit Unterstützung der Russen kontrollieren. ... Im Kontext des angekündigten Austritts der USA aus dem Atomdeal mit dem Iran und der Ankunft von Bushs Hardliner John Bolton im Weißen Haus, der glaubt, dass nur ein Luftangriff das Problem mit dem Iran lösen kann, zeichnet sich eine Zuspitzung der Lage ab. Und es wird klar, dass Syrien nur ein Mittel Washingtons ist, seine Ziele im Iran zu realisieren, vielleicht sogar durch eine militärische Intervention.“
Riad und Teheran vor offenem Konflikt
Auch Helsingin Sanomat versucht, aus den Luftangriffen die aktuelle Nahost-Strategie der USA abzuleiten:
„Es gibt keine umfangreichen Bemühungen für einen Friedensprozess. Abgesehen von dem Luftschlag wollen die USA nicht selbst aktiv werden, sondern sie lassen die Länder der Region kämpfen. Der Einsatz chemischer Waffen wird bestraft, aber Angriffe auf Zivilisten mit traditionellen Waffen können fortgesetzt werden, mag Bashar al-Assad nun annehmen. Wenn die syrische Regierung nun versucht, den Widerstand der Aufständischen zu brechen, könnte dies die Stellung Irans in der Region stärken. Das könnte der gefürchtete Funken sein, der die Meinungsverschiedenheiten zwischen Iran und Saudi-Arabien zum offenen Konflikt entzündet.“
Assad rückt vor bis zur nächsten Chemie-Attacke
Radio Kommersant schließt nicht aus, dass sich das Geschehen der letzten Monate wiederholt:
„Bis zum nächsten Chemieangriff oder einer Provokation, die einen solchen simuliert, wird der syrische Krieg nach dem für Damaskus günstigen Szenario der letzten Monate weitergehen: die schrittweise Liquidierung der letzten Oppositions-Enklaven, viele sind es ja nicht mehr. Doch es besteht die Gefahr, dass dies nicht die letzte derartige Krise war. Es ist klar, wie man in den westlichen Hauptstädten auf neue Nachrichten über echte oder falsche Chemieangriffe reagieren wird: Reflexhaft, ohne Schwanken und erst recht ohne Unschuldsvermutung, denn für Assad gilt diese nicht. Doch leider gibt es keine Garantien, dass vor dem Hintergrund der rapiden Verschlechterung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington eine neue 'Chemie-Krise' ähnlich schmerzlos überwunden wird, wie die derzeitige.“
Peinlich und kontraproduktiv
Die USA brauchen sich ihres Einschreitens nicht rühmen, erklärt Petre Iancu vom Rumänischen Dienst der Deutschen Welle:
„Auf diese Art und Weise auf die Barbarei eines Chemiewaffenangriffs zu reagieren - und vorher dramatisch zu warnen und dann die russischen Ziele auszusparen - ist komisch, lächerlich und peinlich. Und die Reaktion ist gar kontraproduktiv, wenn sie als Warnung dienen soll, künftig nicht auf Massenvernichtungswaffen zurückzugreifen. Wenn es nur das ist, was der Westen kann, dann fühlen sich Putin und seine Verbündeten künftig sogar ermutigt. Umso mehr, weil der bescheidene Militärschlag, der die Truppen und das monströse Regime von Assad nicht wirklich geschwächt hat, im Westen schrille pazifistische Proteste von Links- und Rechtsextremen und Putin-Anhängern hervorgerufen hat.“
Nur ein Teilerfolg
Auch Daily Sabah ist nicht überzeugt, dass der Militärschlag effektiv war:
„Letztlich war das einzig gute Ergebnis dieser Operation, dass sie sichergestellt hat, dass das syrische Regime nicht noch einmal Chemiewaffen einsetzen kann. Außerdem verhinderte die Operation, dass der Iran seine Einflusszone in Syrien weiter ausbaut. Trotzdem ist auf kurze Sicht nicht erkennbar, was mit Blick auf die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Freie Syrische Armee (FSA) das Ergebnis dieser Operation sein wird. Es ist schwer erkennbar, ob diese Operation garantiert, dass keine Syrer mehr in diesem Krieg sterben, ob heimatvertriebene Menschen nach Hause zurückkehren können, oder ob man einer Normalisierung der Region näher gekommen ist.“
Der Westen vernichtet Beweise
Äußerst scharfe Kritik an dem Militäreinsatz übt in der linken Tageszeitung Il Manifesto Richard Falk, früherer Sondergesandte des UN-Menschenrechtsrats für die Palästinensischen Autonomiegebiete:
„Auch diesmal fielen in einem gefährlichen Wettlauf gegen die Zeit unüberlegte Entscheidungen, trotz glaubwürdiger, warnender Stimmen, die sich auch auf Quellen der Uno selbst stützen. So kommt der zynischste aller Gründe für den Luftangriff auf Syrien ans Tageslicht: Die Beweise zerstören, die womöglich andere als die syrische Regierung belasten könnten. Grund zum ernsthaften Verdacht gibt zudem das Timing. Rasch und zügig, um sicher zu gehen, dass die OPCW-Experten vor Ort nichts mehr zu verifizieren hätten. Das 'mission accomplished' von Tump erinnert an die Rede zum Sieg im Irak 2003 von George W. Bush. Bush hat dafür teuer bezahlt.“
Sanktionen vielleicht die bessere Wahl
Ob Sanktionen das richtige Mittel sind, um Russland in Syrien zum Einlenken zu bewegen, fragt sich Kauppalehti:
„Im letzten Jahr zeigte die russische Wirtschaft bereits Anzeichen für eine Erholung. Der Rubel und die Börsenkurse reagierten jedoch heftig auf die jüngsten Sanktionen und es kann sein, dass die russische Wirtschaft wieder in eine Rezession abgleitet. Darunter würden auch die mit Russland Handel treibenden Länder leiden. Der Syrien-Krieg hat schon viel zu lange gedauert. Es muss eine Lösung gefunden werden. Um Druck auf die Kriegsteilnehmer auszuüben, sind Wirtschaftssanktionen vielleicht ein besseres Mittel als Raketenangriffe, aber noch besser wären Verhandlungen. Der Syrien-Krieg darf nicht zum Kräftemessen internationaler Großmächte werden.“
Frankreichs Nahost-Kompetenz nutzen
Und Eesti Päevaleht betont ebenso, dass eine Lösung für den Krieg in Syrien nur diplomatischer Natur sein kann:
„Es ist paradox, dass eine umfassendere Einmischung nicht vernünftig ist. Die militärische Intervention der USA hat in diesem Jahrhundert stets nur für mehr Chaos gesorgt. Der Westen kann in Syrien aber auch nicht einfach zuschauen, denn die islamistischen Extremisten und die Flüchtlingsströme müssen in Bann gehalten werden. Der Krieg in Syrien hat keine militärische Lösung. Um Frieden herzustellen, muss auf die Angriffe nun eine umfassende diplomatische Initiative folgen. Hier könnte Frankreich tatsächlich etwas bewirken - es ist ein Staat, der sowohl Kompetenz als auch Kontakte im Nahen Osten hat.“
Nicht mehr als Symbolpolitik
Mit Resignation blickt Dagens Nyheter auf die Raketenangriffe auf Syrien:
„Ob der Raketenangriff wirklich einen Effekt hat, ist äußerst zweifelhaft. Als vor einem Jahr als Repressalie eine Luftbasis bombardiert wurde, war diese nach nur einem Tag wieder in Betrieb. Assad hat seither mehrfach Kampfgas eingesetzt, und es besteht Grund zu der Annahme, dass ein Abschreckungseffekt auch dieses Mal fehlen wird. Die USA, Großbritannien und Frankreich erklärten, dass es eine begrenzte Aktion war, um zu zeigen, dass der Einsatz chemischer Kampfstoffe nicht der Normalfall werden kann. Mehr als Symbolpolitik ist es jedoch nicht. ... Was die USA jetzt in Syrien oder Teilen des Nahen Ostens zu tun gedenken, ist unklar. Die Raketen haben die Verwirrung nicht beseitigt. Irgendeine 'politische Lösung' zeichnet sich nicht ab.“
Assad hat noch genug Nervengas-Reserven
An der Wirkung der Angriffe zweifelt auch Bernardo Valli, Experte für internationale Politik, in La Repubblica:
„Ziel war es, die 'rote Linie' wiederherzustellen, das Verbot von Chemiewaffen, die Baschar-al Assad wiederholt gegen sein Volk eingesetzt hat. ... Nur dürften Trumps Ankündigung der Luftschläge ebenso wie die präzisen Hinweise für die Russen zu den Zielen der amerikanisch-französisch-britischen Raketen dazu geführt haben, dass nicht nur die Mitarbeiter der Forschungs-und Produktionsstätten in Sicherheit gebracht werden konnten, sondern auch Material und Labormaschinen. … Da verwundert es nicht, dass sich Baschar al-Assad kurz nach dem Angriff im syrischen Fernsehen ruhig und gelassen zeigte, als wäre nichts geschehen. … Die Erfahrung lehrt: Assad verfügt, was auch immer geschieht, über eine ausreichende Reserve an Nervengas.“
Syrisches Leid wurde nicht gemindert
Um die Lage in Syrien zu verändern, müssten dem Luftschlag weitere folgen, glaubt der Tages-Anzeiger:
„Ein einzelner Luftschlag stoppt das Morden nicht. Das hat aber auch die westliche Nichteinmischung der vergangenen sieben Jahre nicht getan. ... Etwas verändern werden die Luftschläge nur, wenn sie jedes Mal erfolgen, wenn Assad Giftgas einsetzt. Auch dann, wenn es davon keine Bilder von toten Kindern gibt. Und verbunden sein müssen sie mit grösserer Hilfe des Westens an Syriens Nachbarn, mit der Aufnahme von Flüchtlingen (die Trump gestoppt hat) und mit verstärktem Druck auf Russland und den Iran. Ansonsten mögen die Bomben noch so präzise sein - sie werden das Leid in Syrien nicht mindern.“
Unglaubwürdiger Angriff
Der Journalist und AKP-Abgeordnete Mehmet Metiner erklärt in Star, warum ihn die Reaktion der USA nicht zufriedenstellt:
„Wenn der Westblock, angeführt von den USA, es wirklich gewollt hätte, wäre heute von dem Mörder Assad und seinem Regime nichts mehr übrig. Offensichtlich hat dieser Block kein Problem mit Assad, an dessen Händen Blut klebt. ... Ginge es hierbei tatsächlich um Menschlichkeit und Gewissen, hätte man von Anfang an gezeigt, dass es nicht nur in Syrien, sondern auf dieser Welt keinen Platz für den Mörder Assad und sein Regime gibt. Deshalb stellt es mich nicht zufrieden, dass diese militärische Offensive mit einem Wertekatalog legitimiert wird. Ich halte Militäroffensiven, die nicht direkt darauf abzielen, Assad zu stürzen, für unglaubwürdig.“
Auf dem Weg zur gemeinsamen Syrien-Strategie
Militärische Inkompetenz kann man Trump jetzt so schnell nicht noch einmal vorwerfen, findet Hospodářské noviny:
„Er hat klar gemacht, dass er die Benutzung chemischer Waffen auf unserem Planeten gegen Zivilisten nicht duldet. Und er ließ sich von seinen Militärberatern sagen, wie er vorzugehen habe. Mehr noch, er hat kurzfristig auch noch die Franzosen und Briten dazu geholt. Niemand kann so sagen, er befinde sich auf seinem eigenen Kriegspfad. Diese Sicht ist für uns wichtig. Trump öffnete die Möglichkeit eines Wegs dahin, dass endlich eine gemeinsame Strategie für Syrien entsteht.“
Völkerrecht kein Argument gegen Bombardements
Das Vorgehen der USA, Großbritanniens und Frankreichs war gerechtfertigt, auch wenn das Völkerrecht gebrochen wurde, findet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[D]ieses Recht hängt in der Praxis ganz wesentlich davon ab, dass der UN-Sicherheitsrat funktioniert, dass also die Ständigen Mitglieder, drei Demokratien sowie ein autoritär geführtes Land und eine Parteidiktatur, bei Zielen und Mitteln übereinstimmen. Wenn ein Veto eingelegt wird, ist der Rat handlungsunfähig. Im syrischen Krieg war das ungeachtet aller Greuel oft der Fall; Russland hat daran einen beklagenswert großen Anteil. Wird der Bruch der Chemiewaffenkonvention nicht geahndet, ... braucht man auch keine großen Reden über den Primat des Völkerrechts zu halten.“