Wie integrierend wirkt der Fußball?
Viele Spieler des neuen Fußball-Weltmeisters Frankreich und anderer WM-Teams haben einen Migrationshintergrund. Kommentatoren treibt deshalb die Frage um, ob sich dem Fußball eine positive Wirkung auf nachhaltige Integration zuschreiben lässt.
Ohne nachhaltigen Effekt
Man darf vom Fußball nicht zu viel erwarten, erinnert der Geschichtsprofessor Pap Ndiaye in Le Monde mit Blick auf Frankreichs WM-Titel von 1998:
„Wir wissen, dass die politischen und sozialen Hoffnungen, die die Heldentat von Zinédine Zidane und seinen Teamkollegen geweckt hatte, nur eine Illusion waren und schnell enttäuscht wurden: 2002 kam Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in die zweite Runde und die Ausschreitungen von 2005 haben uns daran erinnert, dass 1998 nichts am düsteren Alltag in den ärmeren Banlieues geändert hat. Sportliche Erfolge bieten uns nur kurze Momente der Brüderlichkeit, die sicher kostbar und denkwürdig sind, aber keinen nachhaltigen gesellschaftlichen Effekt haben.“
Erfolg liefert den Beweis
Fußball-Nationalmannschaften sind in der Lage, Vorurteile abzubauen, glaubt Jutarnji list:
„Gäbe es keine Migranten in den Teams, wäre Frankreich vielleicht nicht Weltmeister geworden. Frankreich wurde es zum ersten Mal 1998, als die Hauptlast von Spielern getragen wurde, die aus anderen Ländern stammten. Nun wiederholte sich dies. Das Gleiche gilt für Belgien und die Schweiz. Belgien wäre nicht so erfolgreich ohne Spieler afrikanischer Abstammung. Ebenso die Schweiz, wenn dort nicht vier albanischstämmige Spieler, zwei Kroaten, ein Bosnier und einige Akteure anderer Herkunft gespielt hätten. Ohne den Trainer aus Bosnien-Herzegowina hätten sie sich wahrscheinlich nicht für die WM qualifiziert, geschweige denn es bis ins Achtelfinale geschafft. Diese Mannschaften sind der Beweis einer guten Integration und tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen.“
Migranten-Team kein Zeichen für Integration
Dass in der Mannschaft des Weltmeisters viele Franzosen mit Migrationshintergrund spielen, ist noch kein Grund, von gelungener Integration zu sprechen, kommentiert die national-konservative Tageszeitung Magyar Idők:
„Bei den elf Spielern der französischen Mannschaft mag die 'Wir-kämpfen-für-ein-Land'-Propaganda gefruchtet haben und so ist zumindest deren Integration gelungen. Doch in den Vorstädten zündeln arbeitslose Algerier täglich weiter. ... Aus einem Fußballerfolg abzuleiten, dass die Integration funktioniert, ist Selbstbetrug. Um das zu erkennen, reicht es schon zu beobachten, wie die Massen, die den WM-Sieg feierten und überwiegend aus Einwanderern bestanden, auf den Straßen von Paris Autos umwarfen und Polizisten mit Steinen beschmissen. Auch ihnen könnte es nicht schaden, wenn man ihnen - wie den Fußballspielern - die Marseillaise beibringen oder wenigstens einen Ball geben würde.“
Einwanderer von heute sind Weltmeister von morgen
Die Fußball-WM dient als Denkanstoß für Europas Flüchtlingspolitik, findet Standart:
„Während sich Europas Politiker den Kopf darüber zerbrechen, wie sie Flüchtlinge stoppen oder aus dem Land jagen können, wurde Frankreich Fußball-Weltmeister mit 17 Spielern, deren Wurzeln weit weg vom Alten Kontinent liegen. Es stellt sich heraus, dass die Neuankömmlinge nicht nur integriert, sondern gar zum Stolz der Nation werden können. … Fußball kann den wachsenden Hass auf Flüchtlinge in Europa umkehren. … Nun schimpfen alle über Angela Merkel, weil sie 2015 eine Million Flüchtlinge nach Deutschland ließ. Was werden die Deutschen aber sagen, wenn in 25 Jahren Fußballer aus syrischen Familien den WM-Titel wieder nach Deutschland holen?“
Macron darf die Banlieues nicht vergessen
Nur wenn Präsident Macron eine Politikwende macht, kann der WM-Sieg die Franzosen einen, findet The Guardian:
„Der Sieg kann nur dann zum Katalysator des Wandels werden, wenn Macron sich entschließt, entsprechend zu handeln. Gegenwärtig ist der französische Präsident bei jungen Menschen unglaublich unbeliebt, obwohl er versucht, sich als junger, für Veränderungen stehender Kandidat zu inszenieren. ... Nur Stunden nach dem Sieg wurden die Risse wieder sichtbar: Die Polizei prallte mit Feiernden aufeinander und setzte den öffentlichen Nahverkehr in den Vororten aus, was die jungen Leute daran hinderte, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Will Macron diesen Sieg wirklich für sich beanspruchen, muss er in diese Orte investieren.“
20 Jahre der Desillusion
Auch die gewonnene Weltmeisterschaft wird Frankreich nicht einen können, glaubt Rzeczpospolita:
„Die zwanzig Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten Meisterschaftstitel sind für die Franzosen eine Zeit der verlorenen Hoffnungen. Als Aimé Jacquet triumphierte, war Frankreich anders als heute, nach dem Sieg Didier Deschamps'. Wieder herrscht Freude, doch nur wenige hoffen darauf, dass dieser Erfolg das Land verändern wird. Nach 1998 sollte das Frankreich 'black-blanc-beur' (schwarz-weiß-nordafrikanisch) durch das gemeinsame Fundament des Fußballs zusammengehalten werden, doch es stellte sich heraus, dass statt eines geeinten Frankreichs eine Zeit des Terrorismus anbrach.“