Wie verändert die Parlamentswahl Lettland?
Die regierende Mitte-rechts-Koalition hat nach der Parlamentswahl in Lettland ihre Mehrheit verloren. Stärkste Kraft wurde die pro-russische Oppositionspartei Saskaņa (Harmonie). Drei Parteien ziehen neu ins Parlament ein. Angesichts dieser Fragmentierung dürfte die Regierungsbildung schwierig sein. Was das für den baltischen Staat bedeutet, erörtern Journalisten.
Zeit des Stillstands
Radikale Veränderungen wird es nach dieser Wahl in Lettland nicht geben, prophezeit der Politologe Filips Rajevskis auf dem Portal des lettischen öffentlichen Rundfunks, LSM:
„Vor der Wahl hörten die Bürger alle möglichen Drohgeschichten: Sowohl über eine pro-russische Regierung als auch über alte und neue Akteure, die nun an die Macht kommen und alles mögliche schiefgehen lassen. Das wird aber nicht passieren. ... Radikale Änderungen sind mit solch einer Zusammensetzung des Parlaments nicht möglich. Es wird schwierig sein, überhaupt irgendwelche Beschlüsse zu fassen. ... Die Politiker werden bald zur Einsicht gelangen, dass es für sie viel günstiger ist, schon an die kommende Wahl zu denken, als ernste Kompromisse einzugehen.“
Estland braucht einen stabilen Nachbarn
Postimees ist besorgt über das Wahlergebnis in Lettland, denn das neue Parlament mit sieben Parteien macht die Regierungsbildung schwierig und eine mögliche Koalition zerbrechlich:
„Das bunte politische Leben unseres südlichen Nachbarn ist nicht so einfach zu verstehen, wie das von Finnland oder Schweden. ... Gleichzeitig ist Lettland uns als Weggefährte durch viele gemeinsame gesellschaftliche Probleme näher. In der Europäischen Union und generell international ist es für Estland nützlich, in den Hauptfragen mit Lettland im Gleichschritt zu gehen. In diesem Sinne macht uns das Wahlergebnis Sorgen. Estlands Interessen decken sich mit der Aussage des lettischen Präsidenten Vejonis: stabile Regierung, Beibehaltung der bisherigen sicherheits- und außenpolitischen Linie, Fortsetzung der Reformen.“
Kein Grund zur Panik
Die Angst vor einem radikalen Politikwechsel ist unbegründet, beruhigt Neatkarīgā:
„Wir sollten die Situation nicht dramatisieren, zumal das Wahlergebnis mit den zur Zeit verfügbaren statistischen Methoden nicht exakt vorhersehbar ist. Doch selbst die schlimmsten Szenarien werden keine radikale Änderung der lettischen Außenpolitik nach sich ziehen. In einem demokratischen Staat kann die Regierung nur die Politik machen, die von der Bevölkerung, den Verwaltungsangestellten in Staat und Kommunen, Armee und Sicherheitsapparat unterstützt wird. Versuche, Änderungen herbeizuführen, gegen die die meisten Bürger in Lettland protestieren würden, könnten politischen Selbstmord bedeuten. Solche Parteien würden auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.“
Niemand will aus EU und Nato austreten
Lettlands Mitgliedschaft in EU und Nato ist nicht in Gefahr, wie oft behauptet wird, kommentiert Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga in einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung Ir:
„Hat eine Partei im Wahlkampf gesagt, dass Lettland die EU wie Großbritannien verlassen sollte? Hat irgendjemand gesagt, dass wir aus der EU austreten wollen, weil sie uns nur Prostitution und Graffiti gebracht hat? Nein, das hat man nie gehört. Hat denn eine Partei gesagt, dass ihr erstes Ziel der Nato-Austritt sein werde, falls sie an die Macht kommt? Natürlich nicht. Und das ist sehr wichtig. Denn in anderen Ländern gibt es sehr wohl Parteien, die radikale Aussagen machen. Gott sei Dank gibt es so etwas bei uns nicht. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass wir am Rande des Abgrunds und kurz davor stehen, in die Schlucht zu stürzen.“