Brüssel zeigt Härte: Rom droht Defizitverfahren
Die EU-Kommission hat auch den leicht veränderten Budgetentwurf Italiens wegen gravierender Verstöße gegen EU-Regeln abgelehnt und will ein Defizitverfahren gegen das Land einleiten. Für Rom steht damit eine Strafe von bis zu 3,4 Milliarden Euro im Raum. Einige Kommentatoren loben Brüssel für seine Unnachgiebigkeit, andere haben den Eindruck, dass in dem Streit beide Seiten angeschlagen sind.
Nachahmer abschrecken
Im Umgang mit Rom Milde zu zeigen, wäre der komplett falsche Weg, betont die Tageszeitung Die Welt:
„Andere Länder - wohl auch Frankreich - würden daraus folgern, dass die Regeln des Stabilitätspaktes weiterhin nur Empfehlungscharakter haben. Genau so war es auch Anfang des Jahrtausends, als Gerhard Schröder und Jacques Chirac den Pakt aufweichten - was nur Jahre später in die Euro-Krise mündete. Jetzt Prinzipientreue zu demonstrieren, keinen Zentimeter … zurückzuweichen, trägt umgekehrt eine Chance in sich. Die Chance nämlich, endlich mehr Regelbindung in der Währungsunion zu verankern. Das doch recht deutliche Signal aus Brüssel ist in diesem Sinne erfreulich.“
EU ringt ums Überleben
Die unnachgiebige Haltung Brüssels versucht Lucia Annunziata zu erklären, Chefredakteurin von Huffington Post Italia:
„Der lange Brexit-Abschied generiert im Keim den Zerfall der britischen politischen Ordnung; bei den Wahlen in Deutschland wurde die Macht von Merkel, für die ein langer Abschied erwartet wurde, fast mit einem Schlag beendet. … Kurz gesagt, das heutige Europa steckt viel tiefer in der Krise als dies noch im Juni [zum Amtsantritt der italienischen Regierung] der Fall war. Und weil die EU heute um ihre Existenz kämpft, hat sie den großmütigen, bürokratischen Zick-Zack-Kurs aufgegeben, der es ihr bisher ermöglichte, alle Bauchschmerzen der Mitgliedstaaten mitzutragen oder zumindest koexistieren zu lassen. Jetzt, da Europa sich in seiner Existenz bedroht fühlt, jetzt, da es Ängste aller Art hat, hat es das Messer gezogen.“
Italiens Regierung verliert Rückhalt
Dass die italienische Regierung nicht unbedingt auf die Unterstützung der Bürger zählen kann, betont Naftemporiki:
„Auch populistische Regierungen stürzen bisweilen in der Gunst der Bürger ab, wenn sie an der Macht sind. Die 'Revolution', der Konflikt mit dem 'Feind' fasziniert nur, bis man seine Folgen erlebt. Unabhängig davon, was die Anleger sagen, werden die Italiener in weniger als einem Jahr sehen, ob Salvinis Rezept ihr Einkommen erhöht oder schlechtere Tage mit sich gebracht hat. Für die italienische Regierung hat die erste Runde begonnen. Sie rief die Verbraucher auf, in sogenannte 'patriotische Anlagen' [Anleihen von Staat und Banken] zu investieren. Diese haben sich aber abgewendet.“
Italien bekommt seinen Konflikt mit Europa
Italien sucht bewusst den Streit, analysiert NRC Handelsblad:
„Nach Ansicht der Führer der Koalitionsparteien funktionieren die europäischen Regeln in Italien nicht. Als Beweis führen sie an, dass das Wachstum in Italien schon seit Jahren niedriger ist als das vom Rest der Eurozone und dass die Armut seit der Krise nur zugenommen hat. Die italienische Regierung setzt nun auf andere Prioritäten - ihr gutes politisches Recht, finden Di Maio und Salvini. ... Mehr Druck von den Finanzmärkten würde Italien zur Akzeptanz der europäischen Regeln zwingen. Aber solange das nicht geschieht, wird die Konfrontation andauern.“
Regeln nicht in Stein gemeißelt
Sowohl Brüssel als auch Rom sollten nun nachbessern, drängt der Leitartikler von Les Echos, Jean-Marc Vittori:
„Die Haushaltsregeln der Eurozone sind dumm, wie der frühere italienische Premier und ehemalige EU-Kommissionschef Romano Prodi einst sagte. Die Sanktion für den Regelbruch ist absurd, besteht sie doch aus einer deftigen Strafzahlung für ein Land, dessen Haushaltsloch ohnehin zu groß ist. Italiens Haushaltsentwurf ist dürftig, da er keine umfassenden Maßnahmen zur Wirtschaftsbelebung vorsieht, obwohl das Land seit Gründung der Eurozone beim Wachstum stets das Schlusslicht ist. Noch wäre es auch möglich, neue Regeln zu beschließen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt neu zu erfinden, Hilfe, Solidarität und Investitionen zu fördern, anstatt Abschottung zu begünstigen. … Doch schon bald könnte es zu spät sein.“
Früher oder später muss die Regierung einlenken
Italiens Vize-Premier Salvini reagierte zunächst mit Spott auf die Mahnung aus Brüssel: "Ich warte auch auf den Brief des Weihnachtsmanns", sagte er am Mittwoch. Der Brüssel-Korrespondent von La Stampa, Marco Zatterin, kontert:
„Den Brief an den Weihnachtsmann sollte lieber Salvini selbst schreiben, am besten gemeinsam mit Di Maio und Conte. Sie könnten sich Weisheit wünschen, die sie befähigt, zumindest einen Zweifel am Expansionspotenzial [der italienischen Wirtschaft] zu haben. ... Sie könnten um ein Rezept bitten, um den Verdacht über die Unzuverlässigkeit des Landes auszuräumen und die Ruhe auf den Märkten wiederherzustellen. Sie könnten um Weitsicht bitten, um ernsthafte Verhandlungen mit ihren europäischen Partnern führen zu können, was sie früher oder später tun müssen.“
Eurozone auf der Wartebank
Ein Kollateralschaden der Konfrontation zwischen Rom und Brüssel ist bereits absehbar, bemerkt der Tages-Anzeiger:
„Alle Pläne, die Eurozone zu vertiefen und zu festigen, werden jetzt wohl auf Eis gelegt werden. Die Nordeuropäer werden einer europäischen Einlagensicherung oder einer Stärkung des Eurorettungsfonds für Banken in Schieflage mit einer solchen Koalition in Rom nicht zustimmen. Wer will schon für eine Regierung haften, die sich gezielt über gemeinsam vereinbarte Regeln hinwegsetzt. Das ist schlecht, denn die nächste Rezession, die nächste Finanzkrise kommt bestimmt.“