Spiegel-Reporter des Betrugs überführt
Der preisgekrönte Reporter Claas Relotius hat zugegeben, dass er in seinen Reportagen systematisch betrogen hat. Eine Vielzahl von Szenen, Personen und Gesprächen war frei erfunden. Das Magazin Der Spiegel, bei dem Relotius als Redakteur angestellt war, machte den Fall öffentlich. Europas Journalisten sorgen sich um den Ruf der Branche in Zeiten, in denen der Fake-News-Vorwurf grassiert.
Nicht nur Der Spiegel hat ein Problem
Schnelle und konsequente Aufarbeitung fordert die Süddeutsche Zeitung:
„Nur so lässt sich der unfaire, ja verleumderische Vorwurf entkräften, der Fall Relotius sei typisch für die Medienbranche. Leserinnen und Leser verdienen Antworten auf ihre Fragen: Wo haben Ressortleiter, Korrekturleser, Faktenchecker geschlampt? Hat sein Arbeitsumfeld Relotius in seinem Tun bewusst oder unbewusst befördert? Ist die auf Journalistenpreisen gründende Aura der Genialität, die Reporter wie Relotius umweht, Teil des Problems? Viele dieser Fragen weisen über den Spiegel hinaus. Wenn die Redaktionen Antworten finden und diese den Lesern vermitteln, kann der Fall, der gerade nur Verlierer kennt, den Journalismus ein Stück voranbringen.“
Medien müssen Vertrauen wieder herstellen
Der Skandal beim Spiegel könnte negativ auf die gesamte Branche abfärben, befürchtet Helsingin Sanomat:
„Die Medien sind nun in einer schwierigen Situation: Wie stellen sie sicher und vermitteln ihren Lesern, dass so etwas bei ihnen nicht passieren könnte? Der Spiegel-Skandal ist in Zeiten, in denen Fake News zum Wort des Jahres gewählt wird, ein schwerer Schlag für den Journalismus überall in Europa. ... Es wäre überheblich, den Fall Relotius als Einzelfall abzutun. Stattdessen müssen nun Zeitungen und andere Medien noch präziser als bisher ihre Vorgehensweise, die Entstehung ihrer Geschichten und die Kontrolle der Journalisten offenlegen. Sie müssen darüber informieren, dass niemand etwas alleine veröffentlicht. Artikel werden überprüft, redaktionell bearbeitet und mögliche Schwachstellen darin korrigiert. Der Rest ist dennoch Vertrauen.“
Weniger Spektakel, mehr Handwerk
Medienschaffende sollten sich wieder mehr auf das Wesentliche konzentrieren, findet der Tages-Anzeiger:
„Blattmacher, Chefredaktionen und Jurys von Journalistenpreisen sind redaktionsintern und branchenweit mit dafür verantwortlich, dass Journalisten aus falschen Ambitionen oder falsch verstandener Bedienung der Aufmerksamkeitsökonomie über die Grenzen ihrer Redlichkeit hinaus getrieben werden. Die Leserschaft wird nichts vermissen, wenn einige Reportagen danach weniger spektakulär, stattdessen aber hundertprozentig vertrauenswürdig werden. Die Wirklichkeit wird spektakulär genug bleiben. Und vielleicht werden Journalistenpreise künftig vermehrt für die höchste Ambition in unserem Beruf vergeben: solides Handwerk.“