Antisemitische Aggressionen in Frankreich
Mehrere antisemitische Taten in jüngster Zeit und zuletzt auch ein Vorfall am Rande der Gelbwesten-Demonstrationen haben in Frankreich Besorgnis ausgelöst. Protestler beschimpften am Samstag in Paris den Intellektuellen Alain Finkielkraut. Vergangene Woche wurde bekannt, dass 2018 in Frankreich 74 Prozent mehr antisemitische Taten verzeichnet wurden als 2017. Wer trägt die Schuld an dem Hass und ist er ein Problem der Gelbwesten?
Protestbewegung am Scheideweg
Die Gelbwesten müssen nun klar Position beziehen, fordert der Soziologe Massimiliano Panarari in La Stampa:
„Wenn es das Ziel ist, die Spannung im Land hoch zu halten und die Zahl der Teilnehmer an den Kundgebungen zu maximieren, dann wird die Bewegung weiterhin nicht nur die legitimen Proteste vieler Bürger versammeln, sondern auch alle Fanatiker, alle, die sich schlicht 'gegen' die Institutionen richten. Dann wird sie auch von der extremen Rechten infiltriert, die vom Anti-Macronismus zum Antisemitismus übergeht. Oder aber die Führung der Gelbwesten wird sich (endlich) dafür entscheiden, Verantwortung zu übernehmen, die gewalttätigen, extremistischen und nihilistischen Fraktionen zu isolieren und eine klare Entscheidung fällen, welche Instanzen und Personen sie wirklich vertreten will.“
Regellosigkeit befördert Hass
Wie es zu antisemitischen Ausfällen am Rande der Gelbwestenproteste kommen konnte, erklärt der Essayist und Philosoph Raphaël Glucksmann in Libération:
„Die Tatsache, dass eine soziale Bewegung derart durch Antisemiten verschmutzt wird, ist insbesondere auf das Fehlen eines Rahmens sowie auf die Krise von Verbänden, Gewerkschaften und politischen Parteien zurückzuführen. Es wäre falsch, das Nicht-Vorhandensein von gewerkschaftlichen und politischen Organisationen als simple Emanzipation, als ein an sich positives Phänomen zu interpretieren. Gewerkschaften und Parteien dienen dazu, Tabus, Regeln und Grundsätze des gesellschaftlichen Lebens festzulegen, an denen nicht zu rütteln ist. Ohne institutionellen Rahmen, ohne Vermittler kommt es zum Tabubruch. Es gibt keine Struktur mehr, die die Wut kanalisieren kann und die Demokratie schlittert in die Krise.“
Regierung instrumentalisiert Antirassismus-Kampf
Die Regierenden wollen die Gelbwesten diskreditieren, kritisiert eine Gruppe von Vereinen und Gewerkschaften in Mediapart:
„Die antisemitischen Vorfälle weisen klar die ideologische Handschrift der extremen Rechten auf. ... Sie zeugen von der wachsenden Verbreitung der rechtsextremen Dialektik in einem Kontext zunehmender sozialer Ungleichheit. ... Die Regierung und ihre Verbündeten haben jedoch beschlossen, diese Vorfälle gegen die Gelbwesten zu instrumentalisieren, und bezichtigen sie daher neben ihrer angeblichen Gewalt auch des Antiparlamentarismus und des Antisemitismus. … Der strukturelle Rassismus ist weder das Produkt der Gelbwesten noch das von Minderheiten. Er wird vom Staat generiert, der eine brutale Gesellschaft mit großer sozialer Kluft befördert. Dass der größte Förderer des Rassismus den Kampf gegen ihn auf erniedrigende Weise manipuliert, nehmen wir nicht hin.“
Europa ohne Juden ist kein Europa mehr
Ganz Europa hat ein Antisemitismusproblem, schlägt die Tageszeitung Die Welt Alarm:
„Die jüdischen Gemeinden in Großbritannien warnen vor Labour-Chef Jeremy Corbyn als Premier und prophezeien im Fall seiner Wahl einen weiteren Exodus von Juden aus Europa. ... [W]as gerade in Frankreich geschieht, wo die antisemitischen Straftaten stark zunehmen, ist vorher schon in Schweden passiert: Die jüdischen Gemeinden geben auf und ziehen weg. ... Es kann und darf nicht so weitergehen. Wir drohen in Europa den Kampf gegen den Antisemitismus zu verlieren - und damit auch uns selbst. Das Judentum in Europa ist ein Herzstück unserer Identität. Ein Europa ohne jüdische Bürger ist kein Europa mehr. Es ist eine Farce, ein Skandal, unser Ende als Europa.“