Gibt es einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse?
Alle Nachbesserungen waren vergebens: Das Unterhaus hat erneut das von Premierministerin May mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen abgeschmettert. Am heutigen Mittwochabend stimmt es nun über einen Austritt ohne Deal ab. Weisen die Abgeordneten auch diesen zurück, entscheiden sie am Donnerstag, ob London einen Aufschub des Brexit beantragen soll. Wie es nun weitergehen könnte, erklärt Europas Presse.
Letzte Chance für würdigen Abgang
Nach ihrem erneuten spektakulären Scheitern im Unterhaus sollte die Regierungschefin die Zeichen der Zeit erkennen, meint Kolumnist Philip Johnston in The Daily Telegraph:
„Wer auch nur ansatzweise ein Gespür für die Situation besitzt, würde in dieser Phase aufgeben - und sei es nur, um sich einen würdigen Abgang zu einem selbst gewählten Zeitpunkt zu ermöglichen, bevor das Erschießungskommando Aufstellung nimmt. ... In anderen politischen Zeiten hätte sich Theresa May womöglich als gute Regierungschefin erweisen können. Zähigkeit und Durchhaltevermögen sind stets Qualitäten, die im nationalen Interesse eingesetzt werden können. In der jetzigen Phase haben sie sich jedoch als Hindernis erwiesen.“
Die Stunde des Parlaments
Mit Theresa May wird es keine Lösung geben, glauben auch die Salzburger Nachrichten:
„Sowohl Brexit-Gegner als auch Europaskeptiker zeigen mittlerweile offen ihre Verachtung für die Premierministerin, die völlig die Kontrolle verloren hat. Nun muss endlich das Parlament übernehmen mit dem Ziel, zunächst das Katastrophen-Szenario eines Austritts ohne Abkommen vom Tisch zu nehmen und den Brexit-Termin zu verschieben. Dann sollten die Abgeordneten aus allen Parteien zusammenkommen und sich eine neue Vision für die Zukunft des Landes überlegen, Konsens bilden und parteiübergreifende Mehrheiten suchen für eine alternative Form des Austritts aus der EU. Am Ende dürfte ein deutlich weicherer Brexit herauskommen. Mit May in der Downing Street wird das nicht gehen.“
Corbyn im Dilemma
Dass nun eigentlich Labour-Chef Jeremy Corbyn die Sache in die Hand nehmen müsste, bemerkt London-Korrespondent Enrico Franceschini in La Repubblica:
„Paradoxerweise kann nun nur die Labour-Partei von Jeremy Corbyn das Chaos beseitigen. Und zwar, indem sie die Premierministerin davon überzeugt, ihren Plan zu akzeptieren: Für immer mit einem Fuß in Europa zu bleiben, innerhalb der Europäischen Zollunion, wie etwa die Türkei oder San Marino. Ein Vorschlag, den der Labour-Chef auch gestern Abend sofort wieder einbrachte. Doch damit erregt Corbyn den Unmut eines Großteils seiner Anhänger. Denn die hoffen nicht auf einen weichen Brexit, sondern auf ein zweites Referendum, um den Brexit zu stoppen.“
May zu schwach für neue Verhandlungen
Für nächste Woche ist ein EU-Gipfel geplant. Hat May tatsächlich auf Zugeständnisse in letzter Minute gesetzt, überlegt NRC Handelsblad:
„Ihr Kalkül könnte gewesen sein, dass sich ihre einzige echte Chance auf Konzessionen der EU erst kurz vor dem tatsächlichen Auszug der Briten ergibt. Dass sie die Regierungschefs erst auf dem letzten Gipfel gegeneinander ausspielen könnte. … Nur scheint es dafür nun zu spät zu sein. Auch die erneute Niederlage von May ist so überwältigend, dass in Brüssel kein Unterhändler mehr zu finden ist, der noch daran glaubt, dass Konzessionen ihr eine Mehrheit im Unterhaus verschaffen. May ist politisch zu schwach für einen Brexit mit Abkommen. Das macht jede Verzögerung von einigen Wochen von vornherein problematisch.“
EU muss ein Machtwort sprechen
Nun muss die EU auch gegen Mays Willen auf ein zweites Referendum pochen, findet Evenimentul Zilei:
„Sie muss signalisieren, dass die Glaubwürdigkeit des britischen Partners am Boden ist, und dieser Fantasie-Versprechen nicht halten und die in der Brexit-Kampagne verkaufte Utopie nicht realisieren konnte. Dass die Briten nun verstanden haben, was Brexit bedeutet, und die Propaganda durchschaut haben, der sie zum Opfer fielen. Dass die Bevölkerung nun das Recht haben sollte, erneut darüber abzustimmen. Und dass die EU dafür bis Jahresende warten wird.“
Wollen sich die Briten überhaupt helfen lassen?
Ihre Antwort auf ein mögliches Aufschubgesuch sollte sich die EU gut überlegen, rät Le Soir:
„Die Briten haben 2016 klar für den Brexit gestimmt und ihre Parlamentarier haben jetzt schon zum zweiten Mal das von ihrer eigenen Regierung ausgehandelte Abkommen abgelehnt. Wie der dänische Premier es so schön ausdrückte: Es ist schwierig, jemandem die Hand zu reichen, der beide Hände in der Tasche hat. ... Das Bild lässt sich weiterdenken: Man kann sich vorbeugen und jemandem die Hand reichen, der in den Abgrund stürzt. Doch wenn man sich zu weit vorstreckt, um jemanden zu retten, der nicht gerettet werden will, riskiert man, mitgerissen zu werden. Die britische Maskerade dauert schon lang genug. Die EU muss jetzt entscheiden, ob sie sich in diesem schauderhaften und gefährlichen Tanz weiter mitziehen lassen will.“