Istanbul: TV-Duell ohne klaren Sieger
In einem TV-Duell vor der erneuten Bürgermeisterwahl in Istanbul sind der abgesetzte Oppositionskandidat, İmamoğlu, und sein Gegner von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, Yıldırım, aufeinandergetroffen. Es war das erste TV-Duell in der Türkei seit 2002, dem Jahr, in dem die AKP an die Macht kam. Was bedeutet das Duell um den Chefposten in Istanbul für die Türkei?
Der unnötige Wahlkampf hat etwas Gutes
Angesichts der Wirtschaftskrise kann sich die Türkei diesen Wahlkampf eigentlich überhaupt nicht leisten, gibt die Süddeutsche Zeitung zu bedenken:
„Erdoğan und seine AKP haben das Land in einen neuen, teuren Wahlkampf getrieben. Und dies nur, weil sie die Niederlage im Kampf um das Oberbürgermeisteramt von Istanbul nicht verwinden können. Istanbul ist die Geldmaschine der Türkei, wer hier im Rathaus sitzt, kann lukrative Aufträge vergeben. Das Gewebe aus Gefälligkeiten und Korruption macht ein Machtwechsel erst einmal zunichte, bis es wieder wächst, wenn die Demokratie nicht für Abwechslung sorgt. Ein Gutes aber hat der unnötige Wahlkampf: Er hat dem Land eine TV-Debatte beschert, wie es sie nicht gab, seit Erdoğan regiert. Damit haben die türkischen Medien, die lange schon der Mut verlassen hat, der Demokratie einen Dienst erwiesen.“
Ein unglückliches Format
Während des Duells sprachen die Kandidaten nicht miteinander, sondern hatten für jede Antwort drei Minuten, was viele Zuschauer kritisierten. Kolumnistin Nihal Bengisu Karaca zeigt in Habertürk Verständnis für die Kritik:
„Die Antwort auf die Frage, ob die Sendung zufriedenstellend gewesen sei, lautet leider sehr offensichtlich: nein. Warum? Weil es in dieser Diskussion, die ihrer Natur nach im Stil eines 'Hardtalks' hätte verlaufen müssen, keine Diskussion gab. Es wäre zu einfach, einen Journalisten verantwortlich zu machen, der bereits seit Jahren seine eigene Morgensendung sehr erfolgreich moderiert. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen, dass mit diesem Format einfach nicht mehr rauszuholen war. Das Bemühen, sich an die Vorgaben zu halten, hat zu einem Spannungsabfall geführt.“
AKP-Strategie funktioniert nicht
Die Verzweiflung der AKP angesichts der drohenden Niederlage in Istanbul hat die Parteiführung veranlasst, den AKP-Kandidaten Yıldırım in ein für ihn aussichtsloses TV-Duell zu schicken, analysiert Artı Gerçek:
„Die AKP fühlte sich offenbar gezwungen, ihren Kandidaten für Istanbul Binali Yıldırım gegen den Kandidaten der CHP Ekrem İmamoğlu im Fernsehen auftreten zu lassen. Denn sie droht, Istanbul zu verlieren. Den letzten Ausweg sahen sie tatsächlich darin, Binali Yıldırım aus der Deckung zu holen. ... Die Angst, Istanbul zu verlieren hat dazu geführt, dass Erdoğan von seiner 'Arroganz der Macht' abrücken musste. ... Doch auch die letzte Hoffnung Erdoğans, der über diese Sendung sagte, er glaube, sie würde ein vollkommen neues Licht auf die Sache werfen, hat sich nicht erfüllt.“