Polen: Hass auf LGBT-Bewegung
Nach dem Angriff auf die Pride-Parade in Białystok ist in Polen eine Debatte über Homophobie entbrannt. Rechte Gegendemonstranten hatten die Teilnehmer des Marsches mit Steinen, Böllern und Flaschen attackiert. Woher kommt die Aggression?
Homophobie als Ablenkungsmanöver
Die Hassrede hat in Polen System, glaubt Dagens Nyheter:
„Hetze gegen LGBTQ-Personen wird genutzt, um rechte Kräfte zu mobilisieren. ... Vor der [Parlaments-]Wahl im Herbst führt [die regierende PiS-Partei] einen Kampf gegen das, was sie 'LGBTQ-Ideologie' nennt. Parteichef Kaczyński hat betont, diese Ideologie, ebenso wie die Genderwissenschaft und die UN-Empfehlungen zum Sexualkundeunterricht, stelle eine ausländische Bedrohung Polens dar. Es ist kein Zufall, dass dies geschieht, während gleichzeitig die übrigen EU-Länder mit Forderungen nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit den Druck auf Polen und Ungarn verstärken. Indem man die Aufmerksamkeit auf liberale Forderungen nach LGBTQ-Rechten lenkt, hofft man, der Bevölkerung werde der Abbau der Demokratie entgehen.“
Konservative Meinungen sind legitim
Für Rzeczpospolita wird die Diskussion um LGBTs zu radikal geführt:
„Die Rechte und ihre Medien, wie Gazeta Polska, können, auch wenn sie das wollen, Polen zu keiner LGBT-freien Zone deklarieren. LGBT-Personen waren, sind und werden ein Teil der Gesellschaft sein und sie sind genauso polnische Bürger wie Sympathisanten der PiS-Partei und Leser rechtsnationaler Zeitungen. Aber das gilt auch andersherum. Einige Vertreter der Linken versuchen uns einzureden, dass alle, die die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner nicht akzeptieren, sich in keinster Weise von Hooligans und Nationalisten unterscheiden, die in den Straßen von Białystok Menschen zusammenschlagen. Damit setzen sie Konservativismus und Hass gegenüber LGBTs gleich. Doch hierbei handelt es sich nicht um Homophobie, sondern um eine Meinung, die in einer Demokratie legitim ist.“
LGBT-Minderheit als Sündenbock
Die Gewalt gegen die erste LGBT-Demo in Białystok kam für Sme nicht unerwartet:
„Kirchenvertreter hatten vorab mit Nachdruck 'Nein' gesagt. Zudem gilt die Stadt als Bastion der Regierungspartei PiS. Deren Chef Jarosław Kaczyński hatte zuletzt vor den EU-Wahlen betont, nur seine Partei gebe eine 100-prozentige Garantie für den Schutz polnischer Werte. Homosexuelle bedrohten die polnische Identität und die polnische Nation. ... Die Reaktionen auf den Ausgang der Aktion waren gemischt. Ein Sprecher des Episkopats schrieb zwar, dass Gewalt und Verachtung verurteilt werden müssten. Er fügte aber hinzu, dass die Demonstranten für die Kirche nach wie vor eine tödliche Sünde begingen. ... Es macht nicht den Eindruck, dass Politiker und Bischöfe in naher Zukunft ihre Haltung gegenüber der LGBT-Minderheit ändern werden, die für sie der Sündenbock ist.“
Hass zeugt von der Krise der Kirche
Die Ereignisse von Białystok sind auch ein Zeugnis der Krise der katholischen Kirche in Polen, analysiert Tygodnik Powszeczny:
„Um zu verstehen, was in Białystok passiert ist, kann man die zahlreichen Erklärungen von Bischöfen und Priestern nicht ignorieren, die LGBT+ eindeutig auf 'der dunklen Seite der Macht' platzieren: Sie werden dargestellt als eine Bedrohung für die Familie, die Sicherheit von Kindern, den sozialen Frieden, und aller Werte, die den Christen heilig sind. ... In der polnischen Gesellschaft wächst die Aggression und die katholische Kirche tut nichts, um dieses Problem zu lösen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns - tatsächlich im Sinne des Evangeliums - bekehren müssen.“