Tschechien: 30. Jahrestag der Samtenen Revolution
Tschechen und Slowaken haben am Wochenende den 30. Jahrestag ihrer Wende gefeiert, die mit Demonstrationen am 17. November 1989 begann. Auch zu den aktuellen Feierlichkeiten gesellten sich Massendemonstrationen, namentlich in Prag, wo 250.000 Menschen gegen eine Bedrohung der Demokratie durch die politischen Eliten protestierten. Wie es Tschechien heute tatsächlich geht, erörtert Europas Presse.
Bittersüßes Jubiläum
Die Politik von Premierminister Babiš setzt die Errungenschaften von 1989 aufs Spiel, stellt Hospodářské noviny fest:
„Ein erheblicher Teil der Gesellschaft sieht Freiheit und Demokratie zunehmend gefährdet und fordert deshalb, das Erbe des 17. Novembers zu verteidigen. Zugleich sind die meisten Tschechen nach Wahlumfragen mit der Politik von Premier Andrej Babiš zufrieden. ... Babiš bedauerte in einer Festrede seine kommunistische Vergangenheit, versprach Freiheit und Demokratie zu wahren und für alle zu arbeiten. Die Aussagen des Premierministers stimmen jedoch nicht immer mit der Wahrheit überein. Die Massendemonstration kurz vor dem 17. November hat das Misstrauen gegen sein Konzept der Politik bestätigt, das mit der faktischen Missachtung demokratischer Institutionen verbunden ist. “
Proteste legen Finger in die Wunde
Die Proteste wundern Večer nicht:
„Auch Tschechien und die Slowakei waren, nach der Entfernung der Kommunisten von der Macht, in den entfesselten Casino-Kapitalismus gestoßen worden. Die Proteste gegen die Regierungen in Prag und Bratislava beweisen, dass die Bewohner der beiden Nato- und EU-Mitglieder dies spüren, obwohl es dort keine starke Wirtschaftskrise gibt. Es ist kein Zufall, dass die Demonstrationen zum Jahrestag der Samtrevolution stattfinden. Denn in den dreißig Jahren ungezügelter Deregulierung nach der Samtrevolution war nur eine Handvoll Menschen so schlau und pfiffig, großen Reichtum anzuhäufen. Dem Rest der Bevölkerung wurde es überlassen, so gut es geht über die Runden zu kommen. Bereits das tägliche Überleben ist mit ständigen Unsicherheiten und Ängsten verbunden. “
Das ist die Demokratie, die wir gewollt haben
Einen vergleichsweise erfreulichen Jahrestag hat Mladá fronta dnes erlebt:
„Der 17. November ist weder richtig noch falsch begangen worden. Die Pluralität der Ansichten darüber, wie der Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie gefeiert werden sollte, ist grundlegend. Das ist nunmal die Demokratie, die wir vor 30 Jahren gewollt haben. Aus dieser Sicht war das Jubiläum ein ganz normales. Keine Gewalt im Geiste der französischen Gelbwesten, keine Beleidigungen von Gegnern, keine brennenden Autos oder Raubzüge. Am Ende landeten diesmal - anders als im Vorjahr - selbst die Blumengebinde von ungeliebten Politikern nicht in einem Papierkorb.“