Anklage gegen Netanjahu wegen Korruptionsverdacht
Israels Generalstaatsanwalt erhebt Anklage gegen Premierminister Benjamin Netanjahu wegen des Verdachts auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit. Zurücktreten muss er deswegen nicht, das wäre erst im Falle einer Verurteilung nötig – und Netanjahu hat bereits angekündigt, im Amt bleiben zu wollen. Warum er sich das trotzdem nochmal überlegen sollte, analysieren Kommentatoren.
Dieser Politikstil schadet dem Land
Netanjahu will einfach nicht wahrhaben, dass er schon längst hätte zurücktreten müssen, klagt die Israel-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Alexandra Föderl-Schmid:
„Immer wieder erklärt er, nur er könne für Israels Sicherheit sorgen. Dabei ist es die Instabilität durch das seit einem Jahr andauernde politische Gerangel, was die Sicherheit Israels gefährdet. Als Angeklagter im Gerichtssaal wird er den Anforderungen des Amtes sicher nicht gerecht werden können. Davon abgesehen schadet es dem Ansehen des Landes, wenn sein Ministerpräsident wegen Korruption angeklagt ist. Aber das ist Netanjahu egal. Seine politischen Kampagnen dienen ohnehin seinen persönlichen Interessen. Mit seinen Attacken [gegen seine Kritiker] schwächt er den Rechtsstaat und damit die Demokratie, auf die Israelis stolz sind.“
Likud braucht einen Neuanfang
Netanjahu sollte sich jetzt aus der Parteiführung und dem Premiersamt zurückziehen, rät die Neue Zürcher Zeitung:
„Ein politischer Neuanfang täte sowohl dem Likud wie auch Israel gut. Netanyahu hat das Land und seine Partei zusehends zu Geiseln gemacht, um die schweren Vorwürfe gegen ihn abzuwehren. Um an der Macht zu bleiben, war ihm dabei fast jedes Mittel recht. ... Der Likud ist bekannt dafür, seinem Parteivorsitzenden unverbrüchlich die Treue zu halten. Sollte [der parteiinterne Rivale Netanyahus] Saar oder auch ein anderer Kritiker aufgrund der Anklage genügend Auftrieb erhalten, könnte dies jedoch den Weg für eine grosse Koalition zwischen dem Likud und dem Bündnis Blau-Weiss um Benny Gantz ebnen.“
Niemand ist unantastbar
Večer freut sich über die Anklage:
„Sowohl die Untersuchung im Kongress gegen US-Präsident Trump, die mit ziemlicher Sicherheit in einer Abstimmung zur Amtsenthebung enden wird, als auch die Anklage gegen Netanjahu zeigen, dass in der Politik niemand unantastbar ist. Ihre Sünden ähneln sich, und man nennt sie auf Latein quid pro quo [dies für das]. ... Quid pro quo ist leider auf der ganzen Welt zum politischen Modus operandi geworden. Der Unterschied liegt nur darin, ob man in einigen Ländern wagt, gegen die Politiker auf der Höhe ihrer Macht zu ermitteln, oder ob man vorsichtig abwartet, dass ihr Stern erlischt. Darin unterscheiden sich Rechtsstaaten noch am stärksten von scheinbaren Demokratien.“
Netanjahu ist politisch am Ende
Der langjährige Premier wird den Skandal politisch nicht überleben, prophezeit La Repubblica:
„Bibis Herrschaft ist vorbei. Aber der 'König' will nicht vom Pferd steigen, er dankt nicht ab. In der Nacht kündigte er an, dass er die letzten Treuergebenen um sich scharen und gegen den 'Putsch der Richter' in den Kampf ziehen werde. ... Er wird alles ausprobieren und Israel immer noch in Schach halten, vielleicht sogar für Monate. Aber seit gestern Abend ist Netanjahu der erste Regierungschef Israels, der sich während seiner Amtszeit vor Gericht verantworten muss. Und das wird ihm sicherlich die Chance nehmen, in seinem Amt zu überleben, mit oder ohne Neuwahl.“
Sinnlose Machtkämpfe gefährden Israels Zukunft
Israel setzt durch den anhaltenden Parteienstreit seine Zukunft aufs Spiel, warnt Der Standard:
„Israel ist militärisch, politisch und wirtschaftlich heute stärker denn je. Das gibt dem Land die Chance, seine Zukunft in einer schwierigen Region aktiv zu gestalten – vor allem im Zusammenleben mit den Palästinensern. Stattdessen verheddert sich die Politik in sinnlosen Machtkämpfen und sieht zu, wie eine wachsende Polarisierung die einstige Solidarität immer mehr untergräbt. Netanjahu, der Großmeister des Opportunismus, ist das stärkste Symbol für diese Misere.“