Tiergarten-Mord: Russische Diplomaten ausgewiesen
Deutschland hat zwei russische Botschaftsmitarbeiter ausgewiesen, die für den Geheimdienst GRU arbeiten sollen. Denn der deutsche Generalbundesanwalt verdächtigt nun offiziell staatliche russische Stellen, am Mord an einem Georgier beteiligt zu sein. Dieser war im August am helllichten Tag in einem Berliner Park erschossen worden. Welche Auswirkungen hat der Fall?
Berlins Russlandpolitik muss realistischer werden
Deutschlands Regierung sollte diese Tat zum Anlass nehmen, ihre Positionen gegenüber Moskau zu überdenken, fordert Der Tagesspiegel:
„Sie könnte damit anfangen, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. In den vergangenen fünf Jahren war Putins Russland verantwortlich für die Beeinflussung von Wahlen in westlichen Demokratien, für Hackerangriffe, auch auf Bundestag und Regierung, für massive Desinformationskampagnen im Internet und für die Kriege in der Ukraine und in Syrien. Doch wer die deutsche Debatte über die Russlandpolitik verfolgt, findet davon wenig wieder. Stattdessen ist in Berlin alle paar Wochen die Rede davon, die Sanktionen abzubauen, die wegen der russischen Intervention in der Ukraine verhängt wurden.“
Klare Kante gegen das Verbrecherregime 2.0
Jyllands-Posten geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert härtere Gegenmaßnahmen:
„Für die realistischen Beobachter - die gibt es auch in Deutschland, aber vorwiegend in den USA, Großbritannien, in Polen und im Baltikum - ist der Mord einfach eine Bestätigung, dass Russland keine Mittel scheut, um seinen Gegenspielern das Leben zu nehmen. … Die Reaktionen in Moskau sind immer dieselben. Das Regime macht auf beleidigt und stellt sich als vollkommen unschuldig dar. So ist es natürlich nicht, und deshalb ist es leider notwendig, dass der Westen die Friedensdividende aufgibt und aufrüstet. Der Kreml ist immer noch ein Verbrecherregime, jetzt in der Version 2.0, aber immer noch unheimlich.“
Niemand sollte mehr an Putins gutes Herz glauben
Für eine Wiederannäherung an Moskau ist jetzt beileibe nicht die richtige Zeit, findet Dagens Nyheter:
„Putins Annektierung der Krim 2014 hatte Sanktionen zur Folge, die immer noch gelten. Die Bombardierungen in Syrien haben die Rücksichtslosigkeit des russischen Regimes zutage treten lassen. Aber Frankreichs Präsident Emmanuel Macron findet, es sei an der Zeit, die Beziehung zu den Russen aufzutauen und sie nicht weiter als Gegner zu sehen. Am Montag treffen Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel Putin in Frankreich, um über den Krieg in der Ukraine zu beraten. Der russische Präsident hat sich bisher geweigert, seine Soldaten zurückzuziehen oder anderweitig nachzugeben. Der Mord in Berlin ist eine Erinnerung, dass man nicht an sein gutes Herz glauben sollte.“
Ein zerrüttetes Verhältnis
Berlin und Moskau entfernen sich immer weiter voneinander, beobachtet Rzeczpospolita:
„Das gilt vor allem für Deutschland, das trotz der konsequenten Weigerung, antirussische Sanktionen aufzuheben, immer 'reden wollte'. Eigentlich verbindet beide Länder auch Nord Stream 2, wofür sie heftig von den USA angegriffen werden. Doch im November lehnte Berlin den russischen Vorschlag ab, ein Moratorium für den Einsatz von Mittelstreckenraketen in Europa einzuführen (falls Washington den INF-Vertrag kündigen würde). Und jetzt wartet auf Berlin und Moskau die nächste Konfrontation am 9. Dezember, wenn es beim Treffen im 'Normandie-Format' um den Krieg in der Ukraine gehen wird.“
Pfuschende Spione gefährden Beziehung zu Berlin
Als Russe muss man sich geradezu für den Dilettantismus der Agenten schämen, der sich in Berlin und Salisbury offenbart hat, schimpft Anton Orech von Echo Moskwy:
„Ich hege keinerlei Sympathien für Skripal und erst recht nicht für [das Berliner Mordopfer] Changoschwili. Aber das Cowboytum unserer Superagenten ist auch überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Klar, dass solche Leute ihre Arbeit nicht mit Samthandschuhen verrichten. Aber wenn ihr schon so coole Killer seid, dann pfuscht nicht rum und lasst euch nicht erwischen. Da schämt man sich doch für sein Land! ... Alle Geheimdienste machen in etwa das Gleiche. Aber erwischt werden immer nur unsere und das ist dann immer Anlass zum Skandal. Das hat uns jetzt noch gefehlt, dass wir uns mit den Deutschen zerstreiten.“
Test für die Widerstandsfähigkeit Deutschlands
Nur zwei Diplomaten auszuweisen, findet der Deutschlandfunk unzureichend:
„Bundeskanzlerin Merkel und auch Außenminister Maas sind aufgerufen, dafür deutliche Worte zu finden und deutlichere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Nach dem 'Fall Skripal', dem Anschlag auf einen russischen Überläufer in Großbritannien, haben 15 europäische Staaten dutzende von russischen Diplomaten ausgewiesen. Das wäre das Mindeste. ... Der Fall des Mordes im Tiergarten muss politisch in einem größeren Kontext bewertet werden: Nämlich als ein Puzzlestück in der hybriden, auf vielen Ebenen stattfindenden russischen Kriegsführung gegen den Westen. Die Bundesregierung muss jetzt zeigen, dass sie das begriffen hat. Denn dieser Fall ist auch ein Test, wie widerstandsfähig Deutschland ist.“