30 Jahre Ende der Diktatur in Rumänien
Im Advent 1989 nahm in der Stadt Timișoara die rumänische Revolution ihren Anfang, an deren Ende Diktator Nicolae Ceauşescu gestürzt und exekutiert wurde. Mehr als 1.000 Menschen starben beim Aufstand gegen die Staatsgewalt. Während Rumäniens Presse sich fragt, ob die Menschen die Diktatur auch in ihren Köpfen hinter sich gelassen haben, betonen internationale Stimmen positive Entwicklungen.
Ein Lichtblick für die Rechtsstaatlichkeit
Es hat lange gedauert, doch Rumäniens jüngere Entwicklung macht Hoffnung, urteilt Irish Times:
„Zwölf Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens muss das Land noch die Wahrheit über die Entstehung seiner Demokratie herausfinden. Dass diese auf so wackeligem Boden entstanden ist, hat das rumänische Justizsystem untergraben und das Vertrauen in einen Staat erschüttert, der Ceaușescus Nachfolger auf Kosten der Opfer von 1989 beschützte. ... Aber Rumänien beendet 2019 mit einem Lichtblick für die Rechtsstaatlichkeit, die in der Region – wie in Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik – unter dem Beschuss populistischer Führer steht. Zivilgesellschaft und Proteste trugen dazu bei, dass die Sozialdemokratische Partei (PSD) Gesetze zur Korruptionsbekämpfung nicht abschwächen konnte und stattdessen die Liberalen letzten Monat Iliescus alte Partei ablösten.“
Verkehrtes Wertesystem im Kopf
Der Kommunismus hat den Menschen eine fundamentale Antipathie gegenüber staatlichen Institutionen eingepflanzt, die nun die Demokratie gefährdet, meint Dan Tăpălagă, Gründer des Online-Portals G4Media.ro:
„Der Kommunismus hat uns ein schweres Erbe hinterlassen: einen Mangel an Respekt für Gesetze und Regeln; Korruption als Lebensform. Die Kinder haben das Virus von ihren Eltern übernommen: die Kunst des Stehlens und das System zu betrügen. Das Misstrauen gegenüber den Institutionen, dem Staat, der Zukunft wurde von einer Generation zur nächsten weitergegeben. ... Der Kommunismus hat uns an ein verkehrtes Wertesystem gewöhnt. Das Misstrauen in die eigene Zukunft vertreibt die Menschen aus diesen [ex-kommunistischen] Ländern, denen Entvölkerung und Überalterung drohen. Das ist vielleicht langfristig gesehen die größte Gefahr für die neuen Demokratien in Osteuropa.“
Auf die Zivilgesellschaft ist Verlass
Die rumänische Gesellschaft hat sich vom Post-Kommunismus befreit, meint dagegen der Journalist Ion M. Ioniță in einem Blog von Adevărul:
„In den vergangenen 30 Jahren hat das Volk die Eliten gezwungen, ihm in Schlüsselmomenten zu folgen. Wenn die Mehrheit sah, dass Rumänien Gefahr läuft, zu entgleisen, die Vertreter der politischen Klasse eine falsche Richtung nahmen, kam die Reaktion umgehend. Massive Straßenproteste, Abstrafung durch vernichtende Wahlniederlagen. Ohne diese zivile und politische Präsenz hätte Rumänien nicht den Post-Kommunismus hinter sich gelassen. … Hier ist der große Wandel, der sich in den vergangenen 30 Jahren in der Tat mühevoll vollzogen hat, doch jetzt ist er unumkehrbar.“
Spart Euch eure falschen Tränen
Der Appell von Politikern, die Schuldigen von damals zu bestrafen, klingt für den Journalisten Răzvan Chiruţă bei Newsweek Romania wie blanker Hohn:
„Feierlichkeiten, unechte Tränen, neue Gerechtigkeitsversprechen von dem Teil der Politiker, der die gesamte Misere der vergangenen 30 Jahren verschuldet hat: zum Beispiel die Sonderrenten für frühere Geheimdienstler. ... Auch wurde die strafrechtliche Aufarbeitung der Revolution verzögert, um frühere Parteiaktivisten und Securitate-Mitarbeiter zu schützen. ... Politiker aller Couleur sollten in diesen Tagen schweigen - auch die neuen Politiker, die keine direkte Schuld haben. Sie sollten uns zumindest in dieser Zeit in Ruhe lassen und sich nicht am Schwall falscher Tränen beteiligen, der uns jedes Jahr ereilt.“
Zwischen Kleptokratie und Bürgergesellschaft
Für den Rechtswissenschaftler Ioan Stanomir befindet sich Rumänien heute an einem ganz entscheidenden Punkt, wie er auf Contributors schreibt:
„Nach 30 Jahren ist Rumänien mit einer fundamentalen Frage für seine Zukunft konfrontiert: Welchen Typ Staat wollen wir aufbauen und welche Beziehungen sollte dieser Staat zu seinen eigenen Bürgern haben? Eine Staatsreform muss uns aus der Sackgasse führen, in der wir uns als Nation befinden. Der Fortbestand der klientelistischen Strukturen und der kleptokratischen Ordnung bedrohen die menschliche Würde unserer Landsleute. ... Nach 30 Jahren ist Bürgerengagement die Alternative zur Lethargie und dem moralischen Verfall. Durch Bürgersinn und täglichen Mut können die Bürger ihren Instinkt für Solidarität und Würde wiederfinden. “