Spanien kurz vor Regierungsbildung
Bei einer ersten Abstimmung im spanischen Parlament hat der geschäftsführende Premier Pedro Sánchez am Sonntag die absolute Mehrheit verfehlt. Am morgigen Dienstag soll erneut abgestimmt werden - dann reicht ihm eine einfache Mehrheit. Die Enthaltung baskischer Regionalisten sowie katalanischer Separatisten und die Koalition mit Unidas Podemos soll diese sichern. Die Presse beäugt die Entwicklungen skeptisch.
Von Verfassungsfeinden erpressbar
Für die zentralistische Tageszeitung ABC ist es eine Katastrophe, dass sich Sánchez mithilfe der Separatisten wählen lässt:
„So beginnt die erste sozial-kommunistische Regierung unserer Demokratie. Mit der schwerwiegenden Erpressbarkeit durch diejenigen Parteien, die Spanien zerstören und den verfassungsrechtlichen Rahmen von 1978 sprengen wollen. ... Sánchez hatte die Wahl zwischen Parteien, die trotz aller ideologischen Differenzen das Gesetz respektieren, und jenen Parteien, die politisches Unheil bringen und die eine Hälfte Spaniens gegen die andere aufhetzt. Und seine Entscheidung war eindeutig.“
Linkskoalition beginnt mit Schönheitsfehler
Dass zur Unterzeichnung des Koalitionsprogramms zwischen Sozialisten und Unidas Podemos kurz vor Silvester nur Fotografen und Kameraleute, nicht aber fragende Journalisten eingeladen waren, verärgert den Journalisten und Autor Jorge M. Reverte in El País:
„Diese beiden Politiker [Pedro Sánchez und Pablo Iglesias], die nach eigenen Aussagen gerne sehr transparent sein wollen, haben einen schlechten Start hingelegt. Dafür gibt es keine Ausrede. Die Unterschrift unter ihrem gemeinsamen Programm hatte nur die Hälfte der gewöhnlichen Zeugen, fast wie bei einer Promi-Hochzeit. Wir Bürger bekamen die Umarmungen zwischen Sánchez und Iglesias gezeigt, ohne die kritischen Fragen, welche früheren Kommentare sie sich einander verziehen haben. ... Ich hoffe mal, dass es einfach nur ehrenhafte Faulheit war und nicht die Geringschätzung des Bürgerrechts auf Information.“
Gefährliche Abkehr vom Konsens der Mitte
Dass sich die Regierungsmehrheit auf die extreme Linke und separatistische Kräfte stützen könnte, widerspricht dem Wunsch der Wähler, wettert El Mundo:
„Die Hinwendung zu den Extremen des politischen Spektrums ist ein historischer Fehler der Sozialisten, der dem Bürgerwillen widerspricht. Die aus der Transition entstandene Demokratie ist dem Konsens geschuldet. Deshalb werden Regierungspakte immer aus der Mitte heraus geschmiedet, um die Säulen zu erhalten, die die Architektur der Verfassung von 1978 stützen. Die meisten Spanier wünschen sich eine gemäßigte Politik, Ausgeglichenheit und Verhandlungsbereitschaft. Es ist besorgniserregend, dass unsere politische Klasse, allen voran Sánchez, unfähig ist, diesem Mandat Folge zu leisten.“
Lassen sich diese Versprechen finanzieren?
Die geplanten Maßnahmen sind derart kostspielig, dass man sich fragen muss, wie realistisch ihre Umsetzung ist, konstatiert La Vanguardia:
„Das Programm ist ein klarer Linksruck und wird zweifelsohne die öffentliche Debatte erbeben lassen. Steuererhöhung für Gutverdiener, teilweise Aufhebung der Arbeitsmarktreform, Regulierung der Mieten und der Plan, die Zensuren in Religion künftig nicht mehr in den Schulnotendurchschnitt einfließen zu lassen, sind die wichtigsten Entscheidungen. Man wird sehen, welche Versprechen sich wirklich umsetzen lassen, weil es so viele Verpflichtungen gibt, die Ausgaben für Kultur, Bildung, Umwelt und Sozialpolitik zu erhöhen, dass der Haushalt nicht für alles ausreicht. Man wird auch abwarten müssen, ob alle vom Pakt angekündigten Maßnahmen auch den politischen Rückhalt im Kongress erhalten.“