Erste Koalitionsregierung in Spanien
Nach monatelangem Ringen hat das spanische Parlament am Dienstag den Vorsitzenden der Sozialisten Pedro Sánchez mit einer hauchdünnen Mehrheit von 167 zu 165 Stimmen zum Regierungschef gewählt. Er wird das Land voraussichtlich in einer Minderheitsregierung mit dem linken Bündnis Unidas Podemos führen. Europas Presse fragt: Kehrt jetzt Normalität ein, oder geht der Ärger erst richtig los?
Zarte Chance auf Normalität
Dass jetzt endlich der Weg für einen konstruktiven Neuanfang frei ist, hofft El País:
„Eine vierjährige Blockade hat das Land gelehrt, dass es eine noch unproduktivere Situation gibt als die mit einer Minderheitsregierung: die mit einer geschäftsführenden Regierung. Dass sich die Fraktionen stur weigerten, ihre Pflicht zu erfüllen, auf Grundlage der gewählten Abgeordneten eine Regierung zu bilden oder Mehrheiten für die Gesetzgebung zu schmieden, führte das politische System auf ein gefährliches Terrain des permanenten Ausnahmezustands. Die Haushalte wurden aus den Vorjahren übernommen, die reguläre Amtszeit wichtiger Organe lief ab und das Regieren per Dekret wurde zur Gewohnheit. Sánchez' Amtseinführung ermöglicht die zarte Chance, zur Normalität zurückzukehren. “
Waghalsige Mission ist einen Versuch wert
Dass die katalanischen Separatisten jederzeit Sánchez' Ende besiegeln können, ist auch eine Chance, kommentiert die Tageszeitung Die Welt:
„Die Separatisten halten Spanien in einer Dauerkrise, nichts hat den Konflikt bisher befrieden können, weder Strafen noch Sanktionen. Die neue Regierung setzt auf Dialog, auf Integration. Sie will den festgezurrten Konflikt lockern, sodass die Katalanen den Weg zurückfinden in ein Miteinander der Regionen und Kulturen Spaniens. Es ist der erste Versuch dieser Art. Eine fast unmögliche Mission, aber alle Anstrengung wert. Und vielleicht nur zu leisten von einer so waghalsigen Regierung, wie sie Spanien nun hat.“
Konservative müssen sich jetzt mäßigen
Insbesondere die rechte Opposition sollte von den groben Beschimpfungen vor der entscheidenden Abstimmung schnell zu einem angemessenen Umgang zurückfinden, fordert La Vanguardia:
„Es sieht nicht danach aus, als ob sich die Opposition so bald beruhigen wird. Das wäre aber sehr hilfreich. Denn das parlamentarische Leben kann sich diese zunehmende Verrohung der Umgangsform nicht leisten, mit der sich die Wähler nicht identifizieren. Sogar die Rechten müssen klar erkennen, dass diese Form der Hooligan-Politik gescheitert ist und die Regierungsbildung nicht verhindern konnte. Und die Bürger werden nicht diejenigen belohnen, die ihre Institutionen weiter für politischen Streit missbrauchen, statt sie zum Vorteil aller Spanier zu nutzen und die Probleme der Allgemeinheit zu lösen.“
Kaum Hoffnung auf Entspannung in Katalonien
In der Katalonien-Krise wird diese Regierung kaum Fortschritte erzielen können, befürchtet der Tages-Anzeiger:
„Eine katalanische Abgeordnete, deren Bruder im Gefängnis sitzt, sagte im Parlament, dass ihr völlig egal sei, ob Spanien überhaupt regierbar sei. Für die Rechtspopulisten und die Konservativen stellen nur schon Gespräche mit dem Katalanen-Lager wahlweise einen Landesverrat oder einen Putsch dar. Sie beschimpften Sánchez in den vergangenen Tagen unter anderem als 'Betrüger', 'Soziopath' und 'Fake-Präsident'. Der Ton in der spanischen Politik ist zunehmend aggressiv geworden. Die Regierung wird es schon schwer haben, für längere Zeit an der Macht zu bleiben. Dass sie auch Fortschritte im Katalonien-Konflikt erzielen kann, ist unwahrscheinlich.“
Dieser Weg führt in die Sackgasse
Koalition ja, aber nicht diese, schimpft Fabio Pontiggia, Chefredakteur von Corriere del Ticino:
„Nach dem Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie ist ein zweiter Übergang notwendig: Von der Zweiparteiendemokratie des Wechselspiels zwischen Konservativen und Sozialisten zur Koalitionsdemokratie. Gestern wurde in Madrid ein erster Schritt getan. ... Er ist völlig unzureichend, geht in eine falsche Richtung und führt in eine Sackgasse. Mit einer schwachen Exekutive, die vom Willen der 13 separatistischen Abgeordneten der 'Esquerra republicana de Catalunya' (ERC) abhängt ('Ich gebe einen Dreck auf die Regierbarkeit Spaniens' sagte die Abgeordnete Montserrat Bassa dazu), und vor allem von dem der fünf Abgeordneten der extremistischen baskischen Gruppierung EH-Bildu, deren Koordinator der ehemalige ETA-Terrorist Arnaldo Otegi ist.“