Boris Johnson auf der Intensivstation
Der an Covid-19 erkrankte britische Premier Boris Johnson ist am Montagabend auf die Intensivstation verlegt worden. Der Gesundheitszustand des 55-Jährigen habe sich verschlechtert, hieß es in einer Erklärung. Johnson sei fahrlässig mit der Bedrohung durch das Coronavirus umgegangen und habe damit nicht nur sich selbst, sondern auch sein Land in Gefahr gebracht, urteilen Medien.
Große Reden lassen das Virus kalt
Dass er Winston Churchill nacheiferte, kommt Boris Johnson jetzt teuer zu stehen, erklärt La Stampa:
„Vor einigen Jahren schrieb er ein Buch mit dem Titel 'Der Churchill-Faktor', in dem er an die Jahre des Zweiten Weltkriegs erinnerte und mit Neid darüber sprach, wie Churchill seinerzeit das Land vereinte und durch immense Opfer zum Sieg führte. Johnson hält sich in der Tat für den Erben dieser Geisteshaltung, er hat sie in Reden zum Brexit verwendet, in Slogans wie 'Get Brexit done'. ... Dann kam das Coronavirus, die größte Bedrohung für das Wohlergehen und den Frieden des Landes seit dem Ende des Krieges. Was hätte Churchill getan, wird sich Boris Johnson gefragt haben und versucht, ihm nachzueifern. Doch er unterschätzte und verspottete einen Feind, den die Rhetorik kalt lässt.“
Eine politische Tragödie
Es ist eine tragische Entwicklung, findet Protagon:
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Debatte nicht angemessen, ob es etwas mit Karma zu tun hat, weil Johnson die Gefahr der Epidemie erst unterschätzte, sich weigerte, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen und die viel diskutierte Theorie der 'Herdenimmunität' anwendete. Es ist jedoch ein unheilvolles Zeichen für eine politische Tragödie von nationalem Ausmaß, dass er derjenige war, der den Briten mit einer Portion Zynismus sagte, sie sollten bereit sein, ihre Geliebten zu verlieren. 24 Stunden nach der aufmunternden Rede der Queen befindet sich Großbritannien inmitten einer beispiellosen Gesundheitskrise und einer weiteren politischen Erschütterung, da noch nie in der modernen Geschichte ein britischer Premier in einer so schwachen Position war.“
Symptom angelsächsischer Überheblichkeit
Ria Nowosti hält Johnsons Erkrankung für eine Folge von Inkompetenz und PR-Geilheit:
„Die Fähigkeit, gute Miene zu machen, ist in den führenden Nationen weit stärker ausgeprägt als die Fähigkeit, richtig zu handeln. ... Es sei daran erinnert, dass es die USA und Großbritannien vor Anbruch der Pandemie noch schafften, sich auf die beiden Spitzenplätze eines globalen Ratings zur Seuchenabwehr zu setzen (China kam auf Platz 47). Doch dann kam der Moment der Wahrheit - und die hochzivilisierten Spitzenreiter stehlen sich mit Kriegsgeheul und Gejammer über Piraterie gegenseitig Schutzmasken, die im zurückgebliebenen China genäht werden. Ihre Infektionszahlen galoppieren davon und ihre besonders sorglosen Anführer bringt man ins Krankenhaus. Aber ihre PR-Maschinen grinsen weiter übers ganze Gesicht, strahlen Zuversicht aus und beteuern: 'Alles unter Kontrolle'.“
Jetzt fehlt ein Vizepremier
Der Ausfall Boris Johnsons offenbart eine strukturelle Schwäche des britischen politischen Systems, analysiert RTE News:
„Die Arbeitsunfähigkeit Boris Johnsons wird das britische politische System auf die Probe stellen. Formell trifft das Kabinett kollektiv Entscheidungen, und der Premier ist ein 'Primus inter pares'. Theoretisch sollten die anderen Regierungsmitglieder also einfach die Arbeit weitermachen. Aber natürlich hat das Amt des Regierungschefs im Laufe der Jahrhunderte viel politisches Gewicht hinzu gewonnen. Er steuert eindeutig die Regierungsgeschäfte. Weil es keinen stellvertretenden Premier oder Vizepräsidenten gibt, muss das politische System jetzt improvisieren - und hoffen, dass sich der Premier bald erholt.“