Gute Zeiten für das Grundeinkommen?
Um die sozialen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, werden Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen lauter. In Spanien plant die Regierung nach eigener Aussage bereits ein lebenslanges Grundeinkommen für alle. In den Kommentarspalten wird darüber diskutiert, ob eine solche Zahlung sinnvoll ist und wie sie zu finanzieren wäre.
Die Gesellschaft muss solidarischer werden
Die Erkenntnis, dass viele Menschen, die die Gesellschaft am Laufen halten, zu schlecht bezahlt werden, muss nach Corona genutzt werden, fordert Politiken:
„Die strukturelle Ungleichheit muss beseitigt werden. Jahrzehntelang ging es den verkehrten Weg und große Teile der Bevölkerung mussten ohnmächtig zuschauen, wie die Gehälter an der Spitze der Gesellschaft viel schneller stiegen als für die anderen. ... Corona ist eine Chance für Veränderung. Um eine solidarischere Gesellschaft zu schaffen, in der die Gewinne gleichmäßiger verteilt werden. Um in einem großen Rahmen ganz anders zu denken. Über etwas wie Bürgergehalt, Vermögenssteuer oder sogar Lohnerhöhungen sprechen jetzt selbst konservative Ökonomen. Wie das konkret aussehen wird, darüber kann man diskutieren. Aber grundlegende Veränderungen muss es geben.“
Wohlhabende stärker besteuern
Wie ein Grundeinkommen mit möglichst wenig Aufwand organisiert werden kann, erläutert Ökonom Jean-Eric Hyafil in Libération:
„Finanzieren könnte man das Grundeinkommen dieses Jahr insbesondere durch eine Anhebung des Allgemeinen Sozialbeitrags CSG um rund 20 Punkte. Einen Teil könnte man auch durch höhere Belastungen der oberen Steuersätze auf Löhne oder Kapital finanzieren, um einen noch stärkeren Umverteilungseffekt zu erhalten. Es ist hervorzuheben, dass die wohlhabenden Haushalte zwar stärker besteuert, das Grundeinkommen aber ebenfalls erhalten würden, was die Steuererhöhung teilweise wieder aufwiegt. Die Individualisierung des Grundeinkommens (im Gegensatz zur Sozialhilfe, die als Familienleistung ausgezahlt wird) macht die Maßnahme zwar kostspieliger als die aktuelle Sozialhilfe, aber auch einfacher.“
Keine Selbstverwirklichung finanzieren
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt nichts abgewinnen:
„Die Freunde des Grundeinkommens zielen ... darauf, dass niemand arbeiten muss, wenn er nicht will: Vom 'Verwertungsdruck' der eigenen Arbeit befreit, könnten die Menschen das tun, was ihnen wirklich am Herzen liegt, so geht das Argument. Dabei geht unter: Dass Arbeit dem Verwertungsdruck unterliegt, ist ein sehr nützliches Prinzip der Marktwirtschaft. Geld verdient man nur dann, wenn man etwas für andere tut - und zwar nicht irgendetwas, sondern eine Tätigkeit, die den anderen auch etwas wert ist. ... [E]s gibt zu viele Modedesigner und Künstler, die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen mehr Freiheit für unprofitable Projekte gewinnen möchten. Sie sollten sich ernsthaft eine Frage stellen: ob wirklich die Mitmenschen ihre Selbstverwirklichung finanzieren sollen.“
Russen fehlt die Sparkultur
Das Grundeinkommen ist eine schöne Idee - aber mit Russland gänzlich inkompatibel, befindet Radio Kommersant FM:
„Es wäre falsch, unserer Bevölkerung einfach so Geld zu geben. Denn bei uns geht nicht allen, aber vielen völlig die Kultur des haushälterischen Umgangs mit Geld ab: Sparen, Zurücklegen und nicht über die Verhältnisse leben. Schon allein, weil viele nichts zum Zurücklegen haben. Deshalb gibt man lieber gleich alles aus - dann hat man wenigstens was. Sparkultur wurde den Russen nie eingeimpft. ... Deshalb werden einmalige Zahlungen nichts ändern. Es besteht sogar das Risiko eines gegenteiligen Effekts: Dann heißt es: 'Warum so wenig? Wie niederträchtig, dafür kann man doch nichts Gescheites kaufen! Die da oben haben sich sicher mehr abgezweigt!'“