Wie weit dürfen Grundrechte eingeschränkt werden?
Nach einigen Wochen Lockdown werden in vielen europäischen Ländern Zweifel an der Verhältnismäßigkeit verschiedener Maßnahmen laut. Ist ein umfassendes Demonstrationsverbot wirklich gerechtfertigt? Und was ist mit der Bewegungsfreiheit? Europas Presse fordert ein genaues Nachdenken über die antidemokratischen Fallstricke des Gesundheitsschutzes.
Staat kann Bürger nicht einmauern
Die Aussage von Präsident Zeman, die Grenzen könnten über ein Jahr geschlossen bleiben, hat in Tschechien eine lebhafte Debatte ausgelöst. Lidové noviny verlangt eine Umkehr:
„Am Anfang der Krise, als das Virus aus Italien oder Österreich eingeschleppt wurde, war die Grenzschließung logisch und verständlich für den nationalen Selbstschutz. Mit der Zeit aber erweist sie sich als unhaltbar. Man kann auf Dauer Länder nicht mit Stacheldraht einzäunen - nicht nur wegen getrennter Familien, Studenten oder Berufspendlern ins Ausland. ... Tschechien kann seinen Bürgern nicht einfach das Recht nehmen, das eigene Land zu verlassen. Eine andere Frage ist, wem im Sommer der Sinn nach Tourismus steht. Und wer sich das angesichts seiner finanziellen Lage überhaupt leisten kann.“
Beschränkungen müssen angemessen sein
Alle politischen Führer Europas sollten sich die Anweisungen des Europarates zur Erhaltung demokratischer Prinzipien von vergangener Woche zu Gemüte führen, mahnt Dagens Nyheter:
„Auch Schweden sollte sich die Richtlinien des Europarates ansehen. Die Forderung nach Verhältnismäßigkeit, also eine Art Angemessenheit, gilt für alle Einschränkungen, die in einem Land gelten, das die Demokratie sowie Menschen- und Freiheitsrechte respektiert. Deshalb sollte es eine Zeitgrenze für das Verbot von Versammlungen mit mehr als 50 Personen geben. Es leuchtet nicht ein, dass solch ein Demonstrationsverbot uneingeschränkt in Schweden gelten soll.“
Gemeinsame Verantwortung statt Polizeistaat
Staatliche Restriktionen, die die Bürger nicht als vernunftbegabte Individuen respektieren, münden in Autoritarismus, warnt Mérce:
„Eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung kann die gesellschaftliche Solidarität und das Vertrauen kaputtmachen. Diese Einstellung zeigte sich in der Empörung einiger italienischer Bürgermeister, als viele Bürger anfingen, im Freien joggen zu gehen. ... Man kann von den Menschen erwarten, dass sie sich wie verantwortungsvolle Bürger verhalten, statt sich an den Ausgangsbeschränkungen vorbeizumogeln. Man kann aber auch erwarten, dass die Machthabenden sie als solche betrachten. ... Solange wir die Legitimität des Anspruchs auf körperliche Bewegung als auch die Legitimität der Angst vor dem Virus nicht gleichzeitig anerkennen können, halten wir die Tür für eine autoritäre Machtausübung offen.“