Ungarn schließt seine Transitzonen
Als Reaktion auf den Europäischen Gerichtshof hat Ungarn seine Transitzonen geschlossen und die dort befindlichen Asylbewerber verlegt. Der EuGH hatte vergangene Woche die umzäunten Camps an der Grenze zu Serbien, in denen Asylsuchende bisher ausharren mussten, für nicht vereinbar mit dem EU-Recht erklärt. An eine Kehrtwende in der ungarischen Flüchtlingspolitik glauben Kommentatoren aber nicht.
Alles bleibt beim Alten
Dass sich an der Substanz der ungarischen Flüchtlingspolitik durch diesen Schritt irgendetwas ändern wird, bezweifelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Das Land wird sich weiterhin nicht beteiligen, wenn es darum geht, Flüchtlinge einigermaßen gerecht in den EU-Ländern zu verteilen. Und auch sonst bleibt in Budapest selbstverständlich alles beim Alten. Orbáns Regierung wird weiter austesten, wie weit sie gehen kann. Für Europa heißt das: Druck auf Budapest lohnt sich, denn solange Orbán die große Konfrontation nicht will, können die anderen Mitgliedstaaten Einfluss auf den schwierigen Partner nehmen. So weit, so gut. Aber auch nur so weit.“
Orbáns nächster Tanzschritt
Die Journalistin Matild Torkos bewertet in Magyar Hang die Entscheidung Ungarns als Teil des politischen Machtspiels:
„Es ist schön zu wissen, dass es noch Gerichtsurteile gibt, die die ungarische Regierung, wenn auch nicht gerne, zur Kenntnis nimmt und umsetzt. ... Allerdings ist es offensichtlich, dass diese Entscheidung der ungarischen Regierung nur ein weiterer Schritt von Orbáns Pfauentanz ist [wie er seine Verhandlungstaktik mit der EU einst selbst bezeichnete]. Jetzt versucht er, der Ohrfeige aus Brüssel mit einem Wechselschritt nach links auszuweichen. Für die Aufrechterhaltung der Transitzonen gab es sowieso keinen Grund mehr. Die knapp 300 Asylbewerber, [die sich aktuell dort aufhalten,] können ohne weiteres unter zivilisierten Umständen untergebracht werden, bis die Behörden ihren Asylantrag geprüft haben.“
Budapest muss Asylregeln grundlegend ändern
Nach dem Urteil wartet viel Arbeit auf Ungarns Regierung, meint der Journalist László Arató in Index:
„Falls Ungarn dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entsprechen will, muss das Land die in den Transitzonen in Gewahrsam befindlichen Personen, die schon länger als 28 Tage dort sind, so bald wie möglich freilassen und sich um ihre Unterbringung kümmern. ... Die Asylanträge müssen geprüft werden und können mit der Begründung, dass diese Menschen aus Serbien nach Ungarn gekommen sind, nicht automatisch abgelehnt werden. ... Als nächster Schritt müssen die ungarischen Regeln außer Kraft gesetzt werden, die dem Unionsrecht entgegenstehen.“
Lebensfremde Vorgaben der EU
Das ungarische Asylsystem ist eine Antwort auf dysfunktionale EU-Bestimmungen, meint hingegen die regierungsnahe Wochenzeitung Mandiner:
„Seit 2015 wurde deutlich, dass die Asylregelung der EU das neue Migrations- und Asylgeschehen nicht verwalten kann. Diese Regelung wurde ursprünglich nicht für den Fall aufgestellt, dass die Menschen massenhaft und oft das Asylrecht missbrauchend das Gebiet der Union betreten. ... Hier geht es um die Frage, die die politische Szene der EU in den vergangenen Jahren vielleicht am meisten gespalten hat. Es gibt grundlegend verschiedene Standpunkte der Mitgliedstaaten, und ein Urteil, das eine schon seit Jahren dysfunktionale Lösung beibehalten will, ist dafür vermutlich keine Lösung. Die Lösung wäre vielmehr eine nachhaltige neue EU-Regelung, die die Erfordernisse der Praxis widerspiegelt.“