Corona-Hotspot Brasilien
Jair Bolsonaro, der ultrarechte brasilianische Präsident, hat Covid-19 mehrfach als "kleine Grippe" und die Pandemie als "Inszenierung der Medien" bezeichnet. Nun gilt Brasilien mit mehr als 25.000 Toten und knapp 500.000 registrierten Infizierten als neuer Hotspot. Kommentatoren beschreiben, wie Bolsonaros populistische Politik die Krise noch verschlimmert.
Ernster als alle Krisen zuvor
Bernardo Ivo Cruz, Politikwissenschaftler an der katholischen Universität Portugal, zeigt sich in Diário de Notícias besorgt:
„Die derzeitige brasilianische Krise ist vielleicht schwerwiegender und ernster als die vorherigen und verbindet eine erschreckende Verschlechterung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen mit einem zunehmenden Mangel an institutioneller Legitimität des Präsidenten. Und die Anzeichen für das Unbehagen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und sogar militärischer Institutionen werden immer deutlicher. Die Geschichte der brasilianischen Demokratie war bisher eine Geschichte von Krisen und Widerstandsfähigkeit, und das Verfassungssystem des Landes hat zu jeder Zeit institutionelle Antworten gefunden, die Brasilien zu einem der stabilsten Länder Lateinamerikas machen. Hoffen wir, die aktuelle Krise wird nicht die Ausnahme sein.“
Katastrophe könnte Bolsonaro nützen
Ein Klima der Angst ist der perfekte Nährboden für noch mehr Populismus, fürchtet Financial Times:
„Bolsonaro ermutigt seine Anhänger, den Lockdown zu missachten und untergräbt die Autorität seiner eigenen Regierungsmitglieder. Damit ist er verantwortlich für die chaotische Reaktion der Politik, die die Pandemie außer Kontrolle geraten ließ. ... In klassisch populistischer Weise blüht er in der politischen Atmosphäre der Spaltung auf. Brasilien ist bereits ein stark polarisiertes Land, in dem Verschwörungstheorien weit verbreitet sind. Die Führung Bolsonaros sorgt dafür, dass es noch mehr Tote und eine noch höhere Arbeitslosigkeit, verursacht durch Covid-19, gibt. Aber perverserweise könnte eine Gesundheits- und Wirtschaftskatastrophe ein noch günstigeres Umfeld für die Politik der Angst und Unvernunft schaffen.“
Schlimmer als in den USA
Mit den aktuellen Erkrankungs- und Todeszahlen im Land übertrumpft Brasilien traurigerweise sogar die USA, schreibt Gazeta Wyborcza:
„Bisher sind in Brasilien 23.473 Menschen am Coronavirus gestorben und 375.000 sind daran erkrankt. Die Daten zeigen, dass in Brasilien jeden Tag mehr Menschen krank werden und sterben als in den am stärksten von der Epidemie betroffenen Regionen der USA. Sie haben Präsident Donald Trump dazu gezwungen, jedem die Einreise zu verbieten, der in jüngster Zeit in Brasilien war. Dies ist ein schwerer Schlag für Präsident Bolsonaro, der den amerikanischen Präsidenten als Vorbild sieht und ihn als besten Freund und Verbündeten Brasiliens darstellt.“
Das Militär bekommt zu viel Gewicht
Brasiliens Demokratie wird zunehmend ausgehöhlt, ist El País alarmiert:
„Um seine Absetzung zu verhindern, erkauft sich Bolsonaro die parlamentarische Unterstützung, indem er Posten vergibt. Währenddessen verleiht er dem Militär innerhalb seiner Regierung größeres Gewicht. Militärs leiten bereits zehn von 22 Ministerien, darunter das Gesundheitsministerium. Noch beunruhigender ist, dass der Präsident Reden seiner Anhänger durch Schweigen gutheißt, die die Schließung des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs fordern. Oder angedeutete Drohungen vonseiten seiner engsten Minister. Dreimal hat der Verteidigungsminister innerhalb der vergangenen Wochen öffentlich erklärt, dass die Streitkräfte hinter der Verfassung stehen. In einer gefestigten Demokratie sollte das unnötig sein.“