Wirecard-Skandal: Finanzsektor außer Kontrolle?
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat den Zahlungsdienstleister Wirecard wegen Marktmanipulation durch Bilanzfälschung angezeigt. Der Ex-Chef des Unternehmens wurde am Montag festgenommen. Zuvor hatte sich die Bafin lange schützend vor Wirecard gestellt und sogar Journalisten angezeigt, die die Vorwürfe publik gemacht hatten. Kommentatoren prangern grundlegende Defizite bei der Überwachung der Finanzbranche an.
Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte
Für das Fachblatt Financial Times, das schon vor 18 Monaten über Vorwürfe von Whistleblowern gegen Wirecard berichtet hatte, ist es bezeichnend, dass die Enthüllungsberichte auf taube Ohren stießen:
„Von Anfang an gingen die deutschen Behörden instinktiv nicht gegen den mutmaßlichen Übeltäter vor, sondern gegen den Überbringer der Botschaft und Investoren, die angesichts des Wirecard-Models skeptisch geworden waren. Journalisten dieser Zeitung wurden nicht nur mit einer Fehlinformationskampagne von Wirecard abgespeist, sondern sahen sich auch mit Ermittlungen und gar strafrechtlichen Vorwürfen der deutschen Finanzaufsicht und der Staatsanwaltschaft konfrontiert. ... Das Establishment in deutschen Unternehmen und der Politik muss jetzt aufklären: Wie konnte das passieren und warum haben Regulierungs- und Strafbehörden anderthalb Jahre lang nichts unternommen?“
Die Kontrollbehörde als Lobbyist
Dieser Skandal muss Konsequenzen haben, fordert die taz:
„[V]orneweg bei den Wirtschaftsprüfern. Bisher herrscht dort ein globales Oligopol von vier Großkanzleien, die fast alle lukrativen Prüfaufträge an sich ziehen und die auch schon in der Finanzkrise 2008 krachend versagt haben. ... Aber auch die Bafin [Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht] muss sich wandeln. Zu den irren Windungen der Wirecard-Affäre gehört nämlich, dass die Bafin zwei Journalisten der Financial Times bei der Münchner Staatsanwaltschaft angezeigt hat, weil diese schon früh über einen möglichen Bilanzbetrug bei Wirecard berichtet hatten. Auf diese abwegige Idee muss man erst mal kommen. Die Bafin hat nicht wie eine Kontrollbehörde agiert – sondern wie ein staatlicher Lobbyist für die heimischen Finanzkonzerne. Das darf sich niemals wiederholen.“
Schere im Prüfer-Hinterkopf
Die Presse erinnert an ähnlich gelagerte Skandale in Österreich:
„[W]ir kennen die Mechanismen, die so etwas ermöglichen, aus leidvoller eigener Skandalerfahrung sehr genau: wohlwollende Prüfer, die als Schere im Hinterkopf den drohenden Verlust des lukrativen Prüfauftrags haben, nicht zum ersten Mal ahnungslose Ratingagenturen, eine zahnlose Finanzmarktaufsicht und Behörden, die sich eher auf Ermittlungen gegen Whistleblower konzentrieren, statt gegen politisch gut vernetzte Unternehmen vorzugehen. ... Es gibt viel zu tun, um das verlorene Vertrauen zurückzuholen. Vor allem bei der Durchsetzung von sinnvollen Regularien. Betrügereien und Manipulation lassen sich natürlich nie ganz verhindern. Die Sache treiben zu lassen und nachher betroffen dreinzublicken und irgendetwas von 'Schande' zu murmeln ist aber entschieden zu wenig.“
Rumänische Sparer haben Recht auf Aufklärung
Auch der größte private Rentenfonds in Rumänien, NN Pensii, droht in den Skandal hineingezogen zu werden. Ziarul Financiar verlangt, dass die rumänische Finanzaufsichtsbehörde und das Parlament untersuchen, warum die Firma über 250.000 Wirecard-Aktien erworben hat:
„Die zwei Millionen Rumänen, die monatlich 3,75 Prozent ihres Lohns an NN Pensii überweisen, können nicht erfahren, was mit den Wirecard-Aktien passiert ist, weil der Fondsverwalter nur über das Gesamtbild informiert. ... Aber die ASF als Regulierungs- und Aufsichtsbehörde kann den Fall untersuchen. … War die Investition in Wirecard-Aktien gewinnbringend, müssen wir erfahren, wem wir gratulieren können - und wenn Geld verloren wurde, müssen wir wissen, um wie viel Geld es geht und wer für die Anlage verantwortlich war.“