Putin Präsident bis 2036?
Bis zum heutigen Mittwoch entscheiden die Russen in einem Volksentscheid über eine umfangreiche Verfassungsänderung. Die Zahl der Amtszeiten an der Spitze des Staates würde laut neuer Verfassung auf zwei reduziert. Da der Zähler jedoch auf null gesetzt wird, erhielte Präsident Wladimir Putin die Möglichkeit, bis 2036 im Amt zu bleiben, was Kommentatoren heftig kritisieren.
Die Rückkehr des Zaren
Putin wird lebenslang Präsident bleiben, ist das Onlineportal Tvnet sicher:
„Wer zum Wahllokal geht, kann ein Los ziehen, um ein Auto oder eine tolle Wohnung zu gewinnen. Moskau tut alles, um seine Wähler zu aktivieren. Wenn die Lotterie-Wähler heute mit Ja abstimmen, werden Änderungen in der russischen Verfassung umgesetzt und Putin wird bis 2036 an der Spitze des Kremls stehen. ... Da die Russen tatsächlich an ihren Zaren glauben, wird er sicher auf Lebenszeit auf den Thron gesetzt. Und da die Möglichkeiten für eine politische Opposition in Russland ebenso eingeschränkt sind wie in Nordkorea oder China, ist eine Wende nicht zu erwarten.“
Der ewige Putin - mit Beilagen und Soße
Echo Moskwy betont, dass von allen Verfassungsänderungen nur Putins potenzielle Amtszeitverlängerung von Belang ist:
„Dieser ganze Zirkus wurde nur erdacht, damit Putin faktisch für immer an der Macht bleiben kann. Das ist das Einzige, was Sie in der Angelegenheit wissen müssen. Es ist absolut irrelevant, was es da noch für Punkte und Paragrafen gibt, denn die sind nur Beilagen und Soße. ... Obwohl es immer heißt, es gebe keine Alternative zu Putin und das Volk unterstütze ihn von ganzem Herzen, hat man sich nicht entschlossen, dem Volk die Frage direkt zu stellen: Wollt Ihr Verfassungsänderungen, die es diesem Mann erlauben, noch 16 Jahre an der Staatsspitze zu stehen? Man fürchtet die Antwort auf diese Frage so sehr, dass man die Abstimmung in eine Party verwandelt hat.“
Die Antwort liegt auf der Straße
Angesichts der offensichtlichen Farce ist die Opposition viel zu zurückhaltend, findet der ukrainische Regisseur Oleh Senzow, der von 2014 bis 2019 in russischer Haft saß, in einem Facebook-Post, den Gordonua.com veröffentlicht:
„Die russischen Oppositionellen und das, was an vernünftigen Bürgern noch da ist, streiten, ob man gegen die Änderungen stimmen solle oder ob man das illegitime Referendum besser boykottiere. ... Sie werden noch lange in dieser freiwilligen Sklaverei leben. So lange, bis sie erkennen, dass beide Optionen falsch sind. Deswegen falsch, weil man für seine Freiheit kämpfen muß. Und wenn die Macht keine andere Wahl lässt, gibt es nur einen Weg: auf die Straße zu gehen.“
Der Staat macht sich lächerlich
Was die Staatsmacht hier abliefert, ist blamabel, findet Menschenrechtler Lev Ponomarev in Nowaja Gaseta:
„Sie hat es zu eilig und das offenbart ihre Unsicherheit und Verletzlichkeit. Ohne dass es nötig wäre, werden Quarantäneregeln aufgehoben. Kurz vor der Abstimmung wird eine Militärparade durchgeführt - für wen, ist unklar. Auf jeden Fall nicht für die namenlosen Veteranen, die auf den Tribünen stumm die Rolle der Statisten spielten. Alle fünf Meter hat man Plakate hingeklebt, die über die Werte der Familie und andere Dinge informieren, denen die Verfassungskorrektur angeblich Rechnung trägt. Man erfindet neues Knowhow wie Zelte und Bänke für eine Abstimmung im Freien. Warum, wenn nicht aus Angst, macht man das alles? … Wir werden Zeugen der Selbsterniedrigung einer Obrigkeit, die sich freiwillig vor dem Volk zum Narren macht.“
Düstere Aussichten
Politiken schwant beim Blick auf die weitere Entwicklung in Russland nichts Gutes:
„Bisher wissen wir, dass Putin in den ersten 20 Jahren seiner Amtszeit teils als Präsident und teils als Ministerpräsident Russlands zarte Demokratie auf null zurückgefahren hat. Wir wissen, dass er für eine aggressive Außen- und Sicherheitspolitik steht, die in der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim gipfelte sowie im Schatten-Krieg in der Ostukraine, den Kriegsverbrechen in Syrien und dem Versuch, die EU zu destabilisieren und sich in die inneren Angelegenheiten der westlichen Demokratien einzumischen. ... Sich mit einem solchen Russland zu einigen, wird schwierig werden, auch wenn alle Kanäle und Möglichkeiten offengehalten werden müssen.“
Die Zukunft wird annulliert
Die Abstimmung über die Grundgesetzänderung ist eine reine Farce, lamentiert der Moskau-Korrespondent von ERR:
„Das Plebiszit soll der ganzen Welt zeigen: Ich bin kein Diktator, das Volk selbst hat mich gebeten, an der Macht zu bleiben. Noch wichtiger ist, dass er dieses Volksmandat auch der Elite zeigen kann - den Politikern, Amtsträgern und Beamten. Gerade ihnen will Wladimir Wladimirowitsch das Nachdenken über eine Zukunft ohne ihn und die Suche eines Nachfolgers verbieten. ... Eigentlich wird mit der Annullierung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft annulliert. Nach dem 1. Juli gehört Putin zu Russland, wie die Flagge, der zweiköpfige Adler und die Siegesparade auf dem Roten Platz.“