Ungarn: Unabhängiges Portal Index in Gefahr
In Ungarn ist der Chefredakteur von Index, Szabolcs Dull, entlassen worden. Darauf kündigten die Redaktionsleitung und über 70 Mitarbeiter. Ein Orbán-naher Unternehmer hatte im März 50 Prozent an der Firma erworben, die das Anzeigengeschäft des reichweitenstärksten regierungskritischen Mediums abwickelt. Am Freitag demonstrierten in Budapest Tausende für die Pressefreiheit. Auch Kommentatoren machen sich Sorgen.
Es mangelt an mutigen Menschen
Man kann nicht immer nur Orbán und den Seinen die alleinige Schuld an solchen Entwicklungen geben, kommentiert Népszava:
„Nach der klaren Stellungnahme der kündigenden Index-Journalisten müssten sich viele schämen: die Verfassungsrichter, die an der Kastration des Grundgesetzes und des Verfassungsgerichtes teilgenommen haben, die Kollaborateure bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die 'Scheinkommissare', durch die die Ombudsmänner ersetzt wurden, die Professoren, die die Abschaffung der universitären Autonomie schweigend geduldet haben – nicht einmal zusammengenommen konnten diese so viel Mut zeigen wie die Index-Journalisten, obwohl der Preis, den sie dafür hätten bezahlen müssen, wahrlich nicht höher gewesen wäre als im Falle der Journalisten. Auch aus Passivität und Opportunismus wird ein immer erdrückenderes System aufgebaut.“
Dieser Fall geht uns alle an
Das Ende der größten ungarischen Webseite ist ein mahnendes Beispiel auch für Medienschaffende in den Nachbarstaaten, schreibt die Chefredakteurin von Sme, Beata Balogová:
„Index.hu war eines der letzten unabhängigen ungarischen Medien, das sich lange widersetzte, seinen genetischen Code von einem kritischen Portal zu einem Schaf in Orbáns Medienherde zu ändern. Orbán hat das Zerrbild eines Medienmarkts geschaffen, der heute nur noch Pluralität simuliert, unabhängige Medien systematisch austrocknet und enormen Druck auf ihre Eigentümer ausübt. Das Ende von Index betrifft alle unabhängigen Journalisten in der Region. Deshalb drücken wir unsere Unterstützung, unsere Solidarität aus. Ohne Unabhängigkeit und Pressefreiheit geht die Rechtsstaatlichkeit verloren und werden Diktatoren immer stärker.“
Bis zur völligen Finsternis
Die Ausschaltung der unabhängigen Medien liegt in der Natur von Orbáns "illiberaler Demokratie", kommentiert der Politikwissenschaftler Balázs Csekö in Der Standard:
„Orbán will keine Zitterpartie erleben wie unlängst seine Warschauer Alliierten bei der polnischen Präsidentschaftswahl. ... Orbáns Kreise haben bereits die nächsten Ziele im Visier. RTL Klub, HVG, 444.hu und 24.hu sind die verbliebenen größeren Medien, die noch nicht auf Regierungsschienen laufen. ... Mit der Ausschaltung des einflussreichsten Mediums des Landes wurde eine weitere Fackel der ungarischen Öffentlichkeit ausgelöscht. Deren Zahl geht seit Orbáns Machtübernahme vor einem Jahrzehnt rasant zurück. Es bleiben nur noch wenige übrig. Bis die komplette Finsternis hereinbricht.“
Die Schlacht wird anderswo entschieden
Von Index und ähnlichen Hauptstadtmedien hängt gar nicht so viel ab, meint Gábor Kardos in Azonnali:
„Die Kündigung der Index-Redaktion lag gar nicht im Interesse der Fidesz. Für die Regierungspartei war die Beibehaltung des Status quo viel günstiger: dass Index innerhalb eines bestimmten Rahmens kritisch berichtet, dabei aber keine Reihe investigativer Stücke über die wirklich dunklen Affären des Regimes veröffentlicht. ... Index stand für den Standpunkt eines kleinen Kreises: den der urbanen Budapester Mittelschicht. ... Auch das, was mit den Index-ähnlichen städtisch geprägten Medien passiert, ist für die Entwicklung des Landes eher von drittklassiger Bedeutung. In dieser Hinsicht ist die ländliche Öffentlichkeit und die Qualität der ländlichen Presse viel wichtiger.“
Offener Druck auf die Redaktion
Die Index-Belegschaft äußert ihren Protest:
„Seit Jahren stellen wir klar, dass es zwei Voraussetzungen gibt, die wir als notwendig für einen unabhängigen Betrieb von Index erachten: dass weder in die beim Index veröffentlichen Inhalte noch in die Zusammensetzung und Struktur der Redaktion von außen eingegriffen wird. Die zuletzt genannte Bedingung wurde durch die Entlassung von Szabolcs Dull verletzt. ... Eigentlich wurde Dull entlassen, weil er klargemacht hat, dass er sich nicht erpressen lässt. Seine Entlassung ist ein eindeutiger Eingriff in die Zusammensetzung der Redaktion. Wir können dies nicht anders betrachten als einen offenen Versuch, Druck auszuüben, der die unabhängige redaktionelle Arbeit unmöglich machen wird.“
Das nimmt kein gutes Ende
Hilferufe der Redaktionen in Ungarn haben sich bisher immer als begründet herausgestellt, warnt Népszava:
„Während wir die widersprüchlichen Erklärungen der Journalisten und des Managements - das nicht bereit ist, dieses Gemetzel beim Namen zu nennen - lesen, sollten wir uns eines in Erinnerung rufen: Wann immer eine Redaktion davor gewarnt hat, dass ihre Unabhängigkeit in Gefahr ist, hat es sich am Ende herausgestellt, dass sie Recht hatte - unabhängig davon, wer das Gegenteil behauptet hat und mit welchen Argumenten. ... Die Unabhängigkeit der Arbeit von Index ist nicht erst mit der Entlassung von Szabolcs Dull in Gefahr geraten. Die Entlassung markiert eine neue Phase eines Prozesses, in der die offene Botschaft gesendet wird, dass weder der Wille der Journalisten noch der zu erwartende Skandal zählen.“