Ungarns größte Oppositionszeitung eingestellt
Die größte Oppositionszeitung Ungarns, Népszabadság, ist Anfang Oktober überraschend eingestellt worden. Der Eigentümer teilte mit, das Blatt habe zu hohe Verluste gemacht, die Mitarbeiter hingegen sprachen von einem Putsch. Die liberale Zeitung berichtete immer wieder kritisch über die Regierung Orbán. Wie steht es um die Pressefreiheit in Ungarn?
EU darf Angriffe auf Pressefreiheit nicht dulden
Die Schließung der regierungskritischen ungarischen Tageszeitung Népszabadság ist nur ein Beispiel für die zunehmende Aushöhlung der Pressefreiheit in Osteuropa, klagt die Irish Times:
„Die Schließung wird den Besitz von Medien in den Händen von Regierungsfreunden konzentrieren. Immer weniger Stimmen wird es möglich sein, Regierungschef Viktor Orbán zu kritisieren. Laut Freedom House ist Ungarn beim Thema Pressefreiheit mittlerweile eines der Schlusslichter in der EU. Gleichzeitig prüft die EU Schritte gegen Polen wegen Einschränkung der Pressefreiheit. ... Deren Aushöhlung ist nur ein Teil eines breit angelegten Angriffs auf Menschenrechte in diesen Staaten. Sie ist eine nötige Waffe im Arsenal von Autokraten, um Debatten über und Widerspruch gegen ihre Regentschaft zu untergraben. Es ist entscheidend, dass die EU die Rechte von Medien in solchen Staaten, die sich selbst europäischen Werten verpflichtet sehen, zum zentralen Thema macht.“
Widerstand muss aus der Bevölkerung kommen
Die ungarische Gesellschaft muss endlich auf die Straße gehen und sich gegen den wachsenden Autoritarismus wehren, fordert der Publizist Gábor Kardos auf dem Onlineportal Mandiner:
„Das autoritäre System zeigt nicht von einem Tag auf den anderen seine Zähne, sondern schleichend. Im Monatstakt werden sämtliche mediale Machtpositionen von der Obrigkeit besetzt, sodass die Chance eines gesamtgesellschaftlichen Schocks geringer ist, in deren Folge Hunderttausende auf die Barrikaden steigen könnten. ... Dennoch: Der einzige Ausweg liegt in einer aktiveren Haltung der Staatsbürger. ... Statt darüber zu wehklagen, dass die Pressefreiheit zu Ende ist, sollte der Schock angesichts der Liquidierung der Népszabadság vielmehr als Motivation, Inspiration und Chance betrachtet werden. Nur durch kollektive Aktivität der Gesellschaft kann dem Autoritarismus und der Mediengängelung Einhalt geboten werden.“
Kaum noch regierungskritische Medien
Die Regierung von Viktor Orbán hat in den vergangenen Jahren zu einem Feldzug gegen regierungskritische Medien geblasen, wovon auch die konservativen Medien nicht verschont geblieben sind, bedauert das Onlineportal 444.hu:
„Die Wirtschaftstageszeitung Napi Gazdaság wurde zur regierungstreuen Magyar Idők umgestaltet. Das Nachrichtenportal Origo wurde ebenfalls zu einem regierungsfreundlichen Onlineportal umgestaltet, dito der Privatfernsehsender TV2. RTL wurde eingeschüchtert, die Gratiszeitung Metropol und die Zeitung Népszabadság wiederum wurden einfach zugemacht. Hinzu kommt, dass über der Tageszeitung Népszava und dem Nachrichtenportal Index [beide regierungskritisch] ebenfalls das Damoklesschwert schwebt. Mehr noch, sämtliche staatlichen Rundfunk- und TV-Kanäle werden von der Regierung mit eiserner Hand kontrolliert. ... Eine kritische christlich-konservative oder moderne republikanische Zeitung gibt es wegen der fehlenden Kritikfähigkeit der Regierung ebenfalls nicht.“
Westliche Geldgeber lassen Osteuropa im Stich
Weil sich der schweizerische Verlag Ringier auf "politisch seichtere Unterhaltung" konzentrieren wollte, verkaufte er, so berichtet die Neue Zürcher Zeitung, die Népszabadság, an einen "windigen österreichischen Investor". Für die NZZ ein Zeichen dafür, dass westeuropäische Medienkonzerne immer weniger bereit sind, in die demokratiepolitische Rolle der Medien in Osteuropa zu investieren:
„Natürlich ist eine solche von aussen finanzierte Medienfreiheit keine nachhaltige Garantie für die demokratische Entwicklung eines Landes. Doch leider sind die Alternativen meist schlechter: In die Lücke springen nämlich keine demokratisch gesinnten Citoyens, sondern Staatsmedien und politisch ambitionierte Tycoons. ... Die sich zunehmend autoritär gebärdenden Politiker der östlichen EU-Mitgliedstaaten entziehen dem kritischen Journalismus und der demokratischen Meinungsbildung immer mehr den Sauerstoff. Wenn aber Medien als Sprachrohre für enge politische Ziele missbraucht werden, ist dies auch für den Rest Europas schlecht, tragen sie doch vor allem zur Polarisierung und Spaltung bei.“
Triftige ökonomische Gründe
Für Magyar Hírlap ist die Entscheidung des Eigentümers Mediaworks, die Népszabadság einzustellen, nachvollziehbar. Sie rechnet vor, dass die Verluste der Tageszeitung vor allem den vielen regionalen Titeln des Dachunternehmens finanziell geschadet hätten:
„Die Regionalblätter des Mediaworks Verlagshauses schreiben allesamt Gewinne. ... Die bis zum Jahr 2007 schwarze Zahlen schreibende Népszabadság hingegen muss seit nahezu zehn Jahren Verluste hinnehmen. Und die waren noch dazu riesig. Seit 2007 schreibt das Blatt jährlich Miese in Höhe von einer halben Milliarde Forint [rund 1,6 Millionen Euro] und hat bis heute Verluste von rund fünf Milliarden Forint [rund 16,4 Millionen Euro] angehäuft. ... Diese Verluste schmälern selbstredend die Gewinne der Regionalblätter der Mediaworks. Deshalb ist bei den regionalen Tageszeitungen der Gruppe auch nicht die geringste Entwicklung zu erkennen.“
Hinter der Schließung steckt die Regierung
Die Begründung, wonach die Népszabadság wegen finanzieller Verluste eingestellt werden musste, hält Magyar Nemzet für fadenscheinig:
„Hintergrund der unverzeihlichen Einstellung ist wohl die Überempfindlichkeit der Regierung, die kritische Töne an ihrer Politik immer weniger zu ertragen vermag. ... Der streng autoritäre Orbán hat bereits 2015 in einem Interview durchblicken lassen, was er von den europäischen Regierungen hält, die mit einflussreichen Medien konfrontiert sind. Diese seien 'mediengeleitet', 'duckmäuserisch', 'larmoyant' und 'konfliktscheu'. Mit Blick auf die Medienverhältnisse in Ungarn meinte er, dass die Einflussmöglichkeiten der Politik noch effizienter genutzt werden müssten. ... Orbáns Argwohn gegenüber der freien Meinungsäußerung der ungarischen Gesellschaft ist schlicht unverständlich.“
Knebelung der Medien ist Mumpitz
Es ist abwegig, angesichts der Einstellung der Népszabadság einen Abgesang auf die Pressefreiheit in Ungarn zu halten und über diktatorische Verhältnisse zu lamentieren, stellt der Politologe Gábor Török auf seinem Blog klar:
„Wie kann man das Land nach dieser - zweifellos politischen - Entscheidung mit Diktaturen vergleichen, wo Journalisten ins Gefängnis gesteckt, Zeitungen verboten und Medienleute in die Luft gesprengt werden? Wie kann man nur behaupten, dass dies an die kommunistische Ära (= Diktatur) erinnert, als oppositionelle Meinungen nur im Untergrund geäußert werden konnten und als es schier unmöglich war, andere Nachrichten zu lesen als jene, die von der Regierungspropaganda verbreitet wurden? … Heute kann man nicht nur oppositionelle Tages- und Wochenzeitungen an allen Kiosken kaufen, auch im Fernsehen sind oppositionelle Kanäle zu erreichen, geschweige denn vom Internet, wo es absolute Meinungsfreiheit gibt.“
Ungarn fällt aus der Zivilisation heraus
Ungarns Premier Viktor Orbán geht schon geraume Zeit gegen kritische Medien vor und wendet sich damit von demokratischen Werten ab, erinnert Hospodářské noviny:
„Zunächst beherrschte er die öffentlich-rechtlichen Medien durch personelle Veränderungen in deren Räten. Ihm nahe Oligarchen kauften einen beachtlichen Teil der privaten Medien. Und jetzt der Fall der größten Oppositionszeitung, deren Titel übersetzt Freies Volk heißt, vermutlich durch einen Geheimpakt mit dem österreichischen Eigentümer. Die Angelegenheit ist eine beunruhigende Mahnung, auf welch wackligen Füßen viele Freiheiten und Werte stehen, an die wir uns im Laufe von nicht ganz 30 Jahren seit dem Fall des Kommunismus als unantastbar gewöhnt haben. ... Ungarn, ein uns nahe liegendes Land, fällt langsam aus der westlichen Zivilisation heraus. Das sollte uns nicht gleichgültig lassen.“
Osteuropas kritische Medien unter Druck
Die über Nacht erfolgte Schließung von Népszabadság wirft kein gutes Licht auf die Pressefreiheit in Mittel- und Osteuropa, klagt der Chefredakteur von Dennik N, Matúš Kostolný:
„Kritische und unabhängige Medien haben es in diesem Teil Europas sehr schwer. Man könnte meinen, dass es auf ein paar Traditionszeitungen nicht ankommt, gibt es doch Dutzende private TV-Kanäle und bietet vor allem das Internet jedem einen unbegrenzten Raum. Aber nur die Traditionszeitungen arbeiten kontinuierlich journalistisch und machen den Politikern das Leben schwer. Über eine Unabhängigkeit der größten tschechischen seriösen Zeitungen Mladá fronta Dnes und Lidové noviny kann man nicht mehr reden, seit sie dem einflussreichsten Politiker Andrej Babiš gehören. In Polen hat die legendäre Gazeta Wyborcza Probleme, die von Regierungspolitikern als Feind bezeichnet wird. In der Slowakei ist es weniger dramatisch, aber eben auch nicht garantiert, dass das so bleibt.“