Spaniens Monarchie wackelt
Seitdem Alt-König Juan Carlos das Land verlassen hat, machen Gerüchte die Runde, dass sein Sohn König Felipe VI. ihn aus dem Königspalast gedrängt habe. Premier Sánchez lobte am Dienstag das Königshaus für seine Distanzierung vom Ex-Regenten. Bei Sánchez‘ linken Koalitionspartnern und auf den Straßen werden hingegen Stimmen lauter, die die Abschaffung der Monarchie fordern. Ist die Zeit dafür gekommen?
Es braucht eine Verfassungsänderung
Die Zukunft der spanischen Monarchie entscheidet sich nicht allein durch den Umgang mit Juan Carlos, drängt Staatsanwältin Elisa de la Nuez in El Mundo:
„In jedem Fall muss man die Verordnung ändern, die Juan Carlos I. den Ehrentitel König (nach seiner Abdankung) sichert, und ihm diese Ehre entziehen. ... Aber am wichtigsten ist es wohl, die Institution zu modernisieren. Über den Titel des Königs als Staatsoberhaupt hinaus sollte man die Verfassung um die nötigen Garantien ergänzen, damit das Amt des Staatsoberhaupts, unabhängig von der Person, die es gerade bekleidet, effizient, neutral und professionell funktioniert und die nötigen Gegengewichte, die ausreichende Transparenz und Kontrolle sowie vor allem die maximale Vorbildlichkeit erhält.“
Als Republik die Einheit bewahren
Expresso ist der Meinung, dass aus der Monarchie Spaniens bald eine Republik werden könnte:
„Die Pandemie hat die Geschichte beschleunigt und hat Szenarien glaubwürdig gemacht, die vorher nur Gedankenspiele einiger waren. ... Die Zersplitterung Spaniens in verschiedene Nationen ist ein plausibles Szenario, ebenso wie die Zersplitterung einer anderen zusammengesetzten Monarchie, des Vereinigten Königreichs. Wird Spanien vereint sein? Oder ist die Aufrechterhaltung der spanischen Einheit nur durch einen Kompromiss möglich: einen Regimewechsel und den Übergang von der Monarchie zur Republik?“
Eine Frage des Charakters
Weil der spanischen Königsfamilie eine integrierende Persönlichkeit an der Spitze fehlt, könnte die Monarchie bald am Ende sein, spekuliert The Times:
„Die jüngsten Skandale fallen in eine Zeit, in der die Verfassung von 1978 wegen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung mehr denn je in Frage gestellt und die spanische Innenpolitik von tiefen Spaltungen geprägt ist. ... In einer derart hitzigen Phase kann eine konstitutionelle Monarchie eine Quelle der Stabilität und des Fokus für die nationale Einheit sein. Aber wie die britische Königin so oft gezeigt hat, beruht diese Stabilität nicht nur auf den verfassungsmäßigen Bestimmungen, sondern auch auf dem Charakter der Person, die auf dem Thron sitzt. Das ist eine Tatsache, die die spanische Monarchie nicht berücksichtigt - zum eigenen Schaden.“
Europa ist für Spanier wichtiger denn je
Die Monarchie hat als gesellschaftlicher Kitt ausgedient, analysiert der Tages-Anzeiger:
„Spanien hat in den ersten Jahrzehnten nach der Diktatur ganz gut gelebt mit dieser Staatsform, die das gespaltene Land einigermassen zusammenhielt. Doch die Zentrifugalkräfte werden stärker, inzwischen ist die Monarchie eher ein Spaltpilz. ... Ist Spanien nun wieder reif für eine Republik? In den 1930er-Jahren führte die erbitterte Zerstrittenheit der gesellschaftlichen Kräfte geradewegs in den Bürgerkrieg. Und was wäre durch einen Systemwechsel gewonnen? Mehr als diese oder jene repräsentative Staatsform rettet die Spanier derzeit etwas anderes, Zeitgemässeres: die gemeinsame europäische Verantwortung unter dem Dach der EU. Nur sie kann das Land vor der Armut durch die Folgen der Corona-Krise retten. Die Monarchie ist dabei eher Staffage.“
Monarchiegegner raus aus Regierungsämtern
Dass Spaniens sozialistischer Premier Sánchez in Koalition mit der Linkspartei Unidas Podemos regiert, die offiziell die Abschaffung der Monarchie fordert, ist ABC ein Dorn im Auge:
„Unsere Verfassung ist ein Modell des Zusammenlebens und sollte nicht durch Parteien aufs Spiel gesetzt werden, die von den Wahlergebnissen gesehen her eine Minderheit darstellen. Wenn Sánchez gestern Felipe VI. verteidigte, dürfen das keine leeren Worte bleiben. Sánchez steht in der Pflicht, seine Allianz mit Parteien zu prüfen, die vorgeschlagen haben, die Monarchie und deren Symbole abzuschaffen.“
Modernisierung und Stabilität dank Juan Carlos
Was Juan Carlos I. fast vierzig Jahre lang für Spanien getan hat, wird nun vergessen, bedauert der Journalist und Schriftsteller Juan Luis Cebrián in La Repubblica:
„Dem postfrankistischen Spanien wäre es wohl auch ohne die Krone gelungen, ein demokratisches Staatssystem zu errichten. Aber der zu zahlende Preis wäre höher und der Weg schwieriger gewesen. Die Präsenz und Haltung des Monarchen erwies sich jahrzehntelang als entscheidend für die Modernisierung des Landes und für das Erreichen politischer und sozialer Stabilität.“