Spielen Proteste Trump in die Hände?
US-Präsident Trump will am Dienstag nach Kenosha, Wisconsin, reisen. Dort gibt es seit einer Woche Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, nachdem ein Polizist auf einen Schwarzen geschossen hatte. Zwei Menschen wurden bei Ausschreitungen getötet. Kommentatoren diskutieren die aufgeheizte Stimmung vor dem Hintergrund des Republikaner-Parteitags vergangene Woche.
In Nixons Fußstapfen
Trump setzt auf die Taktik, die 1972 schon Richard Nixon half, wiedergewählt zu werden, erklärt Novi list:
„Im ganzen Land dauerten Proteste gegen den Vietnam-Krieg an und es schien, dass ganz Amerika gegen Nixon war, der es nicht schaffte, das Land aus den Kriegswirren herauszuführen. Doch die Proteste waren oft gewalttätig, was die 'stille Mehrheit' irritierte, die ihrerseits dann den Präsidenten unterstützte. ... Trumps Taktik ist, so viele Amerikaner wie möglich davon zu überzeugen, dass das ganze Land im Chaos versinken wird, sollte nicht er die Wahl gewinnen, sondern sein demokratischer Gegner Joe Biden. Trumps Vize Mike Pence hätte nicht klarer sein können als er sagte, dass auf dem Wahlzettel für 'Recht und Ordnung' gestimmt würde.“
Ein Spiel mit dem Feuer
De Telegraaf wirft den Demokraten vor, nichts gegen die Unruhen im Land zu tun:
„Die Polizei scheint nicht in der Lage zu sein einzuschreiten gegen das kreischende Krawall-Pack oder wird blockiert von lokalen demokratischen Führern. Die verweigern sogar föderale Hilfe. Inzwischen tauchen bewaffnete Bürgermilizen auf, die Eigentum schützen wollen. Das demokratische Lager schiebt das Chaos dem republikanischen Präsidenten Donald Trump zu. Sein Ansatz wirkt zwar nicht gerade de-eskalierend, aber das Durchsetzen von Recht und Ordnung ist primär eine Aufgabe der lokalen Führung. ... Beide Lager schüren die Polarisierung ... Der gegenseitige Hass nimmt derart zu, dass jedes Wahlergebnis für den verlierenden Teil der Nation unerträglich wird. In einem Land, das mit Waffen vollgestopft ist, ist das ein Spiel mit dem Feuer.“
Energischer als Biden
Der US-Präsident war in seiner Wahlkampfrede überzeugender als sein Herausforder Joe Biden, analysiert Turun Sanomat:
„Trumps am Freitag gehaltene Rede bereitet Biden und den Demokraten Kopfzerbrechen. Trump gelang es, sehr viel energischer und konkreter zu wirken als Biden in seiner eigenen Rede. Darüber hinaus war ein Teil der von Trump genannten Erfolge sogar wahr. Bei landesweiten Umfragen liegt Biden eindeutig an der Spitze. Die Wahl wird aber in einigen Swing States entschieden. 2016 bekam Trump drei Millionen Stimmen weniger als Hillary Clinton, gewann aber in den entscheidenden Bundesstaaten die Wahlmänner für die Republikaner.“
Präsident hat die Partei gekapert
Der Parteitag der Republikaner hat gezeigt, wer in der Partei das Sagen hat, meint die Aargauer Zeitung:
„Noch nie war ein republikanischer Präsident bei der eigenen Partei so beliebt wie er - und noch nie so unbeliebt bei der gegnerischen Partei. Der Parteikonvent war ein einziger Trump-Kult. Nur Familienangehörige und andere 100-prozentige Loyalisten traten auf. ... George W. Bush, der letzte republikanische Präsident, bekam keine Einladung, und sein Aussenminister Colin Powell sprach gar am Demokraten-Konvent. Republikaner, die sich nicht als Trumpisten verstehen, sind eine aussterbende Spezies. Der Präsident hat die Partei gekapert. Seine Tweets und seine Popularität bei der Basis verleihen ihm in der Partei fast grenzenlose Macht.“
Angst vor radikalen Linken schüren
Trump zieht mit düsteren Prophezeiungen in den Wahlkampf, beobachtet Jutarnji list:
„Der US-Präsident hatte Optimismus, Hoffnung und Freude versprochen für den republikanischen Parteitag. ... Doch schon am ersten Abend wurde klar, dass Trumps Lager sich für eine andere Taktik entschieden hat: Angst schüren vor dem eventuellen Sieg der 'radikalen Linken' und 'marxistischen Aktivisten' angeführt von Joe Biden und Kamala Harris. ... Durch den Sieg der Demokraten am 3. November würden stille US-Vorstadtviertel in Kriegszonen verwandelt, Häftlinge würden entlassen und den Bürgern würde mit Gewalt die Waffen abgenommen werden, die sie legal besitzen, um sie danach wieder in Quarantäne zu schicken wegen des Virus, 'mit dem der Präsident erfolgreich abgerechnet hat'.“
Verharren im Schützengraben
Wer glaubte, Trump würde sich wandeln, hat sich geirrt, erklärt Kolumnist Gianni Riotta in La Stampa:
„Die ersten Stunden des Parteitags löschten alle Zweifel derjenigen, die glaubten, der Präsident suche eine neue Harmonie; einige Beobachter hatten gar auf einen 'optimistischen Parteitag' gehofft. ... Trump wird, wie diejenigen wissen, die ihn seit seinem Debüt in der New Yorker Geschäftswelt kennen, siegen oder verlieren. Trump, der Feind des Optimismus von Eisenhower und Reagan, des Pragmatismus von Kissinger und Bush Senior, der neoliberalen Illusionen von Bush Junior. ... Seine mögliche zweite Regierung wird im Schützengraben bleiben, wie die erste.“
Die Wahrheit bringt Trump nicht weiter
Da Trump nicht mit Erfolgen punkten kann, braucht er die verbalen Attacken auf die Demokraten, meint Pravda:
„Die Intuition sagt ihm, dass er das unverhältnismäßig große Lob [seiner Partei] mit heftigen Angriffen auf die Demokraten verbinden muss. Während das Motto von Bidens Rede die Aufteilung in Licht und Dunkelheit - sprich: Demokraten und Republikaner - war, sprach Trump vom Weg des Schicksals. Dies ist in der Tat Trumps schicksalhafte Reise. Obwohl die Vereinigten Staaten eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder sind und das Land die Pandemie dank falscher und verwirrender Aussagen des Präsidenten eindeutig nicht bewältigt, erklärt er, dass er mit der Pandemie umgehen könne. Jeder kennt die Wahrheit. Trump und die Republikaner werden sich jedoch nicht die Mühe machen, im Wahlkampf die Wahrheit zu sagen. Mit der Wahrheit gewinnt man keine Wahlen.“
Referendum über den Kurs der Partei
Dagens Nyheter fragt sich, ob sich die Republikaner je wieder von der Vereinnahmung durch Trump erholen können:
„Trump hat gezeigt, dass man die Partei mit einer populistischen und nationalistischen Agenda kapern kann, und voraussichtlich werden dies auch andere versuchen. Die Parteibasis hält offenbar alles Mögliche aus, und diejenigen, die noch vom alten Establishment übrig sind, haben sich als feige und schwach erwiesen. Ein Nachfolger muss nicht so chaotisch sein wie Trump und könnte gerade deshalb effektiver sein als er. Vielleicht könnte eine herbe Niederlage im November die Republikaner auf andere Gedanken bringen. Somit wird die Wahl ein Referendum über Trump wie auch über den Kurs der Partei.“