Ist der Freispruch im Fall Kuciak ein Rückschlag?
Im Mordfall Ján Kuciak in der Slowakei ist der als Drahtzieher angeklagte Geschäftsmann überraschend freigesprochen worden. Das Gericht sah keine ausreichenden Beweise dafür, dass Marian Kočner den Mord an dem Investigativjournalisten im Februar 2018 beauftragt und bezahlt hat. Europas Presse schwankt zwischen Enttäuschung und Anerkennung für den stabilisierten slowakischen Rechtsstaat.
Hoffnung weicht Frustration
Mit dem Freispruch Kočners sind die Slowaken um eine Illusion ärmer, meint Respekt:
„Seit zweieinhalb Jahren machen die Slowaken starken Druck und fordern Veränderungen in der Justiz, die auch langsam und im Rahmen eines schmerzlichen Prozesses begonnen haben. Das Verfassungsgericht, das durch politische Kämpfe völlig gelähmt war, begann wieder zu arbeiten. Die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs wurde erheblich verändert, was dazu beitragen soll, den Augiasstall auszumisten. ... Der Justizrat, ein Selbstverwaltungsorgan der Richter, hat ebenfalls grundlegende Änderungen erfahren. Vielleicht konnten sich deshalb so viele Menschen nicht vorstellen, dass Kočner als unschuldig bezeichnet werden könnte. ... Wenn Hoffnungen genährt werden, ist der anschließende Frust umso verheerender.“
Recht darf sich nicht am Volkszorn ausrichten
Wenn die Beweislage nicht eindeutig ist, wäre eine Verurteilung kontraproduktiv für die Rechtsstaatlichkeit, erinnert Népszava:
„Der Oberste Gerichtshof wird den Fall wohl an die jetzige Instanz zurückverweisen. Neue Beweise und der Druck des öffentlichen Aufschreis werden das Urteil wohl noch verändern. Die Meinung der Bürger ist ohnehin gemacht: Innerhalb der EU ist das Vertrauen in die Justiz in der Slowakei am niedrigsten. Jede Medaille hat aber auch ihre Kehrseite. ... Man konnte in den vergangenen Jahren sehen, wie die Korruptions-Staatsanwaltschaft Rumäniens eine Reihe öffentlicher Figuren ins Gefängnis geschickt hat - anhand fragwürdiger, über den Geheimdienst erworbener Beweise. Die Öffentlichkeit feierte, und die meisten der Angeklagten waren auch schuldig. Aber nur die meisten. Rechtsstaatlichkeit ist ähnlich wie Demokratie: mühsam, aber es gibt nichts Besseres.“
Das entscheidende Stück Gerechtigkeit fehlt
Enttäuschte Hoffnungen beschreibt Corriere della Sera:
„Vor zwei Jahren begann sich das Blatt zu wenden. Kočners 'Straffreiheit' wurde, noch vom Grab aus, vom 27-jährigen Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak bekämpft, Autor 'unbequemer' Recherchen zu regierungsnahen Geschäftsleuten und zur Mafia, in erster Linie Kočner. Nur wenige Monate nach der Ermordung des Reporters wurde der Tycoon als Drahtzieher angeklagt. Zur großen Zufriedenheit der Menschen, die nach dem Verbrechen massenhaft auf die Straße gegangen waren, um Gerechtigkeit zu fordern. ... Es fehlte ein letztes, wichtiges Stück, um Gerechtigkeit zu erlangen: die gerichtliche Wahrheit. Deshalb wurde das gestrige Urteil mit Spannung erwartet und hat letztlich alle enttäuscht.“
Schmerzhafte Zweifel
Der Freispruch von Marian Kočner hinterlässt eine Wunde, die sehr schwer zu heilen sein wird, heißt es in Denník N:
„Es geht ja in diesem Fall um mehr als nur zwei abscheuliche Morde. Es geht auch darum, ob man Recht und Gesetz in der Slowakei vertrauen kann. Natürlich hat auch Kočner das Recht auf ein faires Verfahren. Und dies kann mit der Unschuld des Angeklagten enden. In diesem Fall bleiben jedoch nach dem Urteil mehr Zweifel bestehen, als gesund wären. Wir haben keine Beweise oder Hinweise darauf, dass die Richter nicht ehrlich und fair entschieden. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Kočner das Gericht gekauft hat. Trotz der vielen Stürme in der slowakischen Justiz müssen wir darauf vertrauen, dass in diesem Land noch Gerechtigkeit herrscht.“
Ein Urteil, kein Ende
Bei aller Bestürzung über das Urteil beobachtet die Süddeutsche Zeitung auch einen Kampfgeist:
„Er zeigt sich bei den erschöpften Eltern der Ermordeten, den Journalisten und Staatsanwälten. Es ist ein gemeinsames Gefühl des Widerstandes, das sagt: Wir lassen uns nicht mehr aufhalten, es führt kein Weg zurück in die Zeit des Mafiastaates, sondern nur noch aus ihr heraus. Voran geht die Präsidentin Zuzana Čaputová. Sie ist an der Spitze der neuen demokratischen Bewegung, die nach dem Mord entstanden war, ins Amt gekommen. Sie fordert nun Aufklärung vor dem höchsten Gerichtshof. Entscheidend beteiligt werden die Journalisten sein, die viele Ermittlungen angestoßen und beschleunigt haben. Auf ihnen ruht die Hoffnung, diese Geschichte zu einem guten Ende zu führen.“
Er öffnete den Slowaken die Augen
Rzeczpospolita blickt zurück auf das, was der Mord an Ján Kuciak in der Slowakei ausgelöst hat:
„Kuciak, zum Zeitpunkt des Mordes 27 Jahre alt, beschrieb die Verbindungen zwischen Politikern, Geschäftsleuten und der Mafia. Als er noch lebte, erreichten seine Texte nur ein kleines Publikum. Nach seinem Tod wurden sie von Millionen von Menschen gelesen. Den Slowaken fiel es wie Schuppen von den Augen. Es kam zu den größten Protesten in der Geschichte des Landes in Bratislava und vielen anderen Städten.“