Wen rütteln die Toten im Mittelmeer noch auf?
Bei einem Schiffsunglück vor der libyschen Küste sind mindestens 74 Menschen ertrunken. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der UN waren 120 Migranten an Bord. Bei einem Unglück am Vortag konnte die Hilfsorganisation Open Arms zwar 110 Menschen retten, doch ein Baby starb kurz nach der Bergung. Italienische Journalisten beklagen das Desinteresse am Schicksal der Migranten.
Mitgefühl für eine halbe Minute
Die Bilder vom Unglück werden nichts verändern, prangert Corriere della Sera an:
„Wir nehmen an den Schmerzen einer Mutter für ein paar Sekunden teil. Für die Dauer des Videos, in diesem Fall genau 28 Sekunden, um diese Frau mit der Schwimmweste um den Hals auf einem orangenen Floß zittern zu sehen. Die Zeit, um zu hören, wie sie ihren Sohn beschwört: 'Wo ist mein Baby, ich verliere mein Baby...' , während das Kind - zu spät - geborgen wird. Das ist alles, was wir noch zu sagen haben und tun. Nichts. Sicherlich wird kein Wort irgendeine der institutionellen Persönlichkeiten bewegen, die die Verantwortung hätten, diesem täglichen Massaker ein Ende zu setzen oder es zumindest zu versuchen. Wir werden nur wieder die üblichen Worte hören, man müsse ihnen im eigenen Land helfen, eine politische Lösung müsse gefunden werden, bevor man wieder zur Tagesordnung übergeht.“
Tragödie nicht aus den Augen verlieren
Die Pandemie darf nicht zur Entschuldigung für Gleichgültigkeit werden, mahnt La Stampa:
„Überflutet von den unaufhörlichen Informationen über die Zahl der Opfer von Covid-19, machen die Todesfälle im Meer zwischen Italien, Tunesien und Libyen kaum mehr Schlagzeilen, noch wecken sie Emotionen. Nur der Tod eines Kindes, eines sechs Monate alten Babys, das, obwohl es von einem Schiff der spanischen NGO Open Arms aufgenommen wurde, den Schiffbruch nicht überlebt hat, sorgt noch für Betroffenheit. Doch sind die Toten alle gleich. Die Tragödie, die sich weiterhin im Mittelmeer abspielt, verdient weiter Aufmerksamkeit, damit Maßnahmen ergriffen werden, um zumindest die Ausmaße zu verringern. Und damit diejenigen, die den Menschen helfen, handeln können und Anerkennung und Unterstützung finden.“