Schweiz: Widerspruchslösung bei Organspende?
Eine Volksinitiative will die Widerspruchslösung für Organspenden in der Schweiz einführen: Damit stünden Organe von Verstorbenen für Transplantationen zur Verfügung, sofern die Person dem nicht ausdrücklich zu Lebzeiten widersprochen hatte. Schweizer Medien sind geteilter Meinung über die moralischen und praktischen Konsequenzen dieses bereits in mehreren Staaten praktizierten Verfahrens.
Angehörige von Verantwortung befreien
Die Einführung der Widerspruchslösung löst ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem, meint der Tages-Anzeiger:
„Nur 16 Prozent haben einen Spenderausweis. Die Bürde tragen die Angehörigen: Sie müssen im Todesfall unter Zeitdruck entscheiden, ob ihren verstorbenen Liebsten die Organe entnommen werden dürfen. Im Zweifel - in 60 Prozent der Fälle - entscheiden sie sich dagegen. Mit der Widerspruchslösung lösen wir dieses Dilemma auf, indem wir den Grundsatz umkehren: Wer nach seinem Tod Organe spenden will, muss dies zu Lebzeiten nicht mehr explizit festhalten. Er muss dies nur noch tun, wenn er nicht spenden will. Was in anderen europäischen Ländern längst Standard ist, will die Organspende-Initiative nun auch in der Schweiz einführen.“
Nicht zur moralischen Pflicht machen
Die Widerspruchslösung ist ein unangemessener Eingriff in die Privatsphäre, fürchtet die Neue Zürcher Zeitung:
„Mit einem freiwilligen Akt der Nächstenliebe, was die Organspende sein sollte, hat das nichts mehr zu tun, mit staatlicher Übergriffigkeit dafür sehr viel. … Anders als heute würde der Körper dem Menschen nicht mehr voraussetzungslos gehören, sondern hätte in erster Linie der Gesellschaft nützlich zu sein. Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Mit der Widerspruchslösung würde die Organspende zu einer moralischen Pflicht emporstilisiert, sie würde schleichend zu einer Art sanftem Zwang. Es würde nicht erstaunen, wenn man sich irgendwann dafür rechtfertigen müsste, als Toter unversehrt bleiben zu wollen.“