Wozu führen die Spekulationen über Corona-Ursprung?
Das Wall Street Journal hat die Theorie befeuert, dass Sars-Cov-2 aus einem chinesischen Labor stammen könnte. Grundlage ist ein unveröffentlichter US-Geheimdienstbericht. Demnach habe es schon im November 2019 auffällige Erkrankungen bei Mitarbeitern des Wuhan Institute of Virology gegeben. US-Präsident Biden forciert nun die Aufklärung und will neue Geheimdienst-Untersuchungen sowie einen Bericht binnen 90 Tagen.
Merkwürdiger Trendwechsel
Seit dem Präsidentenwechsel in den USA sind zuvor unglaubliche Dinge auf einmal plausibel, bemerkt Kolumnistin Eva Selsing spitz in Berlingske:
„Als sich Trump im vergangenen Jahr erdreistete zu sagen, das China-Virus stamme mit größter Wahrscheinlichkeit aus einem Labor in Wuhan, wurde er von den Mainstream-Medien als geisteskranker Paranoider hingestellt. Der amerikanische Staatsepidemiologe Anthony Fauci sagte, ein solches Virus künstlich herzustellen, sei wahrscheinlich unmöglich. Nun, da Trump nicht mehr Präsident ist, ist genau diese Hypothese zulässig - und Fauci selbst äußerte vor kurzem, er sei nicht sicher, dass das Coronavirus natürlich entstanden sei. Zum Glück gibt es ja hier bei uns niemanden, der sich von solchen Wandlungen beeinflussen lässt, nicht wahr?“
Die Wahrheit kann nicht mehr vertuscht werden
Facebook hat angekündigt, Behauptungen, dass 'Covid-19 von Menschenhand geschaffen oder produziert wurde' nicht länger zu blockieren. Das kommt reichlich spät, findet Sabah:
„Da sie bisher Behauptungen blockierten, die den offiziellen Corona-Diskurs infrage stellten, weil sie sie für nicht 'wissenschaftlich' hielten, muss es eine Entwicklung geben, die ihre Meinung geändert hat. ... In der Pandemie haben Facebook und ähnliche Plattformen, die behaupten, sie würden ohne Eigeninteressen kostenlose Mitgliedschaften verteilen und nur der freien Meinungsverbreitung dienen, ihre wahre Funktion offenbart. Der Grund für ihren jetzigen Schritt ist vermutlich die Einsicht, dass sie die Wahrheiten, die sie bisher mit Hilfe von Zensur vertuscht haben, nicht mehr länger verbergen können.“
Wir müssen Farbe bekennen
Unabhängig vom Ergebnis der Untersuchungen steht die Gesellschaft vor zwei Grundfragen, erkennt The Daily Telegraph:
„Eine betrifft die Risikoabwägung bei der Virusforschung. Wir wissen, dass Wissenschaftler Viren manipulieren, um sie gefährlicher zu machen, und das aus ethischen Gründen: damit wir der Natur einen Schritt voraus und besser vorbereitet sind. Aber ist die Öffentlichkeit damit einverstanden, dass Wissenschaftler solche Risiken eingehen? ... Die andere Frage ist, wie wir mit China umgehen. Wenn Verschwörungstheorien florieren, liegt das daran, dass die kommunistische Partei eine riesige Verschwörung ist. Ihre Manipulation internationaler Gremien, ihre Informationskontrolle und ihre Verfolgung von Whistleblowern machen es schwer, Fakt von Fiktion zu unterscheiden.“
Wettstreit der Komplotte
Die Forderung, erneut über den Ursprung des Virus zu ermitteln, befeuert Verschwörungstheorien, schreibt La Repubblica:
„Nach Ansicht der US-Regierung wurde die Arbeit der WHO-Experten von der chinesischen Regierung so stark beeinflusst, dass sie völlig unglaubwürdig ist. Kontraproduktiv ist diesbezüglich die starre Haltung von Xi Jinping. ... Bidens Forderung konterte Peking gestern mit Andeutungen 'dunkler Geschichten' der Geheimdienste, die von dem Wunsch getrieben seien 'die Pandemie für Stigmatisierung, politische Manipulation und Verleumdung zu nutzen'. Gleichzeitig bringt die chinesische Regierung zunehmend ihre eigene 'Gegenverschwörungstheorie' über angebliche ausländische Ursprünge in Umlauf, um den Spieß umzudrehen.“
Biden markiert den starken Mann
Dass Biden nun die Geheimdienste einspannt, hat für El Periódico de Catalunya wenig mit Gesundheitspolitik zu tun:
„Selbstverständlich sollte man klären, ob sich die Ansteckung direkt zwischen Tier und Mensch im öffentlichen Raum ereignete oder ob es sich um eine Sicherheitslücke in einem Labor in Wuhan handelte. Aber die Eile, mit der der US-Präsident nun den Bericht anfordert, beflügelt eher die Annahme, dass es hier um einen auf allen Ebenen geführten Kampf um die Vorherrschaft geht. Und es fördert die Annahme, dass Joe Biden, wenn er am 16. Juni in Genf Wladimir Putin trifft, sich der internationalen Staatenwelt mit jener harten Haltung präsentieren möchte, die die Konservativen im Lande ihm nicht zutrauen.“
China droht Ansehensverlust
Für Peking steht durchaus etwas auf dem Spiel, kommentiert Rzeczpospolita:
„In der Politik, insbesondere, wenn es um Macht geht, spielt die Moral keine große Rolle – da müssen wir uns nichts vormachen. Aber für China – eine Macht, die effektiver und dadurch für viele attraktiver ist als der Westen – ist das Image wichtig. Und das könnte nun stark leiden.“
Hinweise sprechen dafür
Es ist tatsächlich wahrscheinlicher, dass Sars-CoV-2 nicht natürlichen Ursprungs ist, meint die SonntagsZeitung:
„Für die Zoonose genannte natürliche Herkunft spricht nur, dass frühere von Fledermäusen stammende Coronaviren zuerst Tiere befielen. Obwohl China in 31 Regionen über 80.000 Wildtiere untersuchen liess, wurde bisher in keinem einzigen Sars-CoV-2 nachgewiesen. … Die Laborthese stützen hingegen viele Indizien. So wurde in Wuhan in zwei Labors mit zweifelhaftem Sicherheitsausweis an neuartigen Coronaviren geforscht. Nach dem Ausbruch der Epidemie wurden chinesische Virenforscher mundtot gemacht und ihre Aufsätze vom Internet entfernt. Nicht einmal die WHO-Untersuchungskommission erhielt Zugang zu Dokumenten, die offene Fragen klären könnten.“
Keine Aufgabe für Agenten
Die Frage, woher das Virus kommt, muss von Wissenschaftlern geklärt werden, findet The Times:
„Donald Trumps Unterstützer begrüßen die aktuelle Entwicklung, weil sie seine Entscheidung rechtfertigt, zu untersuchen, ob das Coronavirus aus dem Labor entkommen ist. Gestern bat die Biden-Regierung die Geheimdienste, die Bemühungen zu 'verdoppeln', um die Ursache für den Ausbruch aufzudecken. Die Wissenschaft ist jedoch das einzige Kriterium, das zur Beurteilung des Ursprungs des Virus herangezogen werden darf und bislang stützen die epidemiologischen und molekularen Beweise die Theorie eines 'Laborlecks' nicht. Aber die Geheimnistuerei und die Beschimpfungen aus Peking erschüttern das Vertrauen. China muss reinen Tisch machen und Überprüfungen zulassen.“
Die Wahrheit wird wohl nie ans Licht kommen
Jetzt würde nur totale Transparenz helfen, schreibt das Handelsblatt:
„Das Reich der Mitte müsste internationalen Virologen, Immunologen, Epidemiologen und anderen Fachleuten alle Türen öffnen, alle Unterlagen aushändigen und sie mit allen Menschen zusammenbringen, die sachdienliche Hinweise geben können. Totale Transparenz wäre nötig. Danach sieht es nicht aus. China führt seine Politik der Verschleierung und Irreführung konsequent fort. ... Es steht zu befürchten, dass der Ursprung der verheerenden Corona-Pandemie in absehbarer Zukunft nicht ans Tageslicht kommen wird. Zum Schaden der Welt.“
Bedeutsame Wissenslücken bleiben
Chinas sture Haltung ist kontraproduktiv, kritisiert auch Jutarnji list:
„Immer mehr Wissenschaftler, auch diejenigen, die vorher die Theorie abgelehnt hatten, dass das Virus unkontrolliert aus einem Labor in Wuhan entkommen sei, fordern eine Fortsetzung der Untersuchung. Ihr Ziel ist, wie sie sagen, Wissenslücken zu schließen und den Kampf gegen das Virus zusätzlich zu erleichtern. ... Peking ist unnachgiebig und wie die Dinge stehen, werden wir nicht herausfinden, was genau sich im Labor in Wuhan abgespielt hat. Der Bericht der WHO vom März schloss, dass das Virus wahrscheinlich von Fledermäusen auf den Menschen über andere Tiere übertragen wurde. ... Das Wort 'wahrscheinlich' ist wichtig, wie auch die Vermeidung eines vollständigen Ausschließens eines menschlichen Fehlers.“